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# taz.de -- Kinotipp der Woche: Filmsache Helke Sander
> Die Deutsche Kinemathek ehrt die Regisseurin und Vorreiterin des
> feministischen Films mit einer einwöchigen Werkschau im Arsenal.
Bild: „Die allseitig reduzierte Persönlichkeit – Redupers“, BRD 1978, Re…
Wie funktioniert das Patriarchat und wie hält es sich am Laufen? Die Suche
nach einer Antwort auf diese Frage zieht sich durch das Schaffen der
[1][Regisseurin Helke Sander]. Das kann dann satirisch überspitzt laufen,
wie in “Die Deutschen und ihre Männer – Bericht aus Bonn“ (1990), wo ein
gewisses Lieschen Müller aus Österreich in die damalige deutsche Hauptstadt
aufbricht und erst einmal laut brüllt: “Ich suche einen Mann“.
Und zwar einen halbwegs vernünftigen. Um dann jede Menge gockeliger
Krawattenträger vor die Kamera zu bekommen, die nur zu deutlich klar
machen, dass es ihnen im Patriarchat eigentlich ziemlich gut gefällt und
sie sich auch gar nichts anderes vorstellen können. Und das, was die Typen
ohne Schlips so von sich geben, klingt kaum fortschrittlicher.
Die Erforschung einer Welt, die Männer bevorzugt für ihresgleichen
eingerichtet haben, muss bei Sander aber nicht nur so humorvoll vor sich
gehen wie in “Die Deutschen und ihre Männer“, sondern kann auch so laufen
wie in ihrer mehr als dreistündigen Dokumentation “Befreier und Befreite“
(1992). In diesem Film geht die Regisseurin den Massenvergewaltigungen
deutscher Frauen in den letzten Tagen des 2. Weltkriegs nach, die vor allem
von Soldaten der Roten Armee begangen wurden.
Sander, die vorher lange zu dem Thema recherchiert hatte, befragt dabei
nicht nur Opfer, sondern auch damalige Soldaten. Sie hört sich alle
Geschichten an, von Männern, die relativieren, und von Frauen, die etwa
davon berichten, dass sie im selben Raum und zur selben Zeit vergewaltigt
wurden wie ihre Mütter.
Sander wertet nicht, wird an keiner Stelle emotional und versucht einfach
nur, herauszufinden, wie verbreitet Vergewaltigungen als Waffe, als Mittel
der Rache, damals wirklich war. Und was mit den Kindern passiert ist, die
aus diesen Taten hervorgingen.
## Tabuisierte Themen
Das Thema war damals tabuisiert, ein Stück weit ist es das heute noch.
Sander musste sich anhören, einen revanchistischen Film gedreht, eine
Täter-Opfer-Umkehrung vorgenommen zu haben. Dabei wollte sie einfach nur
aufklären und schuf damit einen epochalen Dokumentarfilm.
Für ihre Themen zu kämpfen, das war Sander zu dem Zeitpunkt längst gewohnt.
Sie war mittendrin in der 68er-Bewegung in Berlin, war Mitbegründerin des
“Aktionsrat zur Befreiung der Frauen“ und machte sich stark für
feministische Strömungen innerhalb der 68er-Bewegung.
Dass sie dabei nicht immer die Männer mit auf ihrer Seite hatte, so
revolutionär sich diese auch geben wollten, prägte dann auch ihre Arbeit
als Filmemacherin. Und als solche hatte sie wiederum damit zu kämpfen, dass
der “Neue Deutsche Film“, der damals antrat, das Opa-Kino für tot zu
erklären, auch wieder vor allem von Männern dominiert wurde.
## Vorreiterin des feministischen Kinos
Ein feministisches Kino in Deutschland musste erst noch erfunden werden.
Und als Vorreiterin eines solchen Kinos gilt heute Helke Sander, die nun
[2][zu ihrem 85. Geburtstag mit einer Werkschau im Kino Arsenal geehrt
wird].
Ein prototypischer Sander-Film, der wie so oft bei ihr Dokumentarisches,
Fiktionales und Autobiographisches verbindet, ist sicherlich “[3][Der
subjektive Faktor]“ (1981). Man wird zurückgebeamt in die Zeit der
Studentenbewegung. Springer enteignen!, Ho-Ho-Ho-Chi-Minh!, Kommunenleben,
alles da.
Eine junge Studentin will sich in dem Film ebenfalls engagieren, muss aber
feststellen, dass beim superwichtigen Plenum, wo gerade mindestens an der
Weltrevolution gearbeitet wird, nur die Männer wirklich etwas zu melden
haben. Geh doch in die Küche, wird ihr beschieden. Aber bloß in der Küche
zu hocken, das reicht ihr nicht.
## Zeiten des Aufbruchs
Man wird wunderbar zurückgeholt in die Zeit des Aufbruchs und diverser
Konflikte in diesem Film. Lenin-Poster an der Wand, Che Guevara mit einer
dicken Zigarre im Mundwinkel ebenso, und ständig wird repetiert, [4][was
der Rudi jetzt schon wieder Wichtiges von sich gegeben hat.]
Dazwischen immer wieder dokumentarisches Filmmaterial, auch vom Rudi. Und
dann kommen noch die Typen von der bürgerlichen Presse mit ihren speckigen
Lederjacken vorbei und wollen von den männlichen Komunarden vor allem
wissen, ob in der revolutionären Gemeinschaft denn nun wirklich jeder mit
jedem Sex haben würde.
Für die Bedürfnisse der Studentin, die auch noch ein Kind hat, bleibt da
ersteinmal nicht viel Raum. Der muss erst noch geschaffen werden. Wofür
sich die Studentin genauso einsetzt, wie es Helke Sander als Aktivistin wie
als Filmemacherin immer getan hat.
18 Feb 2022
## LINKS
[1] /!1416506/
[2] https://www.deutsche-kinemathek.de/de/waslaeuft?loc%5B%5D=13&mode=4&amp…
[3] /Der-subjektive-Faktor/!5376505/
[4] /Dutschke-Reden-auf-CD/!5811179
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
taz Plan
Filmgeschichte
Feminismus
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Rudi Dutschke
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