# taz.de -- Gewaltenteilung in Tunesien: Saied baut Kontrolle über Justiz aus | |
> Tunesiens Präsident schuf am Sonntag per Dekret einen neuen Obersten | |
> Justizrat, dessen Mitglieder er teils selbst ernennt. Tausende gingen | |
> daraufhin auf die Straße. | |
Bild: „Rettet unsere Demokratie!“ – Proteste in Tunis am Sonntag | |
TUNIS afp | Tunesiens Präsident Kais Saied hat seine Kontrolle über das | |
Justizsystem des Landes ausgebaut. Saied schuf am Sonntag per Dekret einen | |
neuen Obersten Justizrat, dessen Mitglieder der Staatschef zum Teil selbst | |
ernennt und die er disziplinarisch belangen kann. Im Zentrum der Hauptstadt | |
Tunis demonstrierten daraufhin mehr als 2.000 Menschen für die | |
Unabhängigkeit der Justiz. | |
„Das Volk will, was ihr nicht wollt“, skandierten die Demonstranten. „Das | |
Volk will den Sturz des Regimes“, hieß es zudem – ein beliebter Slogan der | |
[1][Proteste, die 2011 zum Sturz des Langzeit-Machthabers Zine El-Abidine | |
Ben Ali] geführt hatten. Demonstranten trugen Schilder mit Parolen wie | |
„Rettet unsere Demokratie!“ und „Rührt die Justiz nicht an!“ | |
[2][Saied hatte den bisherigen Obersten Justizrat (CSM) vor einer Woche | |
aufgelöst] und „bestimmten“ Mitgliedern des 45-köpfigen Gremiums | |
Parteilichkeit, Korruption und die Verschleppung von Verfahren vorgeworfen. | |
Nach Einschätzung von Beobachtern zielte der Schritt vor allem auf die | |
islamistische Ennahdha-Partei ab, die seit Ben Alis Sturz starken Einfluss | |
auf die tunesische Politik hatte. | |
Der neue Justizrat soll dem Erlass zufolge „temporär“ sein. Neun seiner 21 | |
Mitglieder werden demnach direkt vom Präsidenten ernannt. Die restlichen | |
Richter unterliegen indirekt ebenfalls der Kontrolle des Staatsoberhauptes, | |
denn dieses kann sie entlassen, wenn sie ihre „Berufspflichten“ verletzen. | |
## Streiks sind untersagt | |
Außerdem ist es nun „Richtern aller Dienstgrade untersagt, zu streiken oder | |
organisierte kollektive Aktionen durchzuführen, die den normalen Betrieb | |
der Gerichte stören oder verzögern könnten“. Infolge der Auflösung des CSM | |
hatten Richter in den vergangenen Tagen landesweit gestreikt, um eine | |
Beschneidung ihrer Unabhängigkeit anzuprangern. | |
Das Dekret „schreibt die Unterordnung der Justiz unter die Exekutive fest“, | |
sagte Said Benarbia, Regionaldirektor der Internationalen | |
Juristenkommission. „Wenn es umgesetzt wird, würde es die Unabhängigkeit | |
der Justiz und die Gewaltenteilung in Tunesien beenden und damit auch das | |
demokratische Experiment in diesem Land.“ | |
Saied hatte im Juli 2021 unter Berufung auf Notstandsgesetze die Regierung | |
und das Parlament des nordafrikanischen Landes entmachtet. Der Präsident | |
regiert seither per Dekret. Im Oktober setzte er zwar eine neue Regierung | |
ein, deren Vollmachten sind jedoch sehr begrenzt. Das Parlament ist | |
weiterhin suspendiert. | |
Insbesondere die Ennahdha hatte das Vorgehen als „Putsch“ verurteilt. Unter | |
den Demonstranten am Sonntag in Tunis waren auch viele Ennahdha-Anhänger. | |
Auf Plakaten forderten sie die Freilassung des ehemaligen Justizministers | |
Noureddine Bhiri und des ehemaligen Beamten des Innenministeriums, Fathi | |
Baldi. | |
Die beiden Ennahdha-Politiker waren am 31. Dezember von Polizeibeamten in | |
Zivil verhaftet und später wegen „Terrorismus“-Delikten angeklagt worden. | |
Der 63-jährige Bhiri, der an Diabetes, Bluthochdruck und einem Herzleiden | |
leidet, befindet sich seit seiner Festnahme im Hungerstreik und wurde kurz | |
nach seiner Verhaftung ins Krankenhaus eingeliefert. | |
Aus Frust wegen anhaltender Blockaden aufgrund der zersplitterten | |
politischen Landschaft des Landes hatten viele Tunesier bislang den | |
Präsidenten unterstützt. Auch die Auflösung des CSM wurde von großen Teilen | |
der Bevölkerung ausdrücklich begrüßt. Ezzeddine Hazgui von der Bewegung | |
„Bürger gegen den Putsch“ sieht nun einen Wendepunkt gekommen: „Am 25. J… | |
hatte (Saied) viele Menschen hinter sich, jetzt ist er allein.“ | |
14 Feb 2022 | |
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