# taz.de -- Haltung Israels zum Ukrainekrieg: Sei einfach ein Mensch | |
> In Israel gibt es viele, die Putin unterstützen, auch in Erinnerung an | |
> Pogrome in der Ukraine. Aber historische Rechnungen sind dumm. | |
Bild: Ukrainische Geflüchtete im Flugzeug nach Tel Aviv | |
Die gute Nachricht ist: Israels [1][streitbare Innenministerin Ajelet | |
Schaked] gab dem Druck der Öffentlichkeit nach und lockerte ihre | |
restriktiven und undurchsichtigen Entscheidungen gegenüber ukrainischen | |
Flüchtlingen. Seit sie öffentlich kundtat, dass der Staat Israel dem | |
eigenen Ethos entsprechend einzig Juden verpflichtet sei, sie aber aus | |
reiner Nettigkeit auch 5.000 Nichtjuden aufnehmen werde, geht ein Aufschrei | |
der Entrüstung durch die sozialen Netzwerke und über alle nur erdenklichen | |
Bühnen. | |
Schaked, die vermutlich von Anfang an auf ihre rechte Klientel abzielte, | |
musste einsehen, dass die Sache nicht gut für sie läuft. Sie erhöhte die | |
Flüchtlingsquote, setzte aber ihre fremdenfeindliche Rhetorik fort. | |
Nun gibt es in Israel eine riesige Öffentlichkeit, die schockiert ist über | |
die Bilder des Kriegs, und die Herz und Hand für die Flüchtlinge öffnet. | |
Schaked hat aber recht in Bezug auf ihre Anhänger. Denn es gibt eben auch | |
eine große Öffentlichkeit, die sich angesichts des menschlichen Leids ganz | |
und gar nicht schockiert zeigt und die dazu neigt, Putin zu unterstützen. | |
Kein Zufall, dass eine der von dieser Öffentlichkeit verehrtesten Figuren | |
der rechtsextreme Siedlerführer Itamar Ben Gvir ist, dessen Ideologie auf | |
Rassismus basiert. | |
Wer sich gegen einen freundlichen Empfang der Flüchtlinge stellt, | |
argumentiert nicht selten mit der offenen Rechnung, die [2][wir Juden] mit | |
den Ukrainern haben. Stimmt schon, dass viele Ukrainer Antisemiten waren, | |
und dass es reihenweise schreckliche Pogrome gab, angefangen im 17. | |
Jahrhundert. Und dass große Teile der ukrainischen Bevölkerung mit den | |
Nazis kollaborierten. Ein beachtlicher Teil der jüdischen Literatur seit | |
Beginn des 20. Jahrhunderts handelt von diesen Horrorgeschichten. | |
Meine Mutter wuchs in Galizien, der heutigen Ukraine, auf. Sie erinnert | |
sich an ihre ukrainischen Nachbarn mit keiner großen Zuneigung. Aber diese | |
„historischen Rechnungen“ haben etwas Starrköpfiges und Dummes an sich. | |
Menschen verändern sich, Völker verändern sich, historische Umstände ändern | |
sich. Um es ganz offen zu sagen: Der Stil, die Rhetorik und die Mentalität | |
der Ukrainer, die derzeit interviewt werden – vom Präsidenten bis zu den | |
Flüchtlingen – sind tausendmal dem Stil und der Rhetorik vorzuziehen, der | |
meine Innenministerin und die Massen ihrer Unterstützer charakterisiert. | |
## Übertriebene diplomatische Vorsicht | |
Israel agiert seit Beginn des Krieges auf offizieller Ebene mit | |
übertriebener diplomatischer Vorsicht. Grund dafür ist die heikle Situation | |
in Syrien: Die Russen sind dort militärisch präsent, und für Israel sind | |
gute Beziehungen zu Putin wichtig, damit die israelische Luftwaffe auch | |
künftig ungehindert iranische Ziele angreifen kann. | |
Überhaupt ist Israel [3][an guten Beziehungen zu Russland interessiert]. | |
Doch hier stellen sich einige Fragen: Angesichts der enormen [4][Schwäche | |
des russischen Militärs], die dieser Krieg enthüllte, überschätzt Israel | |
nicht Putins Macht? Ist es wirklich nötig, „auf Zehenspitzen zu gehen“, um | |
ihn nicht zu erzürnen? | |
Und wenn es auch im Interesse Putins ist, kann man dann nicht davon | |
ausgehen, dass er die guten Beziehungen bewahren wird, selbst wenn Israel | |
den Ukrainern Verteidigungsausrüstung wie Helme und kugelsichere Westen zur | |
Verfügung stellt? Und geht es hier nicht zuletzt um einen Fall, bei dem | |
diplomatische Vorsicht und Kalkül geopfert werden sollten für eine | |
moralische Position? Sei a mensch, so heißt es auf Jiddisch. Anständig, | |
menschlich sein, jenseits von zweckorientierten Überlegungen. In Zeiten wie | |
diesen kann das auch von gewählten Vertretern gefordert werden. | |
Aus dem Hebräischen: Susanne Knaul | |
22 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Hagai Dagan | |
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