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# taz.de -- Autorin über Zwangsehen: „Das erdrückt uns“
> „Die ungeduldigen Frauen“ heißt Djaïli Amadou Amals neuer Roman. Mit ihm
> erzählt sie über das Grauen der Zwangsehe und die Last der Geduld.
Bild: Djaïli Amadou Amal: Das „Ich“ ihres Romans fungiert als Stimme aller…
taz: Frau Amal, warum erzählen Sie die drei Leben, deren Wege sich in Ihrem
Roman kreuzen, aus der Ich-Perspektive?
Djaïli Amadou Amal: Ich wollte einen Roman über Gewalt gegen Frauen
schreiben. Das hieß aber auch, die vielen Arten der Gewalt, in denen sie
ausgesetzt sind, zu benennen. Dafür habe ich nach [1][einer polyphonen
Form] gesucht. Zugleich war mir klar, dass ich auf ein Ich nicht verzichten
könnte. Denn ich bin eine Frau aus dieser Region. Alles, was diese Frauen
erleben, habe auch ich erlebt. Wir alle haben das erlitten. Das Ich der
drei Frauen ist die Stimme aller [2][Frauen der Sahel-Zone].
Und die sind zu ungeduldig?
Nein, wirklich nicht.
Der europäische Titel Ihres Romans ist also ironischer als der des
Originals?
Es stimmt, in Kamerun hieß das Buch nicht wie in Frankreich „Les
Impatientes“ oder wie in Deutschland [3][„Die ungeduldigen Frauen“],
sondern war als „Munyal – die Tränen der Geduld“ erschienen.
Munyal bedeutet auf Ful „Geduld“ und bildet eine Art Refrain des Buchs, als
Befehl und Rat an seine Protagonistinnen …
Ja. Man verlangt von ihnen so sehr, ihre Lage auszuhalten, dass sie an die
Grenzen der Geduld kommen. Die Geduld selbst bricht in Tränen aus. Denn man
verlangt von ihnen, zu duldsam zu sein. Die Keimzelle des Romans war
tatsächlich ein Text, [4][auf Ful, in meiner Muttersprache], der hieß:
„Ratschläge eines Vaters an seine Töchter“. Nachdem ich den gelesen hatte,
war mir klar: Wenn es ein einziges Wort gibt, das die Gewalt gegen Frauen
definiert, das sie zeigt und das selbst zu einer Last für diese Frauen
wird, dann ist es dieses ewige Munyal, Munyal. Es ist so schwer das zu
tragen, so schwer. Zu schwer. Das packt dich am Hals, das würgt dich, das
erdrückt uns.
Aber die Frauen im Roman fügen sich in die Verheiratung?
Nein, alle drei begehren auf. Schon dass sie alle drei sagen, nicht
einverstanden zu sein, ist eine Revolte. [5][In unserer Kultur] ist es
Blasphemie, zu sagen: Ich ertrage es nicht! Und alle drei entkommen auch
dem System, auf ihre Weise. Die erste flieht, die zweite, der das nicht
gelingt, schließt sich in ihre Krankheit ein.
Sie bricht zusammen.
Auch das ist eine Art Flucht. Und die dritte wird superböse, um ihre Ziele
zu erreichen.
Naja, sie verteidigt ihre Privilegien als Erstfrau: Das System der
Polygamie stabilisiert sich also durch die Rivalität seiner Opfer. Gibt es
keine Frauensolidarität?
Einige Frauen sind immer Komplizinnen – bei Zwangsheiraten, im System der
Polygamie oder in Fällen häuslicher Gewalt. Das ist die Rolle der Mütter in
meinem Roman: Sie wissen, was es bedeutet, was ihren Töchtern angetan wird.
Sie leiden darunter auch. Aber sie führen es fort – nicht aus Bosheit,
sondern aus einer Idee der Überlieferung heraus. Sie glauben, schlechte
Mütter zu sein, wenn sie nicht alles, was sie selbst empfangen haben, an
die Töchter weitergeben.
Als ideelles Erbe?
Das ist der Grund, weshalb diese Traditionen überdauern. Das tun [6][nicht
nur die Männer den Frauen an]. Aber die Welt hat sich geändert. Die Mädchen
haben Zugang zu Bildung und zu Medien. Sie können lesen, sie sehen fern,
sie haben Internet. Sie sind zwar von den Traditionen ihres Volkes
durchdrungen, aber träumen auch von etwas anderem. Und das verstehen ihre
Eltern nicht.
16 Mar 2022
## LINKS
[1] http://www.literaturwissenschaft-online.uni-kiel.de/glossary/polyphonie/
[2] /Alternative-Nobelpreise/!5804798
[3] https://orlanda.de/book/die-ungeduldigen-frauen
[4] https://homepage.univie.ac.at/martina.gajdos/fulfulde.html
[5] http://tabital-pulaaku.de/geschichte.html
[6] /Bevoelkerungs-Boom-im-Niger/!5290366
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Kamerun
Literatur
Frauenrechte
Feminismus
Terre des Femmes
Zwangsheirat
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