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# taz.de -- Schweizer Referendum über Mediengesetz: Zuspitzen und herrschen
> Am Sonntag stimmt die Schweiz über ein neues Presseförderungsgesetz ab.
> Die Diskussion darüber ist nicht nur für helvetische Verhältnisse hitzig.
Bild: Plakate zur Volksabstimmung über das „Bundesgesetz über ein Massnahme…
Zürich taz | Irgendwann blieb Barbara Lüthi, „Club“-Moderatorin des
Schweizer Fernsehens, nichts anderes übrig, als energisch an die
coronabedingte Plexiglasscheibe im TV-Studio zu klopfen. Doch auch damit
konnte sie Philipp Gut nicht unterbrechen – der Mann war in Rage und
ignorierte die Moderatorin des renommierten TV-Talks. [1][In der Mitte
Januar ausgestrahlten „Club“-Ausgabe zum Mediengesetz] schrien sich die
Diskussionsteilnehmer nach wenigen Minuten derart an, dass die Aussagen nur
in Bruchstücken verständlich waren.
Vor allem Markus Somm, Chefredakteur des rechtsbürgerlichen Satiremagazins
Nebelspalter und der ehemalige Vizechefredakteur der rechten Weltwoche,
Philipp Gut, fielen den anderen Gesprächsteilnehmern beharrlich ins Wort.
Beide sind Gegner des Mediengesetzes, welches für die Medienhäuser
zusätzliche staatliche Gelder vorsieht und über das in der Schweiz in einer
Volksabstimmung am 13. Februar abgestimmt wird. Gut ist freier Journalist,
Kommunikationsberater und Geschäftsführer des Nein-Komitees. Moderatorin
Lüthi twitterte nach anhaltender Kritik an der Sendung schließlich: „Im
Sinne einer konstruktiven Diskussion hätte ich härter durchgreifen müssen“.
Seit Wochen wird in der Schweiz ungewöhnlich hitzig darüber debattiert, ob
die staatliche Medienförderung ausgeweitet werden soll. Es sind vor allem
die Gegner, welche Fakten und Zahlen bis zur Unkenntlichkeit
propagandistisch zuspitzen. Rechtsbürgerliche und Libertäre lehnen das
Paket ab. Die Mitte und die Linke hingegen unterstützen es mehrheitlich.
Beide Seiten nehmen für sich in Anspruch, die Medienfreiheit zu
verteidigen. Die Befürworter sagen: Dank staatlicher Unterstützung werde
die Medienvielfalt gesichert und die Redaktionen hätten mehr Ressourcen, um
angemessen arbeiten und entsprechend auch kritisch informieren zu können.
Die Gegner finden, dass die Journalisten dadurch ans Gängelband des Staats
genommen würden.
Unter dem Motto „Staatsmedien Nein“ hat das Nein-Komitee ein Referendum
gegen die Vorlage des Bundes eingereicht und relativ schnell genügend
Unterschriften sammeln können. Landesweit provoziert das Komitee mit
Plakaten, auf denen der Slogan „Keine Steuermilliarden für
Medienmillionäre“ steht. Zu sehen sind Hände, die in einen Sack voller Geld
greifen; ins Visier genommen werden so die drei Großverleger Michael
Ringier (Ringier), Pietro Supino (TX Group) und Peter Wanner (AZ Medien),
die neben kleinen Medienunternehmen ebenfalls Steuergelder bekommen sollen.
## In Bedrängnis
Unterstützung bekamen die Gegner von Coronaskeptikern, die ohnehin
unzufrieden sind mit der Pandemieberichterstattung der tonangebenden
Medien. Rechtzeitig zum Wahlkampfbeginn wurde [2][auf der Homepage des
Nebelspalters ein Video geleakt, das den Ringier-Geschäftsführer Marc
Walder in Bedrängnis brachte]. Der sagte im Februar 2021 bei einer
Onlineveranstaltung mit Blick auf die Pandemie: „Wir hatten in allen
Ländern, wo wir tätig sind – und da wäre ich froh, wenn das in diesem Kreis
bleibt –, auf meine Initiative hin gesagt: Wir wollen die Regierung
unterstützen durch unsere mediale Berichterstattung, dass wir alle gut
durch die Krise kommen“. Der Autor des zugehörigen Artikels, eben jener
Philipp Gut, ätzte: „Die Ringier-Medien, allen voran die Blick-Gruppe, sind
das Megafon des Staates“.
