# taz.de -- Regisseurin über das Schießen aufs Wild: „Jagd ist hier extrem … | |
> Die Filmemacherin Alice Agneskirchner hat eine Doku über das Jagen | |
> gedreht. Ein Gespräch über das Filmen im Wald, deutsche Bürokratie und | |
> Bambi. | |
Bild: Quoten, Verbissgutachten, Regeln: Auch das ist Teil der Jagd | |
taz: Frau Agneskirchner, ist es schwierig, Jäger zu filmen? | |
Alice Agneskirchner: Jäger sind extrem misstrauisch. Ich habe schon in | |
vielen Milieus gedreht, aber noch nie so viele – auch sehr unhöfliche – | |
Absagen bekommen. | |
Warum? | |
Weil die meisten Jäger davon ausgehen, dass Medien negativ über sie | |
berichten. Es war ein weiter Weg, ehe einige verstanden, dass ich mir meine | |
Meinung erst im Prozess des Filmens bilde. | |
Vielleicht sind sie so ablehnend, weil die Jägerszene altmodisch, | |
konservativ und männerbündisch ist und deshalb den Blick der Öffentlichkeit | |
scheut? | |
Männerbündisch stimmt. Aber das ist in allen männergeprägten Szenen so. | |
Aber der Anteil der Jägerinnen wächst – das zivilisiert. Das Bündische | |
ergibt sich aber auch aus dem Wissen: Jäger wissen viel über den Wald, | |
Wildtiere, Krankheiten. Laien wissen oft wenig, verurteilen Jäger aber, | |
weil sie Wild töten. Mir leuchten die üblichen Vorbehalte gegen Jäger nicht | |
ein. | |
Warum nicht? | |
Wer kein Veganer oder Vegetarier ist, hat kein Recht, Jagd zu verurteilen. | |
Das Nutztier ist unter oft elenden Bedingungen eingesperrt, das Wildtier | |
lebt frei und stirbt schnell und fast schmerzlos. Warum sollen Schweine | |
oder Kälbchen, die massenhaft getötet werden, weniger wert sein als Rehe? | |
Es ist bigott, eine Salamipizza zu essen und Jäger grausam zu finden … | |
Genau. Der Jäger wird mit dem Akt des Tötens verbunden, die eingeschweißte | |
Wurst im Supermarkt nicht. Unsere Vorstellungswelt ist von „Bambi“ geprägt, | |
von Buch und Film. In der Geschichte ist der anonyme Jäger der Böse, der | |
die Mutter von Bambi tötet. Das Bild hat sich eingefräst. | |
In „Wem gehört die Natur?“ sehen wir Jäger, die zwei Rehe schießen und d… | |
toten Tieren einen kleinen Tannenzweig ins Maul stecken. Warum tun sie das? | |
Der Zweig im Äser ist eine Ehrerweisung. Der Moment der Tötung ist etwas | |
Besonderes, ein Moment der Entscheidung. Der Jäger tunkt zudem einen Zweig | |
in die Einschusswunde und steckt sich den an den Hut. Dieses Ritual dient | |
dem Jäger dazu, mit der Tötung abzuschließen. Und das betont das Gemeinsame | |
von Jäger und Gejagtem. | |
Gibt es in der industriellen Landwirtschaft oder dem Schlachthaus solche | |
Rituale? | |
Nein. | |
Ein irritierendes Bild in dem Film zeigt, wie nach einer Treibjagd die | |
toten Tiere wie Trophäen aufgereiht werden … | |
Das ist die Ernte. Es gibt für jede erlegte Tierart – Rehe, Füchse, Hasen, | |
Wildschweine – ein Signal der Jagdhornbläser. Diese Musik ist keine | |
Folklore. Das sind vor allem funktionale Signale, die Anfang, Stand und | |
Ende von Treibjagden anzeigen. Eine Treibjagd braucht äußerst geordnete, | |
getakteten Abläufe, damit niemand verletzt wird. | |
Macht Jagen Jägern eigentlich Spaß? | |
