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# taz.de -- Country aus dem Emsland: Der Anarchist aus Aschendorf
> Die Emsland Hillbillies feiern Jubiläum. Gründer und Frontmann Hermann
> Lammers Meyer pendelt zwischen Papenburg und Texas – und ist auf der
> Suche nach Willie Nelson.
Bild: Genießt in den USA einen Exoten-Bonus: Country-Musiker Hermann Lammers M…
PAPENBURG taz | Um ein Konzert von Hermann Lammers Meyer und seiner Band
„Emsland Hillbillies“ zu ertragen, muss man die Kunst der selektiven
Wahrnehmung beherrschen – sonst ergreift man die Flucht. Die Line-Dancer
mit Indianern im Halbrelief an der Gürtelschnalle und T-Shirts mit
USA-Flaggen und heulenden Wölfen sind zwar nicht in der Überzahl, aber
unübersehbar stets in der ersten Reihe. Erloschenen Blickes tun sie ihre
ewig gleichen temperamentlosen Schritte in Formation, die Band scheint
egal, Hauptsache irgendwas mit Country-Musik.
Zu diesen Fans will Hermann Lammers Meyer eigentlich gar nichts sagen,
„meine Frau sagt immer: Hermann, Du redest zu viel“, aber dann tut er’s
doch. Ja, sagt er, die meisten von denen gingen ihm auch gehörig auf den
Geist. „In den Pausen wollen die immer, dass ihre mitgebrachten CDs
aufgelegt werden mit immer den gleichen vier Liedern, und wenn ich auf der
Bühne was erzähle, gucken die mich richtig böse an – die wollen tanzen und
nicht vollgelabert werden.“
Dabei ist das eigentlich das Schönste an den Konzerten der Emsland
Hillbillies, diese kleinen Geschichten, Anekdoten und die manchmal auch
schmutzigen Witze des 61-jährigen Lammers Meyer. Die Musik ist eher
unspektakulärer oldschool Honky Tonk, dargeboten freilich mit viel
Spielfreude und Können. Vor allem Lammers Meyer ist beeindruckend gut an
seiner Pedal Steel Guitar. „Ach“, sagt er, „da gibt’s viel bessere als
mich“ und zählt gleich ein halbes Dutzend amerikanischer Country-Musiker
auf. „Aber eins steht ganz klar fest: Ich bin definitiv der beste
Steelgitarrist in Aschendorf.“ Das kann er nun wirklich ohne Not von sich
behaupten, denn das emsländische Kaff vor den Toren Papenburgs zählt gerade
einmal 8.000 EinwohnerInnen. Hier hat Lammers Meyer vor 40 Jahren die
Emsland Hillbillies gegründet, und von der heutigen Besetzung ist er der
einzige, der von seiner Musik lebt.
## Geld oder Liebe?
Das geht zwar, wie er sagt, mehr schlecht als recht, „man wurschtelt sich
so durch“, aber bemerkenswert ist das allemal, denn die anderen
Ur-Hillbillies, die vor der Wahl zwischen Geld und Liebe standen, sind
ausgestiegen aus der Country-Welt: Carl Carlton wurde Gitarrist bei Stars
wie Manfred Mann, Eric Burdon oder Joe Cocker und Produzent von Robert
Palmer, Udo Lindenberg und Madness. Und Gerd „Kralle“ Krawinkel sprang auf
den Neue-Deutsche-Welle-Zug: „Wir hatten damals eine zeitlang nichts mehr
von Kralle gehört und sind dann aus allen Wolken gefallen, als im Fernsehen
eine komische Band irgendwas von Dadada sang – und einer davon war Kralle“,
erzählt Lammers Meyer. Der Ex-Gitarrist von Trio lebt heute als
Musikproduzent in Spanien.
