# taz.de -- Konflikt zwischen Russland und Ukraine: Reden, reden, reden | |
> Bei seiner US-Visite musste Kanzler Scholz Zweifel an Deutschlands Rolle | |
> aus dem Weg räumen. Die schwierigen Verhandlungen stehen aber noch bevor. | |
Bild: Kanzler Olaf Scholz im Schlabber-Look auf dem Flug nach Washington am 6. … | |
taz | Scholz trifft Biden; Macron trifft Putin; [1][Scholz und Macron | |
treffen Duda]. Die Reisediplomatie rund um den Russland-Ukraine-Konflikt | |
hat auf oberster Ebene derzeit eine fast hektische Frequenz. Das große Ziel | |
ist klar: Es gilt, einen Krieg zu verhindern. Im Westen weiß niemand, ob | |
Russland die Ukraine wirklich angreifen will oder ob der Truppenaufmarsch | |
eine Machtdemonstration ist. Das Motto heißt jetzt: Reden, reden, reden. | |
Ein klares Ergebnis gibt es nicht. Aber es zeichnen sich Tendenzen ab. | |
Aus deutscher Sicht gibt es schon mal eine neue Erkenntnis über Olaf | |
Scholz. Er ist, nachdem er lange von der Bildfläche verschwunden war, | |
wieder da. Und vitaler als zuvor. Im hard talk bei CNN in Washinghon | |
konterte Scholz am Montag präzise in flüssigem Englisch kritische Fragen. | |
Dass Berlin Putin unterstütze, sei „absoluter Unsinn“. Ebenso, dass Berlin | |
Überflugrechte für Nato-Flugzeuge verweigere. Scholz antworte genau, ohne | |
die berüchtigten Schachtelsätze und Ausweichmanöver. | |
Falls der Kanzler demnächst auch auf Deutsch Klartext redet, könnten auch | |
seine im Sinkflug befindlichen Popularititätswerte wieder steigen. Scholz | |
hat seine Taktik geändert. Nur stille Diplomatie und ganz knappe Ansagen | |
sind zu wenig. „Ich will Bundeskanzler werden und nicht Zirkusdirektor“, | |
hat er mal gesagt. Aber um als Kanzler zu überleben, muss man eben auch mal | |
den Zirkusdirektor geben. | |
Das [2][Wall Street Journal] hatte kürzlich behauptet, dass Deutschland | |
kein verlässlicher Bündnispartner der USA mehr sei. Wegen Nord Stream 2 und | |
Berlins Weigerung, Waffen an die Ukraine zu liefern. Scholz betonte in | |
Washington, dass Berlin die Ukraine finanziell mit Milliarden unterstützt. | |
Das N‑Wort, Nord Stream 2, seit Jahren Zankapfel zwischen den USA und | |
Deutschland, erwähnt er nicht. Obwohl klar ist, dass die Pipeline, die wenn | |
überhaupt erst in Monaten genehmigt wird, bei einem Angriff Russlands auf | |
die Ukraine nicht in Betrieb gehen wird. | |
Scholz sei eben dickköpfig, hieß es in manchen Kommentaren. Aber sein | |
Kalkül ist durchaus rational. Weder die USA noch die EU benennen konkrete | |
Sanktionen. Warum also jetzt eine einzige Sanktion ankündigen? Scholz reist | |
nächste Woche nach Moskau. Nord Stream 2, Putins Lieblingsprojekt, vorab zu | |
versenken ist unklug. Außerdem drohen bei einem politischen Nein zu der | |
Pipeline Schadensersatzforderungen. | |
Nord Stream 2 jetzt zum Thema zu machen würde ein paar freundliche | |
Leitartikel und Schulterklopfen von US-Senatoren bescheren. Die Kosten | |
wären höher. Zu der Frage, ob die USA ihre milliardenschweren Ölkäufe in | |
Russland im Falle eines Falles stoppen würden, schwieg Biden übrigens. | |
Das Weiße Haus hält Berlin, anders als viele US-Medien und US-Senatoren, | |
für verlässlich. Zwischen Biden und Scholz passe in Sachen Strategie kein | |
Blatt. Man sei sich, so das wording des Weißen Hauses in | |
Hintergrundgesprächen, „absolut einig“, wie man auf einen Angriff auf die | |
Ukraine reagieren werde: „mit zusätzlichen Truppen an die Ostflanke und | |
umfangreichen Wirtschaftssanktionen“. | |
Und: Das Schöne an der Nato sei, dass „verschiedene Bündnispartner | |
