# taz.de -- Feminstin Gisèle Halimi: Fortschritt auf wackligen Beinen | |
> Die Rechtsanwältin Gisèle Halimi war eine Ikone des internationalen | |
> Feminismus. Nun liegt ihr bewegender Lebensrückblick vor. | |
Bild: Gisèle Halimi 1977 | |
Gisèle Halimis Leben als Aktivistin beginnt im Alter von zehn Jahren im | |
Tunesien der 1930er Jahre. Weil sie ihre beiden Brüder nicht länger | |
bedienen will, tritt sie in den Hungerstreik und markiert damit den Auftakt | |
ihres 80 Jahre währenden Kampfes gegen das Patriarchat. | |
Im vergangenen Jahr ist die Ikone der französischen Frauenbewegung mit 93 | |
Jahren gestorben. Einige Monate zuvor hat die Journalistin Annick Cojean | |
sie interviewt und das Gespräch als Buch veröffentlicht. Mit ihren Fragen | |
greift Cojean die wichtigsten Stationen in Halimis Leben auf und leitet | |
uns durch ihre bewegte Lebensgeschichte. | |
Gisèle Halimi, 1927 in der Nähe von Tunis als Tochter jüdischer Eltern | |
geboren, wehrt sich gegen eine Zwangsheirat und geht zum Studium nach | |
Paris. Als Anwältin in Frankreich setzt sie sich [1][während des | |
Algerienkriegs gegen die Folter durch das französische Militär] ein, trägt | |
zur Straffreiheit von Abtreibungen und zur Verschärfung des | |
Sexualstrafrechts bei. | |
1972 vertritt sie die 17-jährige [2][Marie-Claire Chevalier], die vor | |
Gericht steht, weil sie abgetrieben hat – angezeigt von ihrem | |
Vergewaltiger. Halimi hält ein leidenschaftliches Plädoyer, verweist auf | |
ihre eigenen Abtreibungen. Und schon damals argumentiert sie | |
intersektional, lange bevor es der Begriff in den feministischen Mainstream | |
geschafft hat. Wegen Abtreibung würden nur sozial niedrig gestellte Frauen | |
angezeigt, ein klarer Fall von „Klassenjustiz“. | |
## Vorgetäuschter Fortschritt | |
Auf Cojeans Fragen antwortet Halimi humorvoll und kurzweilig; sie nimmt | |
kein Blatt vor den Mund, wenn sie ihre Begegnungen mit Zeitgenoss*innen | |
wie Simone de Beauvoir oder François Mitterrand schildert. | |
Zu letzterem bemerkt sie: „Mir wurde erst im Nachhinein bewusst, dass die | |
Vortäuschung eines feministischen Fortschritts der linken Regierung uns | |
Zeit gekostet hatte.“ Etikettenschwindel gab es schon, bevor Feminismus zum | |
Markenversprechen geworden ist. Halimi ist parteilose Abgeordnete unter der | |
Regierung Mitterrand, doch sie wird ausgebremst, die Parlamentarier machen | |
sich über ihr Kleid und ihre Stimme lustig und sie legt ihr Mandat | |
vorzeitig nieder. | |
Es sind Anekdoten wie diese, die das Buch so lesenswert machen. Es zeigt, | |
wie gewaltig der Einsatz von Feminist*innen wie Halimi war, was sie | |
erreicht haben, aber auch auf welch wackeligen Beinen dieser Fortschritt | |
steht. Zu viele Frauen „billigen ihre Unterdrückung“, befindet sie. Das ist | |
keine Anklage, sie weiß schließlich, wie das Patriarchat funktioniert. | |
Deshalb fordert sie in ihrem letzten Plädoyer: Seid finanziell unabhängig! | |
Organisiert euch! | |
21 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Frankreichs-koloniales-Erbe/!5722613 | |
[2] https://www.liberation.fr/theatre/2019/07/03/marie-claire-chevalier-indeleb… | |
## AUTOREN | |
Nina Roßmann | |
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