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# taz.de -- Country versus Schlager: Waldorf und Statler an der Alster
> Nicht ohne Triggerwarnung: Hamburgs Kultursenator und der örtliche
> Literaturhauschef legen gegeneinander Platten auf.
Bild: Diese Stiefel sind nicht nur zum Wandern
Endlich wieder Publikum. Im vergangenen Jahr hatten sie darauf verzichten
müssen und ins Leere gestreamt. Jetzt aber, kurz bevor der jüngste
Coronagipfel durchaus umstrittene Lockerungen bescherte, durften wieder
Zuschauer:innen live dabei sein, wenn [1][Hamburgs Kultursenator Carsten
Brosda] und der Leiter des [2][dortigen Literaturhauses] Rainer Moritz sich
streiten – oder zumindest so tun als ob.
Zum Plattenauflegen trafen sie sich am Dienstagabend schon zum fünften Mal,
diese beiden Arbeitspferde nicht nur des hansestädtischen Kulturlebens.
Brosda präsidiert neben seiner Behörde ja auch dem Deutschen Bühnenverband,
Moritz schreibt Bücher sowie unter anderem für die FAZ, kritisiert auch mal
im Radio. Echte Platten drehen sich bei diesen Zusammenkünften natürlich
keine, selbst unter der Puttendecke des Literaturhaus-Festsaals hat das
Playlistzeitalter Einzug gehalten.
Idee der jährlichen Zusammenkunft von Anfang an: Moritz bringt Schlager
mit, Brosda Country. Ob diese beiden Genres [3][Seelenverwandte seien oder
nicht], darüber entbrannte gleich so was wie der erste kleine Streit
zwischen den beiden gesetzten Herren. Dass sie mit dem Steckenpferd des
anderen wenig anzufangen verstünden, diese Pose ist schon mal ein wichtiger
Bestandteil des Konzepts. So geben sie eine Art Variation auf Waldorf und
Statler, diese grantelnden Logenbewohner aus der „Muppet-Show“, wobei die
natürlich nur selten selbst das Bühnenprogramm sind, über das sie umso
lustvoller mosern. Moritz dabei etwas redseliger, Brosda gerne auch mal
nonverbal: Als Michael Holms „Tränen lügen nicht“ erklang, setzte er eige…
mitgebrachte Noise-cancelling-Kopfhörer auf. Ebenfalls mitgebracht hatte er
die Cowboystiefel von damals, aus dem Jahr Highschool.
Ein Thema haben diese Abende auch, diesmal sollte es um „Männer und Frauen“
gehen. Was erst mal sehr allgemein klingt, dann aber doch überraschend gut
manch fundamentalen Unterschied zwischen den Genres offenzulegen
ermöglichte: Zumindest in [4][Brosdas Auswahl] kennt der Country reichlich
Frauen, die irgendwann merken, dass sie Besseres mit sich anfangen können,
als auf irgendwelche blöden Typen Rücksicht zu nehmen. Im deutschen
Schlager hingegen, wie er an diesem Abend dargeboten wurde, nun ja, müssen
wir nach einer Subversion tradierter Geschlechterrollen etwas länger
suchen.
Dass Moritz dann sogar „Triggerwarnungen“ aussprach – durchaus zur
Erheiterung des ausverkauften Saals, Altersschnitt etwas höher als bei
durchschnittlichen Lesungen –, das war die Koketterie des
Shitpost-Zeitalters: Ja, manches Stück auf seiner Liste wie [5][Vico
Torrianis „Schön und Kaffeebraun“] oder [6][Henry Valentinos „Im Wagen v…
mir“] wäre heute nicht mehr als Single vorstellbar. Oder wenn, dann
allenfalls im Gestus des Wird-man-doch-wohl-noch-singen-dürfen.
Auch Country hat natürlich seine zutiefst reaktionären Ecken. Aber an
diesem Abend an der Hamburger Außenalster wirkten sie doch entschieden
frischer, Brosdas innerlich unbehauste Stiefelträger mit ihren manchmal so
lose sitzenden Colts.
18 Feb 2022
## LINKS
[1] /Hamburgs-Kultursenator-Carsten-Brosda/!5727546
[2] https://www.literaturhaus-hamburg.de/
[3] https://www.theguardian.com/music/shortcuts/2018/nov/21/helene-fischer-schl…
[4] https://open.spotify.com/playlist/3znixkDQsj0ci1PJFq76cu?si=_BrsyeQrT1yVtyF…
[5] https://www.youtube.com/watch?v=sr56zEMAG94
[6] https://www.youtube.com/watch?v=8Khws0r1RD8
## AUTOREN
Alexander Diehl
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
Kolumne Großraumdisco
Hamburg
Schlager
Country
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Carsten Brosda
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