unterschiedliche Ansätze für verschiedene Teile des Problems wählen | |
können“. Das heißt: Großbritannien liefert Waffen an die Ukraine, | |
Deutschland nicht. Das ist in Ordnung so. Auch die USA und Deutschland | |
spielen verschiedene Rollen, verfolgen aber das gleiche Ziel – mit | |
Verhandlungen und Sanktionsdrohungen einen Krieg zu verhindern. | |
Die Strategie von USA, Nato, EU ist es, Russland mit Sanktionen zu drohen | |
und mit Verhandlungen zu locken. Das klingt einfach, ist aber komplex. | |
Dafür muss die Drohkulisse plausibel sein. Laut Einschätzung des Weißen | |
Hauses sind sie das. Bei einem russischen Angriff werde es „ein schnelles | |
und strenges Sanktionspaket von USA und Europa“ geben. Scholz wiederholte | |
diese Formel fast wörtlich im CNN-Interview. | |
Während Scholz in den USA versuchte, die mitunter fragil erscheinende | |
Einheit des Westens zu kitten, saß Macron Putin in Moskau fünf Stunden an | |
einem bizarr langen Tisch gegenüber. Macron hatte danach mal gute | |
Nachrichten. Russland würde nach dem Manöver in Belarus seine Truppen | |
wieder abziehen. Putin wolle keine weitere Eskalation und habe ihm | |
versichert, er wolle „Stabilität und Integrität der Ukraine bewahren“. | |
Szenenwechsel. Dienstagabend im Kanzleramt, Berlin. Scholz tritt mit Macron | |
und Polens Staatschef Andrej Duda vor die Kamera. Die Statements sind knapp | |
und erwartbar. Die Botschaft ist die gleiche wie in Washington. Deutschland | |
spielt seine Rolle verlässlich in EU und Nato. Auch wenn Warschau wie immer | |
vieles anders sieht als Berlin. | |
Das Schwierigste kommt jetzt. Verhandeln, nicht um Zeit zu gewinnen, | |
sondern mit einem Ergebnis – einer Deeskalation zwischen Moskau und Kiew. | |
Macrons Besuch markierte da nur den ersten Schritt eines Marathonlaufs. | |
Deals sind nur denkbar auf Grundlage des Minsker Abkommens, dessen Bruch | |
beide Seiten seit Jahren sich gegenseitig vorwerfen. | |
Darüber verhandeln Deutschland, Frankreich, Russland und die Ukraine | |
derzeit im Normandie-Format. Es gibt Bewegung. Der ukrainische | |
Außenminister sieht „echte Chancen für eine diplomatische Lösung“, der | |
Kreml „positive Signale“. | |
Die EU und Nato reagieren geschlossen | |
Womöglich ist Putin in einer schwächeren Position, als derzeit viele im | |
Westen glauben. Ein Szenario wie 2014, als russische Soldaten klandestin | |
die Krim besetzten und der Westen fassungslos überrascht war, gibt es 2022 | |
nicht. Ein Sieg ohne Kampf ist für Moskau ausgeschlossen. Putins | |
Provokationen haben geschaffen, was Moskau nicht will: Die EU und Nato | |
reagieren ge- und entschlossen. Wie 2014 könnte Deutschland wieder eine | |
zentrale Rolle spielen. Damals organisierte Merkel die begrenzten | |
EU-Sanktionen gegen Russland, verhandelte mit Putin, und Berlin stieß das | |
Minsker Abkommen an. | |
Scholz ist in der nächsten Woche in Kiew und Moskau. Es ist das erste | |
Treffen des Kanzlers mit Putin. Scholz gilt als nervenstarker Verhandler. | |
Aber bislang ging es dabei um den Länderfinanzausgleich oder Deals in | |
Brüssel. In Moskau wird der Kanzler Merkels Pragmatismus mit einer | |
weitblickenden Strategie verbinden müssen, um Erfolg zu haben. | |
9 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Konflikt-zwischen-Russland-und-Ukraine/!5834392 | |
[2] https://www.wsj.com/articles/germany-reliable-american-ally-nein-weapon-sup… | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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