# taz.de -- Musiker Achim Reichel: „Fast ein zweiter Rex Gildo geworden“ | |
> Mit über 70 Jahren kehrt Reichel zu seinen musikalischen Anfängen zurück. | |
> Im Interview spricht er über Pedanten im Studio und nervige | |
> Beatles-Vergleiche. | |
Bild: Sänger und Gitarrist Achim Reichel: raucht gern Selbstgedrehte im Souter… | |
taz: Herr Reichel, Ihre neue Box „The Art Of German Psychedelic“ enthält | |
Ihre Studioalben von 1971 bis 1974 auf fünf CDs, dazu gibt es weitere CDs | |
mit unveröffentlichter instrumentaler Musik. Wer soll das alles hören? | |
Na die, die das wollen. Die Fans sind dafür verantwortlich, dass es die Box | |
überhaupt gibt. Noch vor zehn Jahren dachte ich: Das darf nie wieder | |
irgendwo erscheinen, das muss in meinem Archiv bleiben. Ein Fan schrieb | |
mir, man habe ihm gesagt, er könne jedes Achim-Reichel-Album blind kaufen. | |
Er habe sich dann mein experimentelles 1971er-Album „Die grüne Reise“ | |
geholt. Sein Kommentar: „So einen Scheiß habe ich noch nie gehört.“ | |
Warum also ausgerechnet jetzt diese Musik veröffentlichen, die einige Ihrer | |
Anhänger offenbar verstört hat? | |
Ich bin jetzt 73, da räumt man ein bisschen auf. Und mit dem | |
A.R.-&-Machines-Zeug hatte ich noch eine Rechnung offen. Außerdem kamen, | |
nachdem ich eine Website eingerichtet hatte, regelmäßig E-Mails von überall | |
her, aus Spanien, Italien oder auch aus England. Immer mehr Leute | |
interessierten sich wieder für meine Musik von damals. Und dann kam die | |
Anfrage, eine Box mit der alten Musik zu machen. Aus heutiger Sicht muss | |
man sagen: Ich war damit zu früh dran. Für das Prädikat, ein Pionier der | |
Loop-Technik zu sein, kann ich mir nichts kaufen. Für heutige Ohren ist das | |
vertrauter, früher gab es dafür weder eine Genre-Beschreibung noch einen | |
Markt. | |
Sie haben A.R. & Machines im September sogar in die Hamburger | |
Elbphilharmonie gebracht. | |
Nach meiner letzten Tournee dachte ich schon: Jetzt kannst du das Ganze so | |
langsam ausblenden. Ich mag es nicht, wie heute in dem Business gedacht | |
wird, da geht es nur um Klicks und Quote. Und dann traf ich zufällig den | |
Konzertveranstalter Karsten Jahnke. Er hat schon vor 45 Jahren meine | |
Konzerte gebucht, also spielte ich ihm Musik aus der Box vor. Er war | |
begeistert und fragte dann allen Ernstes, ob ich damit nicht in der | |
Elbphilharmonie auftreten wolle. Ich dachte, vielleicht gehen die Leute | |
nach ein paar Minuten, weil sie nur wegen des Gebäudes da sind. Aber nein! | |
Es rief auch keiner: „Wann singste denn endlich?“ Es gab sogar welche, die | |
alte A.R.-&-Machines-Transparente über die Balustraden gehängt hatten. Es | |
gab Standing Ovations! Ich dachte, mich küsst der Himmel. | |
Diese Musik, die man heute vielleicht als Proto-Techno bezeichnen würde, | |
basiert auf Experimenten, die Sie 1970 mit Ihrem damals neuen Bandgerät | |
Akai X-330D durchführten. | |
Ich wollte eigentlich nur ein Gitarrenmotiv aufnehmen, drückte den falschen | |
Knopf, und plötzlich kam das Motiv als Echo zurück. Plötzlich hatte ich | |
einen Gitarrenwald im Kopfhörer. Zu dem Zeitpunkt dachte ich gar nicht | |
darüber nach, was ich damit anfangen wollte. Ich war allerdings an einem | |
Punkt angelangt, an dem mich fragte, ob ich mein Leben lang Tanzmusik | |
machen will. Die Musik der Rattles geht nach außen. A.R. & Machines gehen | |
nach innen, dazu legt man die Beine hoch und lässt sich davontragen. Das | |
kannte ich bis dahin nur von der Klassik. | |
Aber das kann nicht nur auf offene Ohren gestoßen sein. | |
Mein Album „Die Grüne Reise“ nahm ich in einem Studio auf, in dem die | |
Toningenieure darauf bestanden, als Tonmeister angesprochen zu werden. | |
Extrem pedantische Menschen. Ich probierte im Studio einen neuen Verzerrer | |
aus, ein Geschenk von Tony Iommi von Black Sabbath. Da kam der Ingenieur | |
aus seiner Kabine und meinte: „Da zerrt doch was.“ Und ich darauf: „Ja, | |
geil, oder?“ Aber er machte sich Gedanken, ob es die Gütesicherung | |
beanstanden würde. Früher saßen in Hannover ein paar Typen im Presswerk, | |
die alles kontrollierten, was gepresst werden sollte. So waren die Zeiten | |
damals! | |
Der Pressetext beschrieb „Die Grüne Reise“ damals so: „Es wird empfohlen, | |
diese Platte zu Acid-Feten, euphorischen Höhenflügen, Liebesvereinigungen, | |
