# taz.de -- Widerstand gegen Wladimir Putin: Putins Albtraum | |
> Während einzelne Oligarchen Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien | |
> fordern, protestieren Tausende Menschen von Moskau bis Jekaterinburg. | |
Bild: Peace: Bei den russlandweiten Protesten gegen den Krieg kommt es zu hunde… | |
MOSKAU taz | Michail Fridman machte den Anfang. Einen zögerlichen zwar und | |
doch einen beachtenswerten. Das, was in der Ukraine geschehe, empfinde er | |
als „Tragödie für beide Seiten“, schrieb der russische Oligarch in der | |
Financial Times. Die russische Wirtschaftselite, die [1][Russlands | |
Präsident Wladimir Putin] erst vor wenigen Tagen bei sich versammelt hatte, | |
um „Solidarität“ zu erbitten, war angesichts des Krieges in der Ukraine, | |
der in Russland offiziell „militärische Spezialoperation“ genannt wird, | |
stumm geblieben. | |
Dann aber meldete sich Fridman, auf ihn folgte der Aluminium-Magnat Oleg | |
Deripaska. Verhandlungen müssten so schnell wie möglich stattfinden, | |
schrieb der Milliardär mit Beteiligungen an Unternehmen von Energie, | |
Bergbau und Schwerindustrie in seinem Telegram-Kanal. Nach einem unbequemen | |
Zeitgeist klingt auch das nicht. Dass ein Putin-Vertrauter aber nicht | |
einfach offiziöse Sätze nachspricht, ist neu in diesen Tagen. | |
Fridman gehört zu den reichsten Russen, „Investor Nimmersatt“ wird der in | |
der Ukraine (damals noch Sowjetunion) geborene russische Unternehmer | |
genannt. Er hat Beteiligungen im Ölexport, Mobilfunk, Finanzwesen, in der | |
Lebensmittelindustrie und im Einzelhandel. Bereits zu Jelzin-Zeiten | |
gehörte der heute 58-Jährige zu den „Großen sieben“ – Oligarchen, die … | |
Geld und Einfluss dem damaligen, bereits von Alkohol zerfressenen | |
Präsidenten Boris Jelzin bei der Präsidentschaftswahl 1996 zu seinem | |
erneuten Sieg verholfen hatten. Seine Alfa-Bank findet sich auf der | |
Sanktionsliste der EU. Auch Deripaska steht auf etlichen Sanktionslisten. | |
In ihren Äußerungen verurteilen die beiden Milliardäre den Angriff | |
Russlands nicht. Schon gar nicht ihren Präsidenten. Sie wählen allgemeinere | |
Begriffe. Fridman fordert, das „Blutvergießen zu stoppen“, Deripaska | |
schreibt, wie wichtig Friede sei. Derweil hat das russische | |
Verteidigungsministerium zum ersten Mal seit dem Einmarsch seiner Truppen | |
in der Ukraine [2][von verletzten und getöteten russischen Soldaten | |
gesprochen]. Wie hoch die Verluste sind, wird nicht bekannt gegeben. Die | |
„Operation“ wird der Öffentlichkeit weiterhin als steril verkauft. | |
## Twitter und Facebook funktionieren nur eingeschränkt | |
Vor allem unabhängige Medien sind angehalten, ihre Berichte zu korrigieren. | |
Begriffe wie „Invasion“, „Krieg“, „Angriff“ sind verboten. Als einz… | |
Quelle sollen offizielle russische Verlautbarungen genannt werden. Einige | |
russischsprachige Nachrichtenplattformen hat die Medienaufsichtsbehörde | |
Roskomnadsor so bereits gesperrt. Der Kurznachrichtendienst Twitter | |
funktioniert nur eingeschränkt, auch Facebook könnte in wenigen Tagen | |
abgeschaltet werden. | |
Dennoch versammeln sich jeden Abend Tausende Menschen in Moskau, Sankt | |
Petersburg, Jekaterinburg und anderen Städten quer durchs Land, um gegen | |
den Krieg zu demonstrieren. Jeden Abend nehmen Spezialkräfte der russischen | |
Polizei Hunderte von ihnen fest. Allein am Sonntag waren es laut der | |
Bürgerrechtsorganisation OWD-Info mehr als 2.000. Die russische | |
Generalstaatsanwaltschaft drohte mit Verfahren wegen Staatsverrats, sollten | |
russische Bürger „ausländischen Staaten mit jeglicher beratender Tätigkeit | |
helfen, die gegen die Sicherheit Russlands gerichtet ist“. Darauf stehen 20 | |
Jahre Freiheitsentzug. Selbst Menschen, die eine ukrainische Flagge in ihr | |
Fenster hängen, werden von der Polizei abgeholt. | |
Manche Behördenvertreter*innen sprechen von Verrätern. Die | |
Vorsitzende des Föderationsrates, Walentina Matwijenko, zog die Kritik der | |
Menschen am [3][russischen Militäreinsatz gegen die Ukraine] ins | |
Lächerliche. „Manche Leute denken halt an ihre jetzigen Sorgen. Nicht an | |
die Sicherheit eines so großen Landes zu denken, das auf der Weltbühne so | |
wichtig ist, nicht daran zu denken, dass eines schönen Tages jemand von der | |
Souveränität unseres Landes etwas abbeißen könnte, von den Öl- und | |
Gasfeldern – all das ist nicht zulässig“, sagte sie. Der Kreml-Sprecher | |
Dmitri Peskow meinte, die Menschen hätten kein Recht zu demonstrieren. | |
„Von einer neuen Runde der Konfrontation mit dem Westen wird oft eine | |
Destabilisierung in Russland erwartet. Das Gegenteil ist der Fall“, schrieb | |
die russische Politologin Tatjana Stanowaja, da waren russische Flugzeuge | |
noch nicht über Kiew geflogen. Die Kontrolle im Inneren werde sich noch | |
weiter verstärken, so Stanowaja, die Dominanz der konservativen, | |
antiliberalen und antiwestlichen Elite weiter zunehmen. | |
## Tochter eines Kreml-Sprechers postet eine Friedensbotschaft | |
Die Angst ist groß in Russland. Aber auch das Entsetzen. Mehr als 6.000 | |
Ärzt*innen unterschrieben einen offenen Brief: „Vor Schmerzen schreien | |
alle in einer Sprache.“ Lehrer*innen schrieben: „Jetzt zu schweigen, | |
wäre schrecklich. Es wäre eine Schande.“ Wissenschaftler*innen legten | |
dar: „Die Verantwortung trägt Russland allein. Es ist ein fataler Schritt | |
ins Nirgendwo.“ Sportler*innen, Schauspieler*innen, Journalist*innen, | |
Wohltätigkeitsorganisationen, Regisseur*innen, Sänger*innen, | |
Künstler*innen, Blogger*innen, Buchhändler*innen, sie alle lehnen | |
sich gegen ein Regime auf, das ihr Land zu einem Pariastaat gemacht hat. | |
Selbst Jelisaweta Peskowa, die Tochter des Kreml-Sprechers Dmitri Peskow, | |
postete auf ihrem Instagram-Account vor einem schwarzen Hintergrund: „Nein | |
zum Krieg“. Kurze Zeit später war der Satz wieder weg. | |
28 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Inna Hartwich | |
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