# taz.de -- Bestseller „Geflochtenes Süßgras“: Die Welt ist noch zu retten | |
> Robin Wall Kimmerer zeigt in ihrem Buch, wie indigenes Wissen und | |
> Naturwissenschaft eine Symbiose eingehen können. | |
Bild: Die Botanikerin und Ökologin Robin Wall Kimmerer reflektiert das Verhäl… | |
Die US-amerikanische Botanikerin und Ökologin Robin Wall Kimmerer hat, wie | |
so viele ihrer Landsleute, äußerst vielfältige Wurzeln, die in ihrem Fall | |
teilweise bis nach Europa, vor allem aber weit in die Geschichte ihres | |
Landes zurückreichen. Wall Kimmerer gehört der indigenen Nation der | |
Potawatomi an. | |
Zum Thema ihres Buches „Geflochtenes Süßgras“, das auf außergewöhnlich | |
[1][ganzheitliche Weise das Verhältnis von Mensch und Natur] reflektiert, | |
gehört auch ihre eigene Lebenssituation als im | |
positivistisch-naturwissenschaftlichen Geist gebildete Akademikerin, die im | |
Laufe ihres Erwachsenenlebens Wege gefunden hat, das kategorisierende | |
Denken der Wissenschaft und das auf Erfahrung und Naturbeobachtung | |
basierende, überlieferte indigene Wissen miteinander zu verbinden. | |
Das geflochtene Süßgras aus dem Buchtitel ist eine zentrale Metapher sowie | |
ein wichtiges Praxisbeispiel für gelungenes Zusammenleben, vielleicht | |
könnte man es sogar „Symbiose“ nennen, von Mensch und Flora. | |
Das wildwachsende Süßgras von Nordamerika (verwandt mit in Europa bekannten | |
Getreidearten), ein einst von indigenen Gemeinschaften auf sehr vielfältige | |
Weise genutzter Rohstoff, ist in seinen Beständen dramatisch | |
zurückgegangen. Wall Kimmerer berichtet von Forschungsarbeiten, die | |
eindeutig belegt haben, dass dieser Rückgang jedoch keinesfalls auf | |
übermäßige Ausbeutung der Bestände zurückzuführen ist, sondern im Gegente… | |
darauf, dass aus den bestehenden Flächen immer weniger entnommen wurde. | |
## Prinzip der Nachhaltigkeit | |
Die gesündesten und üppigsten Süßgrasflächen finden sich in der Nähe von | |
Siedlungen, deren BewohnerInnen weiterhin Süßgras ernten und verarbeiten. | |
Erst die Ernte ermöglicht es den Pflanzen, sich zu erneuern; wo nicht | |
geerntet wird, überaltern die Bestände und verschwinden mit der Zeit. Aber | |
die Erneuerung kann natürlich nur dann gelingen, wenn lediglich ein | |
gewisser Anteil der Pflanzen entnommen wird; ebenso wie man ein Gewässer | |
nicht leerfischen sollte, wenn man möchte, dass Jungfische nachwachsen. | |
Inwieweit kann das Prinzip dieser nachhaltigen „Ehrenhaften Ernte“, wie die | |
indigenen Völker Amerikas sie über Jahrtausende praktizierten, allgemein | |
wiederbelebt und auch auf andere Lebensbereiche übertragen werden? Wie | |
schaffen wir es, in der heutigen Überflussgesellschaft wieder eine so enge | |
Verbindung der Menschen zur übrigen lebenden Welt zu entwickeln, dass | |
ressourcenschonendes Verhalten normal wird? | |
Solche Überlegungen stehen im Hintergrund sämtlicher Kapitel dieses | |
vielseitigen Buches, in dem Wall Kimmerer auch aus ihrer beruflichen Praxis | |
als Professorin für Botanik erzählt und sehr viele verschiedene Aspekte im | |
Verhältnis von Mensch und Umwelt beleuchtet. Es ist eine reichhaltige, | |
bunte Themen- und Geschichtensammlung. | |
## Persönlicher Ton | |
Viele Kapitel gehen von persönlichen Erlebnissen der Autorin aus, | |
angefangen auf ihrem eigenen Grundstück, auf dem es unter anderem mehrere | |
große Ahornbäume sowie einen Teich gibt. Sie erläutert anschaulich, wie | |
Ahornsirup gewonnen wird (eine sehr arbeitsreiche Angelegenheit), was der | |
Unterschied zwischen einem eutrophen und einem oligotrophen Gewässer ist | |
oder warum die traditionelle indigene Anbauweise der „drei Schwestern“ | |
Mais, Bohne und Kürbis große Vorteile für die beteiligten Pflanzen hat. | |
Ein Kapitel handelt von einer Aha-Erlebnis-reichen Lehrexkursion mit | |
Studierenden, bei der die einzelnen Bestandteile des Teichrohrkolbens in | |
hingebungsvoller Handarbeit zu zahlreichen Gebrauchsgegenständen | |
verarbeitet werden, ein anderes berichtet von den verheerenden ökologischen | |
Folgen der Industriewirtschaft für den Onondaga Lake im Bundesstaat New | |
York, aber auch von den Möglichkeiten der Renaturierung zerstörter | |
Landschaften. | |
Manchmal gerät die Autorin etwas zu sehr ins Plaudern, und ein etwas | |
strengeres Lektorat hätte sicher etliche Redundanzen beseitigen können. | |
Aber egal; gerade der persönliche Ton, den Wall Kimmerer anschlägt, ist es, | |
der inspiriert und mitreißt. Deutlich spürbar steht hinter ihrem Schreiben | |
die Überzeugung, dass es möglich ist, diese Welt doch noch zu retten: Würde | |
es dafür nicht schon ausreichen, wenn alle Menschen lernten, die anderen | |
Lebewesen auf der Erde wieder wirklich wahrzunehmen und [2][zu | |
respektieren]? Mehr würde es doch gar nicht brauchen. | |
6 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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