# taz.de -- Fragen und Antworten zu Sanktionen: Nicht ganz so einig | |
> Die EU beschließt Sanktionen gegen Russland, Deutschland stoppt | |
> Nord-Stream 2 und die USA drehen am Geldhahn. Mit welcher Wirkung? | |
Bild: Solidarität bei Minusgraden: Demonstrant:innen vor dem Parlament in Hels… | |
Welche Sanktionen sind gerade beschlossen worden? | |
Statt der lange angekündigten „massiven“ Sanktionen hat die EU ein | |
abgespecktes Paket beschlossen, das jederzeit aufgestockt werden kann. Die | |
Strafmaßnahmen zielen jetzt vor allem auf die abtrünnigen ostukrainischen | |
Regionen Donezk und Luhansk und all jene, die in der Staatsduma an der | |
Anerkennung dieser „Volksrepubliken“ beteiligt waren. Diese 351 | |
Abgeordneten dürfen nicht mehr in die EU einreisen, ihre Vermögenswerte in | |
der EU werden eingefroren. Dem Magazin Politico zufolge ist auch der | |
russische Finanzminister Sergej Schoigu darunter. Außerdem wurde der Handel | |
mit Unternehmen in den selbst ernannten Republiken untersagt. Banken, die | |
an der Finanzierung separatistischer Aktivitäten in der Ostukraine | |
beteiligt sind, werden auf eine schwarze Liste gesetzt. Und der Handel mit | |
russischen Staatsanleihen wird erschwert. Die USA verweigern Russland die | |
Aufnahme neuer Staatsschulden in Dollar, schrecken aber bislang vor einem | |
Boykott von russischem Öl und Gas zurück. Russland ist der drittgrößte | |
Öllieferant der USA, liefert im Jahr 2020 fast 27 Millionen Tonnen Rohöl. | |
Was ist mit Nord Stream 2? | |
Der – zunächst vorübergehende – [1][Stopp von Nord Stream 2] am Dienstag | |
ist keine klassische Sanktion. Sie wurde nicht im EU-Verband, sondern | |
allein durch die Bundesregierung beschlossen. Gazprom und andere beteiligte | |
Unternehmen könnten auf Milliardenkosten sitzen bleiben, das hängt aber von | |
den Details geltender Verträge ab – und die sind öffentlich nicht bekannt. | |
Mindestens genauso wichtig wie die Wirkung auf Russland war beim | |
Pipeline-Stopp das Signal gegenüber Deutschlands westlichen Verbündeten: | |
Die Bundesregierung hat bewiesen, dass sie bereit ist, wirtschaftliche | |
Opfer in Kauf zu nehmen. | |
Welche weiteren Sanktionen sind denkbar? | |
Die EU könnte Kremlchef Wladimir Putin persönlich belangen und seine | |
Vermögenswerte in der EU – etwa seine Yacht, die bis vor Kurzem im | |
Hamburger Hafen lag – beschlagnahmen. Bisher hat sie das vermieden, um die | |
Tür für einen Dialog nicht endgültig zuzuschlagen. Denkbar ist auch, | |
Russland komplett vom europäischen Finanzmarkt abzuschneiden und Geschäfte | |
in Euro zu erschweren. Dies würde allerdings auch die Gasversorgung | |
gefährden, weil dann Geschäfte nicht mehr in Euro abgewickelt werden | |
könnten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat zudem | |
Exportbeschränkungen für sensible Technologien und Hightech-Produkte, wie | |
etwa künstliche Intelligenz, ins Gespräch gebracht. Ein offener | |
Wirtschaftskrieg könnte allerdings auch dazu führen, dass sich Russland | |
noch mehr China zuwendet. | |
Wer beschließt die Sanktionen? | |
Das erste Sanktionspaket haben die Außenminister:innen beschlossen. | |
Ein zweites, verschärftes Paket dürften aber die Staats- und | |
Regierungschefs auf den Weg bringen. Die EU hat für Donnerstag einen | |
Krisengipfel einberufen, ein Zeichen, dass die Sanktionen verschärft werden | |
sollen. Das müssen alle 27 EU-Staaten einstimmig beschließen. | |
Welchen Preis müsste Europa zahlen? | |
Im schlimmsten Fall würden Deutschland und die EU einen Markt verlieren und | |
von der Gasversorgung aus Russland abgeschnitten. Bei einem Totalausfall | |
von Gazprom wäre die Versorgung im nächsten Winter nicht gesichert. Bei | |
einem vollständigen Embargo auf „sensible“ Produkte würden deutsche | |