Mit dem Motto „Ja zur Medienvielfalt“ versucht das überparteiliche
Ja-Komitee das Stimmvolk für das Förderungspaket zu gewinnen. Diesem
Komitee gehören Parlamentarier aus allen Fraktionen außer der SVP an;
ebenso dabei sind kleinere regionale Medien wie die Engadiner Post, aber
auch Ringier, Tamedia und die NZZ-Mediengruppe. Auf einem ihrer
Abstimmungsplakate zerschlägt der Schweizer Nationalheld Wilhelm Tell eine
Mauer aus Falschnachrichten.
„Wer Fakten statt Fake News will, sagt Ja zum Medienpaket“, ist darauf zu
lesen. „Die Gegner:innen der Medienförderung geben vor, für unabhängige
Medien zu kämpfen, und meinen damit intransparent finanzierte, rechte
Propaganda-Maschinen wie die Weltwoche oder den Nebelspalter“, warnen sie
auf ihrer Homepage. „Mit einem drohenden Nein zum Medienpaket könnte der
Lebenstraum des SVP-Oligarchen Christoph Blocher Realität werden: Eine
Medienlandschaft, die von Rechtspopulist:innen und ihren Financiers
beherrscht wird.“
Seit rund 170 Jahren subventioniert die Schweiz die Zustellung von
Zeitungen und Zeitschriften mit der Post, was die Verlage finanziell
entlastet. Weil Zeitungen immer mehr Abonnenten verlieren und damit die
Zustellung pro Zeitungsexemplar immer mehr kostet, weil Werbeeinnahmen
schrumpfen und seit 2003 rund 70 Printtitel in der Schweiz verschwunden
sind oder mit anderen fusionierten, soll diese indirekte Medienförderung
nun für sieben Jahre aufgestockt werden. Diese Zusatzfinanzierung soll den
Verlagen helfen, den Strukturwandel auf den digitalen Markt zu meistern.
Neu hinzu kommen eine Unterstützung von Onlinemedien in Höhe von 30
Millionen Franken sowie Beiträge an die mediale Infrastruktur. Insgesamt
151 Millionen Franken kostet das Hilfspaket. Inhaltliche Vorgaben für die
Unterstützungsgelder macht das Gesetz keine. Es müssen nur formale
Kriterien erfüllt werden. So soll vermieden werden, dass der Staat das
Informationsangebot beeinflussen kann.
„Diese Medienförderung hilft den superreichen Verlegern mit ihren Yachten
und Kunstsammlungen“, kritisiert Christian Keller, Chefredakteur des Basler
Onlineportals Prime News. „Zu siebzig Prozent profitieren die drei
Großverlage der Schweiz, die kleinen bekommen Almosen. Es gibt da viele
falsche Hoffnungen“, warnt Keller, der sich gegen das Förderpaket
engagiert. Beobachter weisen allerdings darauf hin, dass die 70 Prozent
nicht zutreffen. Schätzungsweise liegt der Anteil der großen Verlage am
Hilfspaket bei 30 bis 50 Prozent. Genau lässt sich das derzeit nicht
berechnen, da die Ausführungsbestimmungen zum Mediengesetz noch nicht
bekannt sind.
## Teilweise überlebenswichtig
Das Gesetz legt allerdings fest, dass die kleinen Medien überproportional
profitieren sollen. Camille Roseau, Präsidentin des Ja-Komitees, sagt: „Das
Förderpaket wurde explizit auch für die kleineren Medien geschnürt, es soll
ihnen finanzielle Stabilität ermöglichen und damit in Randregionen für die
notwendige Medienvielfalt sorgen.
