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# taz.de -- Mitangeklagter im Fall Lina E.: Bröckelnde Anklage
> Seit sechs Monaten wird gegen die Linke Lina E. verhandelt, weil sie
> Rechtsextreme attackiert haben soll. Doch der Prozess kommt nur
> schleppend voran.
Bild: Solidarität für Lina E.: Seit 15 Monaten sitzt die 26-jährige Leipzige…
Dresden taz | Leon Ringl sagt, er dachte zunächst an einen Scherz, als kurz
nach Mitternacht am 19. Oktober 2019 Vermummte in seine rechtsextreme
Eisenacher Kneipe „Bull’s Eye“ stürmten. Dann aber hätten diese auf sei…
Gäste und ihn eingeschlagen. Er habe Bierkrüge auf sie geworfen. Bis eine
Frauenstimme „Rückzug“ gerufen und mit Pfefferspray gesprüht habe. Darauf
seien die Angreifer hinausgestürmt.
Wer war diese Frau? Laut Bundesanwaltschaft war es Lina E., die seit
September 2021 vor dem Oberlandesgericht Dresden steht, auch am Mittwoch
wieder. Bereits seit 15 Monaten sitzt die 26-jährige Leipzigerin in U-Haft.
Laut Anklage soll sie mit mindestens den drei Mitangeklagten eine
linkskriminelle Gruppe gebildet und sechs schwere Angriffe auf Neonazis
verübt haben.
Doch der Prozess läuft schleppend: Keiner der Zeugen konnte die vermummten
Angreifer erkennen, auch Lina E. nicht. Aufwändig wurden stattdessen
DNA-Spuren oder andere Indizien besprochen.
Am Mittwoch aber ist es anders. Denn mit Leon Ringl sagt dort einer der
angegriffenen Neonazis aus, und zwar derjenige, der als Einziger Lina E.
erkannt haben will. Der 24-Jährige ist trotz seines Alters eine Art
Szenegröße: [1][In seinem Bull’s Eye fanden Szenekonzerte statt], er
beteiligte sich an Kampfsportevents. Auch gibt es Hinweise, dass Ringl
einen deutschen Ableger der Atomwaffendivision gründen wollte, eine
rechtsterroristische US-Truppe. Und erst am Dienstag veröffentlichten
Antifa-Rechercheure ein Foto, das Ringl mit Gesinnungskameraden vor einer
Hakenkreuzfahne zeigt. Die Aufnahme soll im Januar in der Eisenacher
NPD-Zentrale entstanden sein.
## Schlag auf den Arm
Vor Gericht wird Ringl dazu vorerst nicht befragt. Gelassen schildert der
Kurzgeschorene zunächst den Angriff auf seine Kneipe im Oktober 2019. Alles
sei schnell gegangen, er selbst habe nur einen Schlag auf den Arm erlitten.
Näher beschreiben kann er die vermummten Angreifer aber nicht, auch die
Frau nicht. Diese habe er im Tumult kaum sehen können.
Aber die Angreifer kamen zwei Monate später wieder. Bekannte hätten ihn im
Dezember 2019 nachts vom Bull’s Eye nach Hause gefahren, als wieder
Vermummte vorn ihm standen, berichtet Ringl. Als er ein Pfefferspray und
Cuttermesser gezogen habe, seien sie zurückgewichen. Dann aber hätten die
Vermummten seine Begleiter in ihrem Auto attackiert, den Wagen zertrümmert.
Und wieder sei eine Frau dabei gewesen, die Kommandos gegeben und mit
Pfefferspray gesprüht habe, die gleiche wie beim ersten Angriff, behauptet
Ringl. An der Stimme, Statur, dem „Gesamtbild“ will er sie wiedererkannt
haben.
## Auto der Mutter
Mehr noch: In Polizeivernehmungen behauptete Ringl, dass es eben Lina E.
gewesen sei. Er habe sie später auf Fotos in Medien wiedererkannt, auch
habe ein Bekannter sie nach dem zweiten Angriff in Eisenach auf einer
Polizeiwache gesehen. Tatsächlich wurde Lina E. damals das erste Mal
vorläufig festgenommen: Die Polizei hatte sie in einem Fluchtwagen mit
einem Mitangeklagten gestoppt. Es war das Auto ihrer Mutter.
Aber es bleiben Fragen, auch zu Ringls Aussage. Als Richter Hans
Schlüter-Staats zur Frauenstimme nachhakt, bleibt Ringl vage: „Hochdeutsch,
weiblich.“ Und in ersten Vernehmungen hatte er zunächst nichts von einer
beteiligten Frau gesagt. Auch ist fraglich, ob er Lina E. wirklich unter
der Vermummung und in den Tumulten erkennen konnte. Und als die Polizei ihm
ein Foto von Lina E. vorlegte, konnte er sie noch nicht als Angreiferin
erkennen.
Zumindest der Mitangeklagte Philipp M. wird am Mittwoch überraschend
entlastet. Der Berliner soll sich am ersten Angriff auf Ringls Kneipe
beteiligt haben, zudem auf einen weiteren auf Neonazis in Wurzen. Am
Mittwoch aber legen seine Verteidiger Beweise vor, dass M. in Eisenach gar
nicht vor Ort war. Vielmehr würden Aufnahmen einer Überwachungskamera
zeigen, dass er am Tattag sein Haus gegen 20 Uhr mit dem Fahrrad verließ
und um kurz nach 5 Uhr morgens wiederkehrte. Laut Geodaten seines Handys
und einem abgehörten Telefonat mit seinem Mitbewohner sei er statt in
Eisenach in einer linken Szenekneipe in Berlin-Kreuzberg gewesen.
M.s Anwalt Einar Aufurth spricht von einem „handfesten Alibi“. Sein Mandant
habe schlicht einen „netten Abend mit Freunden“ verlebt. Es sei aber
bezeichnend, dass die Bundesanwaltschaft dies bisher nicht selbst ermittelt
habe oder ihr Wissen dazu verschweige. Das zeige, wie „einseitig“ in diesem
Fall ermittelt wurde, so Aufurth.
Dem stimmen die anderen Verteidiger:innen schließlich zu. Richter
Schlüter-Staats sagt, man werde die Hinweise „in Ruhe“ prüfen.
16 Mar 2022
## LINKS
[1] https://chronik.blackblogs.org/?p=13811
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Linksextremismus
Rechtsextremismus
Eisenach
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Schwerpunkt Neonazis
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