| # taz.de -- Joe Bidens Jahresansprache: Eine Rede zum Vergessen | |
| > Die Ansprache an die Nation von US-Präsident Biden war selten | |
| > uninspirierend. Weder zum Ukraine-Krieg noch auf die Probleme Zuhause hat | |
| > er Antworten. | |
| Bild: Joe Biden während der Rede zur Lage der Nation am 1. März | |
| Selten hat ein [1][US-Präsident] die einzigartige Möglichkeit einer ganzen | |
| Stunde TV-Zeit zur Primetime so sehr gebraucht wie Joe Biden bei seiner | |
| Rede zur Lage der Nation am Dienstagabend. Bidens Umfragewerte sind im | |
| freien Fall – gelingt keine Wende, dürften die Demokrat*innen im | |
| November die Macht in beiden Kammern des Kongresses verlieren. Selten aber | |
| auch fällt das lange geplante Datum der jährlichen Rede auf Tag sechs eines | |
| russischen Krieges, der tektonische Verschiebungen der internationalen | |
| Sicherheitspolitik mit sich bringt. | |
| Die Zeiten, als US-Präsidenten von Konflikten, Krisen und Kriegen politisch | |
| profitieren konnten, sind offenbar seit George W. Bush wirklich vorbei. Nur | |
| einmal erhob sich der gesamte Kongress zu Standing Ovations – aber die | |
| galten nicht Joe Biden, sondern der anwesenden ukrainischen Botschafterin. | |
| Biden hatte zum Ukrainekrieg nichts zu sagen, was nicht bereits bekannt | |
| gewesen wäre – Weltschlagzeilen waren so nicht zu machen. Und das | |
| naheliegende Metathema, der Kampf zwischen Autoritarismus und Demokratie, | |
| ist [2][innenpolitisch so vermint], dass sich Biden scheute, es zur | |
| zentralen Botschaft seiner Rede zu machen. | |
| Die US-Debatte in den vergangenen Wochen hat zwei Dinge gezeigt: Weit von | |
| einer leidlich kohärenten [3][überparteilichen] Linie entfernt, ergehen | |
| sich die politischen Lager der USA in gegenseitigen Schuldzuweisungen, seit | |
| Russlands Präsident Putin die Anerkennung der „Volksrepubliken“ im Donbass | |
| erklärte. Das bleibt im Ausland nicht unbemerkt, auch in Russland nicht. | |
| Dazu kommt: Für Teile der völkisch-rechtsextremen Trump-Basis ist Putins | |
| Antiliberalität ein klares Vorbild. | |
| Alt-Right-Chef Richard Spencer nannte Putins Russland schon vor Jahren | |
| bewundernd die „einzige weiße Macht der Welt“. Trumps früherer Chefstrate… | |
| Steve Bannon zeigte große Sympathie für Putins Leibphilosophen Alexander | |
| Dugin, und Putins Verachtung demokratischer Institutionen zugunsten eines | |
| klaren Führerprinzips spricht bis heute aus jeder Zeile jeder Trump-Rede. | |
| Aber hätte Biden genau das in der gebotenen Deutlichkeit angesprochen, wäre | |
| ihm sofort vorgeworfen worden, aus der tragischen Lage der ukrainischen | |
| Bevölkerung billig Kapital schlagen zu wollen. | |
| So blieb es am Dienstag bei Allgemeinplätzen. Zweitens, und vielleicht auch | |
| aus genau den genannten Gründen: Die Biden-Regierung beansprucht keine | |
| Führungsrolle bei der westlichen Antwort an die Regierung Putin. Biden | |
| zieht mit, aber er prescht nicht vor, überlässt es Ursula von der Leyen, | |
| Olaf Scholz, Emmanuel Macron oder Boris Johnson, die harten Linien der | |
| Sanktionen zu verkünden. Auch das ist eine ungewohnte Rolle | |
| US-amerikanischer Regierungen. | |
| Sie könnte Biden gut zu Gesicht stehen und sogar innenpolitisch nutzen – | |
| wenn er wenigstens in der nationalen Agenda überzeugende Ideen hätte. Aber | |
| seit zwei Senator*innen seiner eigenen Partei mit dem | |
| „Build-Back-Better“-Programm Bidens Kernversprechen gekippt haben, kommt da | |
| nicht mehr viel. Die Rede wird schnell vergessen sein, und Biden ist wieder | |
| reduziert auf jene Eigenschaft, die ihn Präsident hat werden lassen: nicht | |
| Donald Trump zu sein. | |
| 2 Mar 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bernd Pickert | |
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