| # taz.de -- Russland-Ukraine-Konflikt: Was weißt du vom Krieg, mein Kind? | |
| > Wie so viele junge Menschen in Deutschland wuchs unsere Autorin im | |
| > Frieden auf. Nun sieht sie, wie Nationalismus glücklich aufpoliert wird. | |
| Bild: Ein Kuscheltier zwischen Trümmern nach einem Raketenangriff auf ein Haus… | |
| Was weißt du schon vom Krieg, mein Kind? Du bist: In eine Zeit und einen | |
| Ort des Friedens hineingeboren, oder mindestens in die Abwesenheit von | |
| Krieg. Was für ein unfassbares Glück. Deine Großmütter haben vom Krieg | |
| erzählt und dann ein Märchen vorgelesen. Dein Kontinent ist eine Festung, | |
| dein Pass wie ein Freifahrtschein. Von hier aus: Gute Aussichten – auf den | |
| Rest der Welt, und für dein Leben. Du hast gehört, dass das unfair ist, du | |
| hast das sogar gespürt. Aber dann hast du gelernt, mit den Schultern zu | |
| zucken. Betroffen den Kopf zu schütteln und zu sagen: Die Welt ist eben | |
| ungerecht. | |
| Du weißt nichts vom Krieg. Und doch siehst du alles. Du siehst: Männer, ja, | |
| vor allem Männer, mit einer absurden Faszination für Kriegsführung, sie | |
| teilen das Video eines Traktors, der einen Panzer davonzieht, und Hände, | |
| die Munition fetten. Du siehst: Das Foto der weinenden Julia, in einem | |
| Lastwagen sitzend, ein Sturmgewehr zwischen die Knie geklemmt. Du siehst | |
| Angst, Mut und Widerstand. Leute, die sehnsüchtig auf die Auferstehung | |
| eines Helden warten. [1][Hunderttausende, die für den Frieden auf die | |
| Straße gehen]. | |
| Und welche, die jetzt ihre Chance sehen, in eine Welt zurückzufallen, die | |
| wir mit so vielen Kräften zu überwinden versuchen. Sie polieren glücklich | |
| ihre alten Spielfiguren: Nationalismus, Konservatismus, Patriarchat. West | |
| und Ost, Schwarz und Weiß, eine vermeintlich „zivilisierte“ Welt und ihr | |
| „unzivilisiertes“ Gegenüber. Und über allem siehst du grüne Kurven nach | |
| oben schießen, bei Heckler & Koch oder Rheinmetall. | |
| Du weißt nichts vom Krieg, dafür haben wir dir beigebracht, dass Krieg | |
| etwas ist, das in Geschichtsbüchern steht, und dass Dinge in | |
| Geschichtsbüchern bereits zu den Akten gelegt wurden. Wenn du fragst, warum | |
| es dann heute noch Nazis gibt, Faschismus und Kolonialismus, dann üben wir | |
| uns im Schulterzucken. | |
| ## Die meisten verlieren, niemand gewinnt | |
| Du weißt nichts vom Krieg, und doch alles: Die meisten verlieren, niemand | |
| gewinnt, viele bereichern sich. Im Kapitalismus ist auch Krieg ein | |
| Geschäftsmodell. Und Sprache wird leise zwischen Feuern verschoben: Es | |
| werden „Vaterländer verteidigt“, und „Nationalhelden“ erschaffen, und … | |
| Menschen auf der Flucht „Flüchtlingswellen“ gemacht. An Grenzen und in | |
| Talkshows wird aufs Neue verhandelt, was niemals verhandelbar ist, | |
| angetastet, was unantastbar sein muss. Du weißt: Von deiner Festung aus | |
| interessiert nicht jeder Krieg gleich und auch nicht jedes Leben. | |
| Du wünschtest, niemand müsste etwas wissen vom Krieg. Das ist naiv, aber so | |
| sollen Wünsche sein. Sie sind schwer zu verteidigen in diesen Zeiten, vor | |
| anderen und vor dir selbst. Genau wie diese Gewissheiten: Aus Gewalt wächst | |
| kein Frieden, [2][Aufrüstung schafft keine Sicherheit], was nötig ist, ist | |
| nicht gleich gut. Was du tust und sagst, ist nicht egal, und was du nicht | |
| tust und nicht sagst, auch nicht. Du weißt nichts vom Krieg, mein Kind. | |
| Gerade deshalb musst du besonders wachsam sein. | |
| 1 Mar 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lin Hierse | |
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