Wenn man damit nur den tödlichen Schuss meint – nein. Für die Mehrheit ist | |
Jagd mehr. Nur weil sie jagen können, sind sie tatsächlich Teil ihres | |
Reviers, Teil der natürlichen Zusammenhänge. Dass Jäger möglichst viel | |
schießen wollen, ist ein Klischee. | |
Kann man Jagen, ohne den Lustgewinn des Abschusses zu verstehen? | |
Jäger, die ein Revier haben, müssen schießen, um die Quoten zu erfüllen. | |
Sonst verlieren sie ihr Revier. Und Jagd vom Hochsitz bedeutet ja vor allem | |
Warten. Verantwortungsvolle Jäger schießen nur, wenn das Wild richtig steht | |
und der erste Schuss tödlich ist. Insofern haben sie beim Abschuss das | |
Gefühl, etwas geschafft zu haben. Das ist der Genuss, dass endlich etwas | |
gelungen ist. | |
So, wie wenn Sie eine Szene drehen? | |
Der Vergleich drängt sich auf. Man schießt ja auch Bilder. | |
Der Jäger und Journalist Eckhard Fuhr beschreibt Jagdfieber so: | |
„Pulsfrequenz und Adrenalinspiegel steigen, wenn sich jagdbares Wild zeigt. | |
Wenn das tote Reh dann gefunden ist, stellt sich ein unvergleichliches | |
Gefühl innerer Zufriedenheit ein.“ Und er vergleicht den Abschuss mit Sex. | |
Na ja, Sex empfinden Leute auch sehr verschieden. | |
Der Jagdgegner Richard David Precht attestiert Jägern, „Spaß daran zu | |
haben, Tiere im Wald zu erschießen“ und „Lusttötung“. | |
Das ist ein Klischee. Bei den Jägern, die ich getroffen habe, habe ich | |
keine Mordlust entdeckt. Und die Vorstellung, dass alles gut wäre, wenn | |
niemand mehr jagt, ist naiv. | |
Warum? | |
Weil das, was wir für Natur halten, Kulturlandschaft ist, die von Bauern | |
oder Forstbesitzern genutzt wird. Wild lebende Tiere in Deutschland werden | |
nur dort geduldet, wo sie diese Nutzung nicht oder wenig stören. | |
Deutschland ist ein extrem wildreiches Land. Ohne Jagd würden Bauern und | |
Förster auf die Barrikaden gehen, weil zum Beispiel das Rotwild ohne Jagd | |
die Weideflächen ratzekahl abfressen würde. Und überhaupt: Wenn immer mehr | |
bislang ungenutzte, aber bewachsene Grünstreifen zu Ackerland werden – das | |
tötet Wildtiere. Damit wird der Lebensraum von vielen Kleintieren wie Vögel | |
oder Hasen zerstört. | |
Wer legt fest, wie viele Tiere ein Revierjäger schießt? | |
Das richtet sich nach den Interessen der Forstwirtschaft. Es gibt jährliche | |
Verbissgutachten. Wenn viele junge Bäume vom Wild gebissen wurden, wird | |
mehr Abschuss gefordert. Dabei ist umstritten, ob der Wald nicht auch | |
wachsen würde, wenn weniger Wild geschossen würde. Sicher ist: Die | |
Forstbesitzer dulden immer weniger Verluste durch Verbiss von Wild. Deshalb | |
steigen die Abschussquoten. Das ist seit 50 Jahren eine kontinuierliche | |
Entwicklung nach oben. Viele Jäger klagen, dass sie zu viel schießen | |
müssen. | |
Pro Jahr werden in Deutschland mehr als eine Million Rehe geschossen. Was | |
würde passieren, wenn die Jagd ad hoc aufhören würde? | |
Rehe leben auf kleinen Territorien. Wenn zu viele auf zu engem Raum leben, | |
verlassen Rehe das Gebiet. Das führt früher oder später zu Ausbreitung von | |
Seuchen. Rehe sind dafür sehr anfällig. Es gäbe irgendwann eine Reduzierung | |