Großverlage bekommen im Verhältnis weniger Förderung als kleinere Verlage,
weil für hohe Umsätze tiefe prozentuale Zuschusssätze vorgesehen sind.“
Kleine Verlage mit tiefen Umsätzen dagegen würden mit hohen Zuschusssätzen
relativ gesehen stärker gefördert. „Deswegen liegt die Verteilung der
Fördermittel mindestens bei 50/50.“ Kleine Betriebe dürften wegen der
Kritik an der Hilfe für die Großen „nicht in Sippenhaft genommen werden.
Für die Kleinen sei es teilweise überlebenswichtig“, hält die Werberin der
Wochenzeitung WOZ der Kritik entgegen.
Gemäß dem neuen Mediengesetz müssen die geförderten Redaktionen den
Jugendschutz beachten und die einschlägigen Regeln der journalistischen
Praxis einhalten. Die Gegner befürchten, dass der Staat so Einfluss nehmen
kann. Christian Keller aus Basel sagt: „Darf ich dann nicht über Gewalt
schreiben? Erklärt mir dann ein Beamter, dies verstoße gegen das
Jugendschutzgesetz? Was ist mit branchenüblichen Standards gemeint? Wer
beurteilt, was das ist?“
Mit den „branchenüblichen Standards“ bezieht sich das Gesetz auf den
Pressekodex, der vom Schweizer Presserat festgelegt wird. Diesem Gremium
gehören keine Staatsvertreter an. Allerdings ist vorgesehen, dass der
chronisch unterfinanzierte, von einer Beschwerdeflut überlastete Presserat
ebenfalls vom Hilfspaket profitieren soll. Stefan Wabel, Geschäftsführer
des Verbands Schweizer Medien, sagt: „Es gibt keine Leistungsaufträge und
keine informellen Schrauben in der Verteilung der Fördergelder, an welchen
die öffentliche Hand drehen könnte. Damit ist die Unabhängigkeit
garantiert“.
Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) ist von der
Initiative nicht betroffen, weil sie – vergleichbar dem System in
Deutschland – durch die Medienabgabe finanziert wird. [3][Dennoch steht die
SRG unter politischem Druck.] Zwar wurde 2018 die Volksinitiative „No
Billag“, die eine Abschaffung der TV- und Radiogebühren verlangte, mit
einem Nein von 71 Prozent abgelehnt, doch Kritiker des öffentlichen Radios
und Fernsehens, unter ihnen nicht zuletzt die SVP, drohen mit weiteren
Initiativen. Die Rede ist von einem Vorstoß zur Halbierung der Gebühren,
die derzeit jährlich 335 Franken betragen.
„Die politischen Diskussionen um Sinn und Zweck der SRG hinterlassen im
Programmangebot offensichtlich Spuren“ [4][kommentierte der frühere
NZZ-Medienredakteur Rainer Stadler die „Club“-Sendung vom Januar] und
kritisierte: „Aus Angst vor Kritik aus dem rechten Lager übt man sich in
Demutsgesten.“ Gemäß einer Anfang Februar veröffentlichten SRG-Umfrage ist
der Ausgang der Abstimmung über das Mediengesetz völlig offen. Das
Nein-Lager ist derzeit leicht stärker als jenes der Befürworter.
Anmerkung: Die Autorin ist Redakteurin der WOZ.
12 Feb 2022
## LINKS
[1] https://www.srf.ch/play/tv/club/video/mediengesetz---die-vierte-gewalt?urn=…
[2] /Medien-CEO-sorgt-fuer-Empoerungswelle/!5824989
[3] /Rundfunk-Abstimmung-in-der-Schweiz/!5486246
[4] https://www.infosperber.ch/author/rainer-stadler/
## AUTOREN
Cigdem Akyol
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