Auf erfolgversprechende Züge ist Lammers Meyer nie aufgesprungen, im
Gegenteil. Er entdeckte die Countrymusik bereits als Kind im Radio, im
GI-Sender AFN: „Und später hörten wir natürlich auch Bands wie The Eagles
oder Neil Young.“ Aber als seine Kumpels anfingen, Prog-Rock zu hören, „da
hab ich nicht mitgemacht. Das war Musik, die mir auf den Geist gegangen
ist.“
Er übte lieber Steelgitarre, „das hat lange gedauert, bis ich die halbwegs
spielen konnte“, und er schrieb Songs. Erst auf Deutsch, darunter auch
eingedeutschte US-Songs wie „Redneck Mother“: „Da hab ich gesungen: tritt
den Hippies in den Arsch. Wenn ich den Song heute spiele, sing ich immer
von Yuppies, denn Hippies gibt’s ja gar nicht mehr.“ Zwei Platten hat er
zusammen mit Achim Reichel gemacht, da hätte es werden können mit einer
Karriere in Deutschland – schließlich haben Truck Stop das damals auch
geschafft. Aber: „Ich würde eher im Bergwerk arbeiten, als solche Sachen zu
singen wie Truck Stop“, sagt der gelernte Reedereikaufmann. Und er hat auch
nicht mitgemacht, als Reichel große Pläne für ihn hatte: „Der wollte, dass
ich den Cowboyhut abnehme, mich im Ostfriesennerz auf einen Melkschemel
setze und so einen Blödsinn mache wie Ingo Insterburg.“
Nein, Lammers Meyer wollte emsländisch-stur genau bei dem bleiben, was er
immer schon mochte. Und machte sich auf die Suche nach „echter“
Country-Musik. Fündig wurde er vor allem bei Hank Williams und den
„Outlaws“ wie Waylon Jennings, Kris Kristofferson, David Allan Coe, Johnny
Cash oder Willie Nelson, die Nashville in den 70er-Jahren ganz bewusst den
Rücken gekehrt haben, weil sie mit dem dortigen Musik-Establishment nichts
mehr zu tun haben wollten.
Bis heute schlägt sein Herz für diejenigen, „die auch in Amerika nie
wirklich ein Bein auf die Erde kriegen“. Vor Superstars wie Garth Brooks
oder Shania Twain gruselt’s ihm: „Da musst Du nur gut aussehen und gut
funktionieren und immer vorsichtig sein. Bestes Beispiel sind die Dixie
Chicks: Als die öffentlich was gegen George W. Busch gesagt haben, haben
Leute auf offener Straße CDs von denen verbrannt. Ich dachte nur: Au
Scheiße, das kommt mir aber bekannt vor!“ Damals wollte Lammers Meyer nie
wieder in die USA: „Als ich Bush gesehen habe, wie er da mit seinen
komischen glasigen Augen den Irak-Krieg zu einer Art heiligem Krieg erklärt
hat, hab ich mir vorgenommen, nicht mehr hinzufahren.“ Aber irgendwann hat
er’s natürlich doch wieder getan. „Es gibt halt nirgends sonst so gute
Musiker.“
## Herman the German
Und da sind ihm „gute Typen und gute Geschichten“ wichtiger als
überflüssige Effekte und geschliffene Kanten. „Seelenloser Mist ist das“,
schimpft er, „bloß, damit’s auch ja allen gefällt.“ Und damit
ausschließlich er entscheiden kann, mit wem er Musik macht und wie sie zu
klingen hat, hat er mit „Desert Kid Records“ einfach selbst ein
Plattenlabel mit Sitz in Aschendorf/ Emsland gegründet. Sein aktueller
Album-Titel „Nashville is rough on the living“ entstammt dem gleichnamigen
Song von Shel Silverstein und prangert das Geschäft mit der glattgebügelten
Fließband-Musik an.
Lammers Meyer, der seine musikalische Wahlheimat denn auch nicht in
Nashville, sondern in Houston, Texas gefunden hat, nimmt das keiner übel.
In den USA wird er liebevoll „Herman the German“ genannt und „ja, bestimmt
genieße ich dort einen gewissen Exoten-Bonus“, sagt er. Regelmäßig nimmt er
Duette mit amerikanischen KollegInnen wie Johnny Bush, Sandra Caroll und
George Chambers auf, hat im „Astrodome“ in Houston vor mehr als 15.000
Menschen gespielt – und überall ist das Publikum vor allem von seinen
deutschen Liedern entzückt, auch wenn sie kein Wort verstehen von den
plattdeutsche Versionen von Songs wie „Fräulein“, „Marie, oh Maria“, d…
eingedeutschten „Desperados Waiting For The Train“ von Guy Clark, das
Lammers Meyer kurzerhand nach Wilhelmshaven verlegt hat oder der schrägen
Geschichte von Bauer Barnes Mühle, die von Ufos über dem emsländischen
Rhede erzählt.