durch Seuchen. Das sagen jedenfalls Wildbiologen. | |
Jährlich werden 22.000 Tonnen Wildfleisch in Deutschland erlegt und | |
verkauft. Das ist ein Geschäft … | |
… aber verschwindend gering im Vergleich zu den Abermillionen getöteten | |
Schweinen, Rindern, Hühnern. Kaum jemand jagt wegen des Geldes. | |
Der Film zeigt nicht nur Jäger in Bayern, Mecklenburg und Brandenburg, | |
sondern auch Algonquin-Frauen, die in Kanada auf Elchjagd gehen. Warum? | |
Auch um zu zeigen, wie fragwürdig unser Verständnis davon ist, wer jagen | |
darf. Zwei Freundinnen von mir, beide Veganerinnen, fanden es fruchtbar, | |
dass ich deutsche Jäger zeige. Als ich ihnen erzählte, dass ich mit | |
Indianerinnen – oder First- Nation-Angehörigen, wie sie sich bezeichnen – | |
in Kanada auf Elchjagd gehe, war die Reaktion ganz anders: Wow, toll! | |
Aber warum ist Jagen bei Algonquin großartig – aber verachtenswert, wenn | |
Jäger in den Alpen oder der Schorfheide unterwegs sind? | |
Die Algonquin wirken, als wären sie auf einem Wochenendausflug, während die | |
Jäger und Jägerinnen in Deutschland ernsthaft über Jagdrecht, | |
Abschussquoten, Schonzeiten, Verbiss reflektieren. First-Nation- Angehörige | |
in Kanada dürfen jagen, wann sie wollen. Es gibt dort generell keine | |
Jagdreviere, sondern nur kurze Jagdzeiten, zwei Wochen bis zwei Monate. Ich | |
habe den sechs Algonquin-Frauen von dem deutschen Jagdgesetzbuch erzählt – | |
und bin auf ungläubiges Staunen gestoßen. Jagd ist in Deutschland extrem | |
verrechtlicht. In Kanada gibt es keine Verbissgutachten. | |
Wie dreht man Jagd? Muss sich das Team unsichtbar machen? | |
Unhörbar vor allem. Normale Klamotten rascheln. Man braucht spezielle | |
Jagdkleidung. Dann liegt man auf der Lauer. Wir haben die Jäger so | |
beobachtet, wie die das Wild. | |
Kann man Wölfe filmen? | |
Sehr schwierig. Sie sind zu scheu und zu schlau. | |
Aber man sieht Wölfe im Film. | |
Das sind echte Wölfe, keine Wolfshunde. Aber sie sind mit Menschen | |
aufgewachsen und akzeptieren sie als Bestandteil ihres Rudels. Die haben | |
wir unter der Maßgabe der Besitzer gedreht: keine Kinder, keine Hunde, | |
keine Haustiere in einem weiten Radius. Und wir drehen auf eigene Gefahr. | |
Die Rückkehr der Wölfe wurde vor Jahren gefeiert. Das hat nachgelassen, | |
seit sie Kälber und Schafe reißen. | |
Wölfe brauchen extrem große Territorien, 100 bis 300 Quadratkilometer. Und | |
sie vermehren sich. Wenn Wölfe drei Jahre alt sind, verlassen sie das | |
Rudel. Ostdeutschland ist jetzt wolfsmäßig aufgeteilt. Es wird eng. Deshalb | |
drängen Wölfe mehr in die Nähe von Menschen. Nur wenn Wölfe Menschen für | |
gefährlich halten, bleiben sie auf Distanz. | |
Was tun? | |
Wenn man den Wolf behalten will, muss man Schafe und Herden besser | |
schützen, mit Hunden und Zäunen. Und es wird nötig sein, [1][gezielt Rudel | |
zu reduzieren.] | |
Man muss Wölfe jagen, um sie zu schützen? | |
Klingt paradox. Aber so ist es – vermutlich. | |
9 May 2018 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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