politischen Veranstaltungen und als Filmmusik zu spielen.“ | |
Was man eben früher so sagen musste, es gab Begriffe wie Chillout und | |
Trance ja noch nicht. Es war die ausklingende Hippie-Zeit, da kursierten | |
schon mal LSD und Meskalin. Mit Acid hatte ich es weniger, aber es war | |
schon so, dass man die Fantasie fliegen ließ, indem man sich einen drehte. | |
Ihre Droge wurde dann bald die Meditation. | |
Ich traf einen Freund, dessen Augen funkelten, dazu grinste er wie ein | |
Honigkuchenpferd. Er meinte, seitdem er transzendentale Meditation mache, | |
brauche er nichts mehr und wäre trotzdem druff. Ich ließ mich also in diese | |
Technik einführen, in einer Akademie für Persönlichkeitsentfaltung. Ich | |
nahm mein Echogerät und die Gitarre mit, mietete mir eine kleine Kammer und | |
machte 20 Minuten lang Yoga, dann 20 Minuten Meditation und direkt | |
anschließend eine Aufnahme. Ich spielte alles, was mir in den Sinn kam. | |
Daraus wurde die letzte A.R.-&-Machines-Platte „Autovision“. Danach dachte | |
ich: Jetzt ist das Thema abgefrühstückt. Man will sich ja nicht nur selbst | |
gut finden. | |
Vielleicht wollten Sie auch einfach zurück in die Charts? | |
Nun, bei A.R. & Machines sprach mein Musikerherz, ohne das einer | |
dazwischenredete. Die Plattenfirma hat mich einfach machen lassen, so lange | |
die Produktion nicht zu teuer wurde. Aber ich hatte eine junge Familie und | |
konnte das Geldverdienen nicht gänzlich vernachlässigen. Es gab einfach | |
keine kommerzielle Entwicklung. Und ich produzierte zu der Zeit Mitte der | |
70er-Jahre auch schon andere Bands wie Ougenweide, hatte ein eigenes Label | |
aus der Taufe gehoben. | |
Eigentlich sollten Sie ja Schiffssteward werden, oder? | |
Ich komme aus einer Seefahrerfamilie, schon mein Vater war Steward. Ich | |
wuchs auf St. Pauli auf, machte meine Kellnerlehre und begeisterte mich | |
nach Feierabend für Rock ’n’ Roll. Irgendwann hatte ich meine erste Gitarre | |
und stellte fest, dass man eigentlich nur drei Akkorde braucht. Dabei im | |
Rhythmus zu bleiben ist die eigentliche Schwierigkeit. So ging das mit den | |
Rattles los. | |
Dann kam bald der Star Club in Hamburg. | |
Genau, wir waren die erste deutsche Band, die dort offiziell spielen | |
durfte, bis dato waren nur Engländer und Amerikaner aufgetreten. | |
Anschließend saßen wir beim Bier mit den Beatles. Heute klingt das | |
unglaublich, damals war das normal. Der Star Club managte dann auch die | |
erste England-Tournee der Rattles, zusammen mit den Rolling Stones. Die | |
waren sauer, dass wir Chuck Berry spielten, weil das eigentlich ihr Ding | |
war. Also meinte ich: „Dann spielt ihr eben ‚Bye Bye Johnny‘ und wir | |
‚Johnny B. Goode‘.“ Aber auch das konnte nicht ewig gut gehen. Es hieß �… | |
uns immer, wie seien wie die Beatles, nur nicht ganz so gut. Wer mag das | |
schon sein ganzes Leben lang hören? | |
Ihre Rattles-Karriere wurde jäh unterbrochen, als Sie 1966 ihren | |
18-monatigen Wehrdienst ableisten mussten. Aus dieser Zeit kursiert ein | |
hübscher Schwarzweiß-Clip im Netz, in dem Sie mit Stiefeln, Uniform und | |
Gitarre bewaffnet auf einem Panzer sitzen und „Trag es wie ein Mann“ | |
trällern – zu kitschiger Orchesterbegleitung. | |
Das war die Idee der Plattenfirma, die meinte: Wenn du das singt, wird dich | |
die ganze Nation ans Herz drücken wollen. Ich sagte zu, denn ich hatte | |
Angst, dass es mit der Musik bald ganz vorbei sein könnte. Gott sei Dank | |
ist das kein Hit geworden, sonst wäre aus mir womöglich ein zweiter Rex | |
Gildo geworden. Das war schon ein bisschen peinlich. Nicht auszudenken, was | |
passiert wäre, wenn ich als nächstes „Ich bin stolz auf mein Land“ hätte | |
singen müssen. | |
Sind Sie zufrieden mit Ihrer Karriere? | |
Das Glück, 50 Jahre lang dauernd verschiedene Sachen machen zu dürfen und | |
dabei nicht unterzugehen, ist nicht jedem beschieden. Also denke ich: So | |
einen falschen Schädel trägste gar nicht durch die Gegend. | |
Was kann jetzt noch kommen? | |
Ich werde mir jetzt noch ein gutes Jahr A.R. & Machines geben. Das finde | |
ich viel spannender, als mir wieder ein paar Texte aus dem Kreuz zu leiern | |
und von meinen Befindlichkeiten zu singen. Ob diese Musik nun was für den | |
Massenmarkt ist – so what? | |
30 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Jan Paersch | |
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