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# taz.de -- Magazin stellt Ukrainer*innen ein: Journalismus fördern von unten
> Das Magazin „Katapult“ reagiert solidarisch auf den Ukrainekrieg. Mit dem
> Erlös neuer Spezialabos stellt es ukrainische Journalist*innen ein.
Bild: „Katapult“-Chefredakteur Benjamin Fredrich vor neuen Redaktionsräume…
Die EU-Kultur- und Medienminister*innen wollen [1][ukrainische
Medien- und Kulturschaffende] unterstützen. Das haben sie bei ihrem
Ministerinnenrat Anfang der Woche im französischen Angers beschlossen,
Deutschlands Medienstaatsministerin Claudia Roth (B90/Grüne) stellte rund
eine Million Euro Soforthilfe in Aussicht, um gemeinsam mit dem Auswärtigen
Amt die Aufnahme von Journalist*innen und Künstler*innen in
Deutschland zu ermöglichen.
In Greifswald sind sie da schon ein ganzes Stück weiter. Bei [2][Katapult],
einem der größten Erfolge der jüngsten Zeit am deutschen
Zeitschriftenmarkt. Eigentlich ist Katapult so etwas wie eine
wissenschaftliche Fachzeitschrift, die mit vielen Grafiken und Karten
sozialwissenschaftliche Erkenntnisse auf kreative Weise einer breiten
Öffentlichkeit verständlich machen will.
Weil das gut funktioniert (80.000 Abos und kein Ende in Sicht), wollen die
Macher*innen nun auch noch den Lokal- und Regionaljournalismus in
Mecklenburg-Vorpommern revolutionieren und haben Katapult MV gegründet.
Doch die Zeitschrift ist, will und kann noch mehr. Sie nennt sich selbst
„Magazin für Eis, Kartografie und Sozialwissenschaft“, wobei das Eis
ironisch gemeint und durchgestrichen ist. Der Rest stimmt. Seit Ende
letzter Woche könnte da auch noch gut „Ukraine“ im Untertitel stehen.
## 2.200 neue Abos nach einer Woche
Anna Hansen empfängt am Fuße der Baustelle, die einmal eine Schule war. Sie
wird gerade zum Katapult-Medienhaus umgebaut. Noch hocken viele Katapulte,
wie sich die Macher*innen in ihren Newslettern nennen, in einem anderen
Büro in der Greifswalder Innenstadt. Etliche sind aber schon hier und
arbeiten in der Redaktion im ersten Stock.
Eigentlich sollte es bei Katapult MV mit einem Aufruf zur
Redaktionsgründung in und damit der Eroberung von Neubrandenburg
weitergehen. Doch jetzt, sagt Katapult-Gründer Benjamin Fredrich, gebe es
Wichtigeres. Vor knapp zwei Wochen hat die Zeitschrift einen Aufruf für
Ukraineabos gestartet, über 2.200 gibt es schon, gerade wurde die
30.000-Euro-Marke pro Monat geknackt, die dadurch generiert werden.
Beim Ausgeben des Geldes geht es um Nachhaltigkeit. Das ist Katapult-Stil,
schließlich haben sie auch einen Wald gepflanzt und werben Baumspenden ein,
weil sie das Magazin nun mal auf Papier drucken. So verblüfft das Magazin
auch hier mit einer ungewöhnlichen wie naheliegenden Idee. Das Geld aus den
Abos geht nicht als Spendenstrohfeuer raus.
Vielmehr werden mit dem Erlös aus den Abos ukrainische Journalist*innen
ganz unkompliziert bei Katapult angestellt, können nach Greifswald kommen
und von hier für und über die Ukraine berichten. Fünfzehn stehen schon auf
der Payroll, vierzehn Frauen und ein Mann. Fünfundzwanzig können es beim
aktuellen Stand der Finanzierung werden.
## Schusssichere Westen für Mitarbeiter*innen
Am Tag des Besuchs ist gerade Bohdana aus Kiew als erste angekommen und hat
gleich losgetwittert, drei andere Kolleg*innen waren da noch unterwegs.
Zwei von ihnen sind mittlerweile auch in Greifswald, die vierte ist von
Odessa via Wien unterwegs. Die anderen berichten im Moment noch aus der
Ukraine.
„Einige fragen uns nach schusssicheren Westen, Helmen, Smartphones,
Laptops und Kameras. Wir schicken unseren neuen Leuten nun also nicht nur
Geld, [3][sondern auch Ausrüstung]. Natürlich immer mit der Aufforderung,
dass sie sich trotz der besseren Schutzausrüstung nicht in Gefahr begeben
sollen!“ heißt es im Katapult-Newsletter: „Die wollen bleiben, wir sagen
denen: Bitte kommt, wenn es gefährlich wird“, sagt Fredrich.
Schlafplätze gibt es gleich nebenan, sogar sehr komfortable: Das direkt
neben der Schule liegende VCH Hotel Greifswald hatte von der Aktion gehört
und spontan angeboten, die Gäste aus der Ukraine kostenlos unterzubringen.
Bohdana studiert noch und arbeitet in Kiew bei der unabhängigen Uni-Zeitung
Die Brücke mit. Bis Lwiw ging es mit dem Zug. „Dann sind wir mit dem Auto
zur Grenze und danach zu Fuß weiter“, sagt sie. Bekannte in Polen hatte sie
keine, aber es gab viel Unterstützung. „Da sind Rettungssanitäter, die
machen einen irre wichtigen Job. Wenn sie frei haben, helfen sie den
Menschen an der Grenze.“ Über Breslau ging es nach Berlin und von dort
direkt nach Greifswald. Ihr Vater und ihr Bruder sind noch in Kiew.
