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# taz.de -- Politische Krise in Tunesien: Der Alleinherrscher teilt aus
> Präsident Saied drangsaliert die Opposition. Jetzt geht es den
> Ennahda-Islamisten an den Kragen. Ihr Vizechef tritt in der Haft in den
> Hungerstreik.
Bild: Ennahda-Pressekonferenz zur Verhaftung von Bhiri am 31. Dezember
Tunis taz | In Tunesien spitzt sich die Konfrontation zwischen Staatsmacht
und politischer Opposition weiter zu. Noureddine Bhiri, der zweite
Vorsitzende der moderat-islamistischen [1][Ennahda]-Partei, wurde am
vergangenen Freitag von Beamten des Innenministeriums vor seinem Haus
festgenommen und an einen unbekannten Ort gebracht. Das berichtete sein
Rechtsanwalt Samir Dolou am Wochenende.
Die Pressestelle der größten politischen Partei Tunesiens nannte die
„Entführung“ ihres Chefstrategen einen gefährlichen Präzedenzfall und
weiteren Schritt weg von der Demokratie. Seit Monaten fordert Ennahda-Chef
Rashid Ghannouchi von Präsident Kais Saied die Wiedereröffnung des im
Sommer geschlossenen Parlaments und Neuwahlen.
Tunesiens Innenministerium veröffentlichte am Samstag lediglich eine
Pressemitteilung, in der von Hausarrest von zwei nicht namentlich genannten
Personen die Rede ist. Die „Präventivmaßnahme“ sei zum Schutz der
„nationalen Sicherheit“ geschehen, hieß es weiter.
24 Stunden nach seiner Verhaftung wurde Bhiri in das regionale Krankenhaus
der Stadt Bizerte eingeliefert. Vor dem Gebäude kam es zwischen
Polizeibeamten und mehreren zur Verteidigung Bhiris eintreffenden
Rechtsanwälten zu heftigen Wortwechseln. Zunächst ging das Gerücht um, dass
Bhiri in lebensbedrohlichem Zustand sei, doch von der taz kontaktierte
Mitarbeiter des Krankenhauses bestritten einen möglichen Herzinfarkt.
Parteiaktivisten bestätigen jedoch, dass der Ennahda-Vize seit seiner
Verhaftung jegliche Nahrung und Medikamente verweigert.
Das wäre lebensbedrohlich, da Bhiri an mehreren chronischen Krankheiten wie
Diabetes leidet. „Normalerweise nimmt er 16 Tabletten am Tag“, sagt Mondher
Ounissi, Arzt und Mitglied des Ennahda- Exekutivbüros.
Die tunesische Aktivistengruppe „Bürger gegen den Putsch“ warnte, Präside…
Kais Saied sei für Bhiris Gesundheitszustand persönlich verantwortlich.
Mehrere ihrer Mitglieder sind seit dem 23. Dezember selbst im Hungerstreik
gegen die „Alleinherrschaft“ des Präsidenten. An diesem Tag war Monzef
Marzouki, Tunesiens erster Interimspräsident nach dem „Arabischen Frühling�…
2011, nach Saied-kritischen Äußerungen im Exil in Frankreich in Abwesenheit
zu vier Jahren Haft verurteilt worden.
## Seit 25. Juli keine demokratische Kontrolle
[2][Tunesiens Präsident Kais Saied] regiert seit seiner Absetzung der
Regierung und des Parlaments am 25. Juli [3][ohne jegliche demokratische
Kontrolle]. Premierministerin Najla Bouden wird regelmäßig zum Rapport in
den Präsidentenpalast geladen. Die Ennahda, seit der Demokratisierung
Tunesiens im „Arabischen Frühling“ Anfang 2011 an allen elf Regierungen
beteiligt, gilt als Saieds gefährlichster Gegner. Sie verlangt die Rückkehr
zur parlamentarischen Demokratie, Saied will lediglich ein Parlament aus
Lokalvertretern zulassen.
Da Saieds Vorgehen von den meisten Tunesiern noch immer unterstützt wird,
aus Enttäuschung über die geringen Leistungen der wechselnden Regierungen
seit 2011, hat Ennahda-Chef Ghannouchi den Begriff „Putsch“ für Saieds Coup
aus seinen Reden gestrichen und dem Präsidenten Kooperationsangebote
gemacht.
Ennahda-nahe Lobbyisten in Washington und Brüssel werden jedoch für die
Streichung der ausländischen Unterstützung des de facto brankrotten
tunesischen Staates verantwortlich gemacht.
Ebenfalls am Freitag begann der von Präsident Kais Saied im Dezember
angekündigte landesweite Bürgerdialog zur Erarbeitung einer neuen
Verfassung. Bis zum 20. März können Vorschläge und Ideen auf einer
Onlineplattform eingereicht werden. Eine von Saied ausgewählte Kommission
wird dann einen Verfassungstext ausarbeiten, über den am 25. Juli
abgestimmt wird, genau ein Jahr nach der Machtergreifung des
Universitätsprofessors.
Für den 14. Januar bereitet die Gruppe „Bürger gegen den Coup“
Massenproteste gegen Saied vor. Habib Bouajila, einer der Gründer,
bekräftigt gegenüber der taz, dass der bisher Saied-treue
Gewerkschaftsdachverband UGTT sich dem Aufruf anschließen wird. Dass sich
die Ennahda anschließen wird, gilt nach der Verhaftung Bhiris als
unwahrscheinlich.
3 Jan 2022
## LINKS
[1] https://twitter.com/ennahdhaparty
[2] /Tunesiens-Praesident-Kais-Saied/!5791874
[3] /Analyst-ueber-Tunesiens-Praesident/!5795604
## AUTOREN
Mirco Keilberth
## TAGS
Tunesien
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