Hersteller wohl kräftig an Umsatz einbüßen. Das Ifo-Institut befragte in | |
seiner Studie aus dem Jahre 2020 auch deutsche Unternehmen. Demnach waren | |
vor allem ostdeutsche Unternehmen durch die Sanktionen beeinträchtigt. So | |
sahen sich etwa in Sachsen 60 Prozent der Unternehmen beim Export nach | |
Russland behindert. | |
Auch mildere Sanktionen können sich negativ auswirken. So sprang der Preis | |
für Naturgas an der Börse nach der Sanktionsdebatte am Dienstag um fast 10 | |
Prozent in die Höhe. Höhere Gas- und Strompreise können das Wachstum | |
abwürgen und die Inflation anheizen. | |
Wie einig ist sich der Westen? | |
Nicht so einig, wie es scheint. Nach außen wird zwar die Drohkulisse der | |
Sanktionen aufrechterhalten. Der ersten Sanktionswelle haben am Dienstag | |
alle 27 EU-Staaten zugestimmt. Doch zwischen den Hauptstädten laufen die | |
Telefondrähte heiß, denn die Risiken für die europäische Wirtschaft sind | |
hoch. Österreich und Italien haben bereits Vorbehalte angemeldet. Jedes | |
Land will den Handel mit Russland retten oder sich Kompensationen sichern. | |
Die EU-Kommission hat bereits Finanzhilfen für besonders betroffene Länder | |
oder Sektoren in Aussicht gestellt. Ob das reicht, um die Einheit zu | |
wahren, bleibt abzuwarten. Zudem gibt es die Sorge, dass Europa einen hohen | |
Preis zahlt, während die USA profitieren – etwa von neuen Aufträgen für | |
Flüssiggas-Lieferungen. | |
Wie gut ist Russland auf Sanktionen vorbereitet? | |
Moskau ist vorbereitet. Der Staat hat kaum Schulden, die Einnahmen sprudeln | |
infolge der hohen Öl- und Gaspreise und man hat ein dickes Polster an | |
Geldreserven. Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodkukt betrug die | |
Staatsverschuldung 2021 nur 18 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland | |
betrug das Verhältnis zwischen Schuldenstand und Einnahmen im Jahr 2021 | |
fast 70 Prozent, in der Eurozone lag die sogenannte Staatsschuldenquote bei | |
fast 100 Prozent. | |
Russland hat außerdem beachtliche Währungsreserven, diese betrugen nach | |
Angabe der German Trade & Invest zum 1. 11. 2021 über 460 Milliarden | |
Dollar. Seine Achillesferse ist allerdings die starke Abhängigkeit von | |
Rohstoffimporten. Laut einer Studie des Ifo-Instituts aus dem Jahr 2020 ist | |
Russland einseitig von der EU als Zulieferer und Abnehmer abhängig. | |
So gingen 2018 fast 50 Prozent der russischen Exporte (vor allem Rohstoffe) | |
in die EU, und 38 Prozent der russischen Importe (etwa Maschinen oder | |
Fahrzeuge) kamen aus der EU. Dagegen lieferte und bezog die EU nur maximal | |
5 Prozent ihrer Waren und Dienstleistungen nach und aus Russland. Heißt: | |
Wirtschaftlich sitzt die EU am längeren Hebel. | |
Wie heftig würden die Sanktionen Russland also treffen? | |
Die Sanktionen seien in ihrer Schärfe ein „deutlicher Warnschuss“ sagt | |
Janis Kluge, Russland-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). | |
Es bleibe gleichzeitig zwar vieles übrig, was noch nicht sanktioniert ist. | |
Das Paket erhöhe aber die Glaubwürdigkeit des Westens bei seinen Drohungen | |
mit weitreichenderen Sanktionen für den Fall eines großen Krieges. | |
Wie sich das Verbot des Handels mit den beiden selbst ernannten | |
Volksrepubliken auswirke, sei noch nicht genau einzuschätzen. Da es sich be | |
ihnen um Industrieregionen handele, sei die Wirkung aber größer als bei | |
vergleichbaren Sanktionen gegen die Krim 2014. Dass der Handel mit neuen | |
russischen Staatsanleihen verboten werde, löse keinen direkten finanziellen | |
Druck auf Russland aus. „Russland hat einen hohen Haushaltsüberschuss und | |
kann seinen Haushalt auch ohne ausländische Käufer gut finanzieren.“ | |
Allerdings habe schon die Drohung mit Sanktionen in den letzten Tagen die | |