Fragt man Lammers Meyer, was das bisher schönste Erlebnis seiner
musikalischen Laufbahn war, nennt er keine der Auszeichnungen, die er
eingeheimst hat – in diesem Jahr war’s der Deutsche Countrypreis – und au…
kein Konzert, sondern die beiden Duette, die er mit Willie Nelson
aufgenommen hat. Nelson ist sein Held: „Der macht einfach alles und kann
einfach alles. Mein Sohn hört HipHop und kennt Willie Nelson, Reggae-Fans
kennen Willie Nelson, alle kennen Willie Nelson.“ Und alle lieben ihn, auch
die größten US-Patrioten, obwohl Nelson bereits mehrfach mit größeren
Drogenmengen geschnappt wurde und sich für die Legalisierung weicher Drogen
genauso einsetzt wie für den Umweltschutz und gegen Waffen und Rassismus.
„Man sagt“, erzählt Lammers Meyer, „dass Willie auf dem Dach vom Weißen
Haus mit Jimmy Carter gekifft haben soll.“
Zum 40. Geburtstag der Emsland Hillbillies wollte Lammers Meyer eigentlich
ein Tribute-to-Willie-Album fertig haben, „aber das klappt wohl nicht. Die
Cover-Songs sind fertig, die beiden Duette sollen auch drauf, aber ich will
unbedingt wenigstens ein, zwei neue Lieder für das Album gemeinsam mit
Willie einsingen – das ist allerdings leichter gesagt als getan.“ Denn
Superstar Nelson zu erwischen und zu engagieren, ist für einen
emsländischen Cowboy mit eigenem Mini-Plattenlabel fast so schwer wie ein
Date mit Obama: „Der ist rundrum abgeschirmt, und über sein Management geht
das gar nicht, die wollen da Kohle für sehen, die ich im Leben nicht
hätte“, sagt Lammers Meyer. „Sowas geht nur über persönliche Connections…
## Das Album kann warten
Die haben auch sein erstes professionelles Musik-Video möglich gemacht, vor
zwei Jahren, zum Song „Home of the damned“: „Ich habe vor sechs oder sieb…
Jahren eine Single mit dem mittlerweile verstorbenen Texaner David Pool
aufgenommen, der wochenlang auf Platz eins der European Country Charts war,
und dafür hat Pool mir einen kleinen Gefallen getan: Er kannte eine Frau,
die beim Film gearbeitet hat, und die hat dafür gesorgt, dass das Video
produziert werden konnte.“ Lammers Meyer hat der Spaß 2.500 Dollar
gekostet, „über eine Produktionsfirma wären es an die 80.000 geworden“.
Auf eine solche Gelegenheit wartet er nun wieder, und als Vermittler hat
Lammers Meyer seinen Kumpel Johnny Bush ins Visier genommen, der lange
gemeinsam mit Nelson in Bands gespielt hat: „Der soll ihn mal beim
Golfspielen abpassen und ihm Bescheid sagen, dass der Guy from Germany ihn
braucht.“
Die Hillbillie-Jubiläumsparty in der Stadthalle Papenburg ist vorbei, das
Jubiläumsjahr bald ebenso, „aber ich werde doch nicht bloß deswegen jetzt
ein Album auf den Markt schmeißen, das noch gar nicht fertig ist“, sagt
Lammers Meyer. „Diese Platte wird erst dann erscheinen, wenn sie genauso
geworden ist, wie ich mir das vorgenommen habe – und wenn es erst
übernächstes Jahr ist.“ Bis dahin macht er einfach weiter wie immer, mal
mit den Hillbillies, mal ohne. „Löppt schon, irgendwie“, sagt Herman from
Aschendorf.
13 Dec 2013
## AUTOREN
Simone Schnase
## TAGS
Emsland
Schwerpunkt Stadtland
Musik
Countrymusic
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