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# taz.de -- Krieg in der Ukraine: Gespräche und Angriffe gleichzeitig
> In Belarus treffen sich Unterhändler aus Moskau und Kiew. Die Ukraine
> verlangt kompletten russischen Truppenabzug. Russland bombardiert
> Charkiw.
Bild: Sitzen an einem Tisch: die russische (li) und die ukrainische (re) Delega…
Die Szene sollte wohl historisch wirken. Mit grimmigen Gesichtern saßen
sich zwei Delegationen aus Russland und der Ukraine an einem langen weißen
Tisch voller Mineralwasserflaschen gegenüber und starrten sich an, während
das belarussische Protokoll Fotos des Beginns der Friedensverhandlungen für
die Weltöffentlichkeit machte.
„Liebe Freunde, Präsident Lukaschenko hat darum gebeten, Sie zu empfangen,
zu begrüßen und dafür zu sorgen, dass Ihre Arbeit maximal unterstützt
wird“, sagte Belarus’ Außenminister Wladimir Makei in einer kurzen im
Fernsehen übertragenen Ansprache. „Das alles erfolgt in Absprache mit den
Präsidenten Selenski und Putin. Sie können sich hier sicher fühlen. Dafür
zu sorgen ist unsere heilige Pflicht. Unser Präsident Lukaschenko hofft auf
eine Lösung aller Krisenfragen, und dafür beten auch die Belarussen. Alle
Bitten und Anliegen, die Sie an die Organisatoren heran tragen, werden
erfüllt. Jetzt warten wir auf Resultate.“
Das Treffen fand in der belarussischen Stadt Gomel unweit der ukrainischen
Grenze statt. Die Regierungen in Moskau, Kiew und Minsk hatten sich am
Sonntag darauf geeinigt, um einen Ausweg aus dem [1][Krieg zu finden, den
Russland am Donnerstag vergangener Woche gegen die Ukraine begonnen hatte].
Ein Ergebnis war bis Redaktionsschluss nicht bekannt. Erste Meldungen über
ein vorzeitiges Ende verwandelten sich am Nachmittag in Mitteilungen über
eine Pause. Die Delegationen hätten den Verhandlungsort nicht verlassen,
meldete die belarussische Staatsagentur Belta.
Die Ukraine erklärte im Vorfeld einen Waffenstillstand und den sofortigen
Abzug russischer Truppen von ihrem Staatsgebiet zum Ziel der Gespräche. Das
schließe auch die seit 2014 von Russland annektierte Krim sowie die
Separatistengebiete im Donbass ein, erklärte das Präsidialamt in Kiew. Der
Kreml sagte zunächst nicht, was Russland mit den Gesprächen erreichen will.
Am Abend wurde gemeldet, man fordere die Demilitarisierung der Ukraine und
die Anerkennung der Krim als Teil Russlands.
## UN spricht von 100 getöteten Zivilisten
Anders als üblich wurden die Gespräche nicht von einer Feuerpause
begleitet. Vielmehr starteteten die russischen Streitkräfte am Montag ihre
bisher verheerendsten Luft- und Raketenangriffe auf zivile Ziele in der
Ukraine. Zahlreiche Fotos und Videos von Toten, Schwerverletzten und
zerstörten Häusern in Wohnvierteln der Millionenstadt Charkiw belegen
zivile Opfer des Beschusses, den Militärexperten teils als völkerrechtlich
verbotene Streumunition identifizierten – die entsprechenden Raketenwerfer
wurden auf Fotos identifiziert und lokalisiert. Am Sonntag war ein Versuch
der russischen Armee, mit Bodentruppen nach Charkiw vorzudringen, von den
Verteidigern der Stadt abgewehrt worden. In der Nacht zu Montag gab es
außerdem erneut russische Luftangriffe auf Kiew.
Die Großstadt Berdjansk am Asowschen Meer unweit der Separatistengebiete
des Donbass fiel derweil an die russische Armee – ihre offenbar bisher
größte Eroberung. Videos vom Montag zeigen, wie die russischen Soldaten von
der lokalen Bevölkerung bedrängt und beschimpft werden. Es wird nun
vermutet, dass die Stadt Mariupol das nächste Ziel ist und damit ein
russisch kontrollierter Korridor zwischen der Krim und den
Separatistengebieten entstehen könnte.
Nach Angaben der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet,
wurden bei den Kämpfen bislang 102 Zivilisten in der Ukraine getötet und
304 verletzt. Die tatsächlichen Zahlen dürften „erheblich höher“ sein.
Der Süden der Ukraine ist der einzige Landesteil, in dem Russland
strategisch bedeutsame Territorialgewinne verzeichnet, während im Norden
weiter kein Vorankommen zu erkennen ist. Der ukrainische Generalstab
erklärte, die russische Armee konzentriere sich derzeit auf die Region um
die Stadt Tschernihiw nördlich von Kiew und Donezk im Osten.
Militärbeobachter vermuten, die Gespräche unter belarussischer Vermittlung
sollen Russland eine Atempause schaffen, um seine Offensivkräfte zu
reorganisieren, nachdem der Krieg bisher nicht die gewünschten Erfolge
gebracht hat.
## Stationierung von Atomwaffen in Belarus
Für Belarus markiert die Gesprächsrunde auf jeden Fall eine diplomatische
Aufwertung. Zeitgleich hat der belarussische Staatchef Alexander
Lukaschenko an der Heimatfront einen „Sieg“ errungen. Beim
Verfassungsreferendum vom Sonntag stimmten laut Wahlkommission 65,16
Prozent der WählerInnen für weitreichende, von Lukaschenko vorgeschlagene
Verfassungsänderungen. Die Wahlbeteiligung lag demnach bei 78,63 Prozent.
Damit kann Lukaschenko, der das Land seit 1994 autoritär regiert, bis 2035
an der Macht bleiben. Zwar wird die Zahl der erlaubten Amtszeiten nun auf
zwei begrenzt – diese Regelung soll aber erst nach der nächsten
Präsidentschaftswahl in Kraft treten. Für Ex-Präsidenten sieht die Reform
außerdem lebenslange Immunität vor.
Im Kontext des Krieges in der Ukraine ist besonders bedeutsam, dass die
Verfassungsänderung die dauerhafte Stationierung von russischen Soldaten
und [2][Atomwaffen in Belarus e]rmöglicht. Die Verpflichtung, eine
„atomwaffenfreie Zone“ zu bleiben, wird aus der Verfassung gestrichen,
ebenso das Postulat außenpolitischer Neutralität. Demnach könnten
belarussische Truppen fortan auch an Kampfeinsätzen im Ausland teilnehmen.
Die Abstimmung wurde am Sonntag [3][von Protesten b]egleitet. Laut der
Menschenrechtsgruppe Vjasna (Frühling) wurden in Minsk über 530 Menschen
festgenommen, das Innenministerium sprach von 800.
28 Feb 2022
## LINKS
[1] /-Nachrichten-zum-Ukrainekrieg-/!5837896
[2] /Regierungserklaerung-zum-Ukrainekrieg/!5834935
[3] /Grossdemonstration-in-Berlin/!5835038
## AUTOREN
Dominic Johnson
Barbara Oertel
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