Zinsen auch auf schon jetzt frei gehandelte russische Staatsanleihen | |
steigen lassen. Die Finanzierungskosten würden indirekt auch für russische | |
Unternehmen steigen. Am wichtigsten sind für Kluge die individuellen | |
Sanktionen gegen Duma-Abgeordnete und andere Personen. „Für einen Großteil | |
der russischen Eliten ist die EU der Ort für das schöne Leben. Die schmerzt | |
das jetzt“, sagt er. | |
Bringen Sanktionen etwas? | |
Dass Sanktionen wirtschaftliche Auswirkungen haben, bedeutet nicht | |
automatisch, dass sie politisch auch zum gewünschten Ergebnis führen. | |
Historisch gibt es Beispiele dafür, dass sie von Regimen erfolgreich als | |
Aggression des Auslands verkauft werden und in der Bevölkerung eher | |
Unterstützung für die Regierenden als Widerspruch auslösen. „Man sollte | |
nicht die Hoffnung haben, dass man Russland mit den Sanktion in seinem | |
Risikokalkül beeinflusst“, sagt der Politikwissenschaftler [2][Johannes | |
Varwick im taz-Interview]. SWP-Experte Kluge sieht es allerdings anders. Ob | |
der Westen mit seinen Sanktionen Erfolg hat, sei zwar eine offene Frage. | |
Sofern der Kreml aber noch nicht entschieden habe, wie genau er sein | |
Militär einsetze, müsse man den Moment nutzen und versuchen, „Putins Kalkül | |
zu verändern“. Zum Jahr 2014 und der Annexion der Krim gebe es immerhin | |
einen großen Unterschied: Die aktuelle Entwicklung werde „jenseits der | |
Eliten und teilweise vielleicht auch in den Eliten nicht wirklich begrüßt“. | |
Welche Sanktionen waren bislang schon in Kraft? | |
Wirtschaftliche, finanzielle und persönliche Sanktionen beschlossen EU und | |
USA erstmals im März 2014, als Russland die Krim annektierte und | |
Separatisten im Donbass unterstützte. Diese richteten sich gegen Personen | |
und Institutionen, für sie gelten Reiseverbote, ihre Vermögen sind | |
eingefroren. Für Waren von der Krim und aus Sewastopol gilt ein | |
Einfuhrverbot in die EU, es gibt außerdem ein generelles Ein- und | |
Ausfuhrverbot für Waffen und Güter, die auch militärisch einsetzbar wären. | |
Außerdem ist Russlands Zugang zu sensiblen Technologien und | |
Dienstleistungen, die für die Erdölförderung und ‑exploration genutzt | |
werden können, eingeschränkt. | |
Was haben die bislang geltenden Sanktionen gebracht? | |
Wenig. Demokratischer ist Russland in den letzten acht Jahren nicht | |
geworden, im Gegenteil, die Räume für die Zivilgesellschaft werden enger. | |
Und der russischen Wirtschaft geht es trotz Sanktionen gut, auch die | |
ausländischen Investitionen haben in den vergangenen Jahren trotz geltender | |
Sanktionen wieder kräftig angezogen. Ohne diese Sanktionen lägen sie noch | |
viel höher, meint Matthias Schepp, Vorstandsvoritzender der | |
Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer in Moskau. | |
Doch es lief ja dennoch gut. Die deutschen Nettoinvestitionen lagen allein | |
in den ersten drei Quartalen des Jahres 2021 bei hohen 1,4 Milliarden Euro, | |
rechnet Schepp vor. „Noch zur Jahreswende haben unsere Firmen für 2022 mit | |
einem Boom gerechnet. Angesichts der dramatischen Zuspitzung des Konflikts, | |
hoher Kriegsgefahr und neuer Sanktionen droht das Plus in ein saftiges | |
Minus zu rutschen, wenn nicht diplomatische Lösungen gefunden werden“, so | |
Schepp zur taz. Die deutsche Wirtschaft erkenne selbstverständlich das | |
Primat der Politik an, erklärte Schepp. Und erinnerte gleichzeitig daran, | |
„dass selbst in den finstersten Zeiten des Kalten Krieges die Wirtschaft | |
als Gesprächskanal und Brücke gedient hat“. Derzeit sind 3651 deutsche | |
Unternehmen in Russland aktiv. Schepp rechnet trotz der angespannten | |
politischen Lage nicht mit massiver Abwanderung. | |
23 Feb 2022 | |
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