Seit einer knappen Woche gibt es jetzt Katapult Ukraine mit den Beiträgen
der neuen Kolleg*innen [4][auf Twitter] in Englisch, Ukrainisch und
Russisch. Vieles wird auch auf Deutsch übersetzt. Followerzahl beim
Schreiben dieser Zeilen: über 12.000.
## Verrückter Ansatz
Die Entscheidung, sich beim Thema Ukrainekrieg zu engagieren, ging schnell,
sagt Hansen, die in Stralsund wohnt und eigentlich für Katapult MV
arbeitet. „Das ändert hier viel und stellt alles auf den Kopf.“ Seit 22.
Februar stemmt die Katapult-Redaktion einen vierundzwanzig[5][stündigen
Liveblog], arbeitet erstmals im Schichtbetrieb rund um die Uhr.
Der weitere Ausbau der Zeitschrift liegt erst mal auf Eis. Der
Erscheinungstermin der Aprilausgabe wird ein bisschen nach hinten
verschoben. „Der Katapult-Ansatz ist damit noch mehr unterstrichen“, so
Hansen. Schnell, unkonventionell oder gern auch ein wenig verrückt, aber
verdammt wirksam zu sein. „Ich finde es super wichtig, zum richtigen
Zeitpunkt die richtigen verrückten Ideen in die Tat umzusetzen.“
Doch es gibt auch Zoff, und den lächeln sie bei Katapult nicht mal eben
weg. Um das Budget für die ukrainischen Kolleg*innen noch mal zu
erhöhen, verzichtet ein großer Teil der Redaktion gerade auf die Hälfte des
Einheitsgehalts von 3.300 Euro brutto, um das Projekt zu ermöglichen.
„Wir haben gefragt, wer halbiert sein Gehalt beziehungsweise gesagt, wer es
nicht schafft, soll sich melden“, sagt Chefredakteur Fredrich. Es war nicht
die allerschlaueste Idee, hat aber geklappt, sagt sein Gesicht. „Es wäre
gelogen, wenn ich behaupte, wir sind hier der Super-happy-Verein. Das war
intern super kritisch und gab harte Reibungen.“
Alle arbeiten jetzt deutlich mehr und die Belastung steigt weiter. Für die
ukrainischen Journalist*innen heißt das 1.650 Euro im Monat – nach
Katapult-Angaben ist das das sechsfache des ukrainischen Mindestlohns.
## Eine Wundertüte
Auf den Aufruf Richtung Ukraine, sich zu bewerben, wurden sie förmlich
überschwemmt. „Wir haben mal eben so viele Leute eingestellt. Da ist klar,
dass wir bestimmt einige Fehler gemacht haben“, sagt Fredrich. Aber es
sollte und musste schnell gehen.
Per Recherche im Netz haben sie versucht, sich ein Bild zu machen: Wer ist
das, wo haben sie gearbeitet, was ist das für ein Medium? Wenn die eigenen
Sprachkenntnisse nicht mehr ausreichten, half und hilft der Google
Translator.
Sie haben jetzt auch einen waschechten Schriftsteller an Bord, der
eigentlich ein Buch schreiben will, jetzt aber auch erst mal Artikel zur
Lage in der Ukraine liefert. „Ist doch nett, wäre doch sonst langweilig“,
heißt es aus der Redaktion: „Das ist eine Riesenwundertüte.“
Über den Inhalt der Ausgabe entscheiden die ukrainischen
Journalist*innen selbst. „Sie sollen veröffentlichen, was für das Land
und die Menschen gut ist“, lautet das Credo. Zumal die Mitarbeitenden in
Greifswald ganz andere Herausforderungen mit und für ihre neuen
Kolleg*innen haben:
„Die brauchen ein Bankkonto, eine Krankenversicherung, Fahrräder oder eine
Unterkunft, wo sie ihre mitgereiste Mutter unterbringen können. Da mussten
wir aus unserer Medienbubble raus“, sagt Max Rieck, der eigentlich in der
Aboverwaltung arbeitet, jetzt aber all das koordiniert.
## Geflüchtetenunterkunft in Redaktionsräumen
Die Wundertüte Katapult selbst ist noch für weitere Überraschungen gut.
Eigentlich sollten im Erdgeschoss der ehemaligen Schule weitere Räume für
Redaktion und Verlag entstehen. Hier soll im Herbst auch eine hauseigene
Journalistenschule starten. Doch jetzt wird das Erdgeschoss erst mal zu
einer Unterkunft für bis zu 100 Geflüchtete aus der Ukraine ausgebaut.
Die Stadt Greifswald stellt Betten und weitere Ausstattung, sanitäre
Anlagen sind schon da oder im Bau. Spätestens nächste Woche sollen hier die
ersten Menschen einziehen können, was beim aktuellen Zustand des Gebäudes
verdammt sportlich ist. „Aber nach dem Krach, der hier herrscht, klappt
das“, meint Max Rieck.
Die Bauarbeiter legen sich mächtig ins Zeug und sagen auch, wir schaffen
das. Viele von ihnen sind aus der Ukraine. Die meisten von ihnen haben ihre
Familien zuletzt an Weihnachten gesehen.
10 Mar 2022
## LINKS
[1] /Medien-in-der-Ukraine/!5748893
[2] /Nordkurier-bekommt-Konkurrenz/!5765749
[3] /Lobbyist-ueber-Handel-mit-Ukraine/!5839399
[4] https://twitter.com/KatapultUkraine
[5] https://katapult-magazin.de/de/artikel/liveblog-zur-ukraine-geht-immer-noch…
## AUTOREN
Steffen Grimberg
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Schwerpunkt Zeitungskrise
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Ukraine
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