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# taz.de -- Zweifel an der Wildlife-Fotografie: Bildschöne Trophäen für die …
> Vincent Muniers Film „Der Schneeleopard“ hat einen César für den besten
> Dokumentarfilm erhalten. Aber er kreist sehr um seine Macher.
Bild: Am Ende taucht der Schneeleopard wirklich auf
Der preisgekrönte Wildlife-Fotograf Vincent Munier macht sehr schöne Bilder
von Tieren. Dafür ist er in allen möglichen, auch entlegenen Weltgegenden
unterwegs. Gemeinsam mit der Regisseurin Marie Amiguet hat er einen – mit
dem César nun ebenfalls preisgekrönten – Film über eine Tibet-Reise
gedreht, auf der unter anderem der sehr scheue und seltene Schneeleopard
bildlich festgehalten werden sollte. Mit ins Boot nahm er den
[1][Reiseschriftsteller Sylvain Tesson], wohl um die reflektorische Tiefe
des filmischen Unternehmens zu verstärken.
Diese Absicht ist dem fertigen Produkt deutlich eingeschrieben, und auch
deshalb ist der Film eben kein großartiges Kunstwerk geworden – trotz
vieler atemberaubender Bilder, kunstvoller Montage und der Musik von Warren
Ellis.
Ellis, langjähriger Weggefährte von Nick Cave (der groß auf dem Filmplakat
steht, tatsächlich aber nur einen Song eingesungen hat), legt seine
atmosphärischen, quasi subkutan pulsierenden Klangspuren so über die
Landschaft, dass man deutlich zu spüren meint, wie sich hinter der Welt,
die das Auge sieht, noch eine andere regt. Das wertet das Ganze enorm auf.
Ohne Ellis’ Musik wäre Muniers Film wenig mehr als schöne Oberfläche, auf
der zudem gefühlt mindestens die Hälfte der Zeit weder Tiere noch
Landschaft zu sehen sind, sondern stattdessen ein Fotograf und ein Autor
mit Kamera und Notizbuch an Berghängen hocken und, wie Tesson es im
Off-Kommentar nennt, „lauern“. Die Dialoge, die sie dabei führen und die
zum größten Teil vom Fotografen bestritten werden, drehen sich um die
Herausforderungen der Wildtierfotografie, also um den Fotografen selbst.
## Wer trägt das Zelt, wer die Stative?
Die narrativen Off-Texte, die der Autor für die Passagen dazwischen
eingesprochen hat, handeln wiederum von diesem selbst und davon, wie er,
der ewig Rastlose, durch den Fotografen, jenen unendlich geduldigen
Naturbeobachter, auf dieser Reise zu echter Ruhe gefunden habe. (Tesson hat
seine Eindrücke auch in einem Buch verarbeitet, das zu einem Bestseller
wurde.) Von Tieren ist durchaus auch die Rede, aber ausschließlich im
Zusammenhang mit der Ab- beziehungsweise Aussicht, sie vor die Linse zu
bekommen. Sie sind Nebenfiguren, visuelle Trophäen für Muniers
Bildersammlung.
Zunächst sind die beiden Männer mit Rucksäcken unterwegs: Sie suchen einen
Übernachtungsplatz in den Bergen, um anderntags das frühe Morgenlicht
einfangen zu können. Es wirkt heldenhaft, wie Munier das Stativ mit dem
Riesenzoom durch die Gegend schleppt. Man fragt sich erst nur flüchtig, wer
eigentlich das Zelt trägt, die Filmkamera führt und für den hervorragenden
Ton sorgt, aber irgendwann beginnt man sich ernsthaft zu wundern, dass
plötzlich der eine Mann andere Stiefel und der zweite eine neue Jacke
trägt. So viel Gepäck schleppen sie doch wohl nicht mit?
Erst gegen Ende des Films wird offenbar, dass die Crew stationär auf einem
Hof irgendwo im tibetischen Hochland wohnt. Die Landschaft ist in
Wirklichkeit also auch nicht menschenleer, wie man vorher hätte glauben
können. Kinder kommen ins Bild, posieren vor der Kamera, befingern
neugierig die Hightech-Ausrüstung, und Tesson fertigt in seinem Notizbuch
eine lustige Zeichnung an, wie alle zusammen auf einem Berg sitzen.
Kurzzeitig wird, das ist schön, der reale Kontext der filmischen
Unternehmung deutlicher, wird auch die permanente geografische
Nachbarschaft von Menschen und wild lebenden Tieren spürbar, wenn auch nur
flüchtig. Der Rest der Filmcrew aber ist nie zu sehen.
Spoiler: Als Krönung des Ganzen wird am Ende tatsächlich ein Schneeleopard
gefilmt – oder ist es eine Leopardin? Das Tier, das so erstaunlich nah am
Schlafplatz der Menschen ein Tier gerissen haben soll und das, nachdem es
satt ist, über die Bergflanke von dannen zieht, wirkt auffällig üppig um
die Leibesmitte. Hat es etwa zu viel gefressen, oder handelt es sich um ein
trächtiges Weibchen?
Unklar; denn weder Erscheinung noch Verhalten des Tiers werden weitergehend
kommentiert. Das würde thematisch auch zu weit führen, denn dieser Film
handelt schließlich nicht vom Leben des Schneeleoparden an sich, sondern
vielmehr davon, wie einmal ein französischer Fotograf auszog, um ihn zu
filmen.
Die programmatische Abwesenheit eines tieferen Interesses am abgelichteten
Lebewesen aber macht diesen Film in erster Linie zu einem Hochglanzdokument
der Eitelkeit seines Urhebers. Wobei eigentlich ja überhaupt nichts
verkehrt ist an einem ästhetisch orientierten Blick auf die Natur. Aber wie
schade, wenn dahinter nicht mehr kommt als nur das nächste schöne Bild.
10 Mar 2022
## LINKS
[1] /Kolumne-Generation-Camper/!5221918
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Dokumentarfilm
Fotografie
Fauna
Tibet
Sachbuch
Film
Vegetarismus
Fotografie
Dokumentarfilm
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