# taz.de -- Veranstaltungsreihe in Hamburg: Gespräche übers Sprechen | |
> Ist der Liberalismus in Not? Eine Hamburger Veranstaltungsreihe | |
> thematisiert Streitkultur, Meinungs- und andere Freiheiten. | |
Bild: Meinungs- ist nicht Faktenfreiheit: Corona und seine Bekämpfung haben vi… | |
Hamburg taz | Darf man bestimmte Sachen neuerdings nicht mehr sagen? Wenn | |
ja: Wer darf es nicht – und wer verhindert es? Oder sind Diskurse vielmehr | |
vielfältiger geworden, weil nun auch Stimmen vertreten sind, die vorher | |
kein Gehör gefunden haben? Und empören wir uns über eingeschränkte | |
Meinungsfreiheit, wenn sie uns selbst betrifft, tolerieren solche | |
Einschränkung, fordern sie vielleicht sogar, bei anderen Ansichten? | |
Um Fragen wie diese herum haben die Hamburger Körber-Stiftung und das | |
dortige Literaturhaus [1][eine Veranstaltungsreihe konzipiert]: „Im Anfang | |
war das Wort. Sprache und Öffentlichkeit heute“, so sind sie überschrieben, | |
die insgesamt vier „Gespräche über den Wandel liberaler Gesprächskulturen�… | |
Den Anfang bildete Ende Januar ein Abend zur [2][„Gegenrede: Wozu braucht | |
es Streitkultur?“] mit dem Publizisten Michel Friedman und der Philosophin | |
Marie-Luisa Frick. | |
Auch wenn der Begriff Streit im Titel vorkam, zeigte sich dabei viel | |
Konsens – eine interessante Veranstaltung [3][war es dennoch]. Insbesondere | |
die Bedeutung entsprechender Bildung hoben die Diskutierenden hervor: | |
Essenziell für eine konstruktive Streitkultur sei die, sagte Friedman, | |
weshalb er die Einführung des Schulfachs „Dialogisches Gespräch und Streit�… | |
fordert. Auch für Frick, die in Innsbruck unter anderem [4][zur Ethik und | |
der philosophischen Ideengeschichte forscht], steht fest: Ein gerechter | |
Diskurs erfordert es, argumentative Fähigkeiten zu befördern. Denn | |
andernfalls beteiligten sich viele Menschen gar nicht erst an Debatten. Im | |
Ergebnis würde eine Demokratie zu einer Elitenveranstaltung. | |
Jeder Streit habe Voraussetzungen, um auch Erkenntnisgewinn zu ermöglichen, | |
so Friedman: Dazu zähle unter anderem die Anerkennung des Gegenübers, dem | |
man zum Beispiel nicht einfach unterstellen könne, bloß Unsinn zu erzählen. | |
Ebenso essenziell: die Frage der Tatsachen. Nur wenn ein Konsens über | |
anzuerkennende Fakten besteht, ist demnach auch ein ein sinnvolles Gespräch | |
möglich, konstruktiver Austausch. | |
## Immer wieder ein Aufreger: das Gendern | |
Dass man aber grundsätzlich streiten und im Gespräch bleiben muss, darüber | |
waren sich Friedman und Frick damals stets einig. Das muss bei den | |
kommenden Abenden der Reihe nicht zwingend auch der Fall sein. | |
„Sprechgewohnheiten: Was heißt denn Sprachsensibilität?“ ist an diesem | |
Dienstag nun ein Abend überschrieben, der ein zuweilen sehr emotional | |
behandeltes Thema hat: Soll man, muss man Gendern? Sollten bestimmte | |
Begriffe nicht länger verwendet werden, wenn diese Minderheiten verletzen? | |
Oder ist das schon ein Einknicken vor der „political correctness“? | |
Dabei trifft die Journalistin Petra Gerster, eine der ersten gendernden | |
Moderator*innen im deutschen Fernsehen, auf Ewa Trutkowski. Die | |
Bozener Linguistin lehnt aus sprachwissenschaftlicher Perspektive das | |
Gendern ab, was sie zu einer beliebten Gewährsperson [5][einschlägiger, | |
zumeist konservativer Medien] gemacht hat. | |
In einer Gesellschaft, die zunehmend pluralistisch geprägt ist und in der | |
somit vielfältigere Diskussionen stattfinden, verändert sich auch die | |
Wahrnehmung der Künste. Ist es etwa problematisch, Bilder mit heute als | |
sexistisch oder rassistisch bewerteten Motiven noch zu zeigen? Behauptet | |
die Kunst eine Autonomie gegenüber solchen gesellschaftlichen Diskursen? | |
Über diese Fragen sprechen Ende März dann die Frankfurter Kulturdezernentin | |
Ina Hartwig (SPD) und der Zeit-Journalist Hanno Rauterberg. | |
Meinungsfreiheit ist ein hochaktuelles Thema in einer Zeit, in der vielfach | |
von einer „Cancel Culture“ die Rede ist. Darf man bestimmte Dinge nicht | |
mehr sagen, ohne gesellschaftlich geächtet zu werden? Und wenn ja, ist das | |
wirklich eine neue Entwicklung oder gab es ähnliche Mechanismen schon vor | |
der Etablierung des Begriffs? | |
In der Abschlussveranstaltung „Schlagworte: Ist die Meinungsfreiheit | |
bedroht?“ werden am 27. April der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen | |
und die Schriftstellerin Eva Menasse miteinander diskutieren. Letztere | |
beschrieb in ihrem neusten Roman „Dunkelblum“ (2021) eindrucksvoll eine | |
Gesellschaft, in der über vieles nicht gesprochen werden kann. | |
21 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Sozialhistoriker-ueber-Diskussionskultur/!5829052 | |
[2] https://www.koerber-stiftung.de/veranstaltungsuebersicht/gegenrede-wozu-bra… | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=HGsMsrUutuQ | |
[4] https://marieluisafrick.net/de/ | |
[5] https://www.welt.de/kultur/article223818452/Gegenderter-Duden-Das-bildet-ni… | |
## AUTOREN | |
Lenard Brar Manthey Rojas | |
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