# taz.de -- Kommunikation im Ukrainekonflikt: Fahrplan mit vielen Fragen | |
> Gespräche im Normandie-Format gelten als Hoffnung im Ukrainekonflikt. | |
> Doch nicht nur die Auswahl der Gesprächspartner ist dabei strittig. | |
Bild: Ein ukrainischer Soldat am 8. Januar nahe der Front bei Luhansk in der Os… | |
So viel Normandie war nie: Ob eines Aufmarsches von 130.000 russischen | |
Soldaten an der russisch-ukrainischen Grenze wird der gleichnamige | |
Gesprächskreis dieser Tage inbrünstig beschworen. Das [1][Normandie-Format] | |
gilt als Chiffre, um einen russischen Einmarsch in das Nachbarland und | |
einen Krieg zu verhindern, den niemand wollen kann. | |
Krieg findet in der [2][Ostukraine] bereits seit 2014 statt, er hat rund | |
13.000 Tote gefordert und Millionen Ukrainer*innen zu Flüchtlingen | |
gemacht – was zuletzt immer weniger internationale Aufmerksamkeit fand. | |
Doch jetzt besteht offenbar Handlungsbedarf. Kürzlich fanden in Paris nach | |
über zwei Jahren Pause zwischen Russland, der Ukraine, Deutschland und | |
Frankreich auf Beraterebene wieder Verhandlungen im Normandie-Format statt. | |
Dafür, dass das Treffen keine greifbaren Ergebnisse brachte, fanden | |
Russland und sogenannte Expert*innen schnell einen Hauptschuldigen: das | |
„Kiewer Regime“, laut Moskaus Narrativ Folge eines 2014 aus dem Ausland | |
finanzierten Putsches, der eine „faschistische Junta“ an die Macht brachte. | |
Mit Leuten dieser Couleur in Frankreich hat Russlands Präsident Wladimir | |
Putin deutlich weniger Berührungsängste. Man darf gespannt sein, wie viel | |
der Kreml bei der diesjährigen Präsidentschaftswahl für die Kampagnen der | |
Rechtsausleger*innen Marine Le Pen und Eric Zemmour springen lässt. | |
Zurück zur Ukraine: Die russische Forderung, mit den prorussischen | |
Separatisten direkt über eine Umsetzung der Minsker Abkommen von 2014/15 zu | |
verhandeln, lehnt Kiew ab. Deren Führungspersonal gehörte neben Russland, | |
der Ukraine und der OSZE nicht zu den Erstunterzeichnern des Minsker | |
Protokolls vom September 2014 (Minsk I), die Unterschriften wurden erst | |
nachträglich hinzugefügt. | |
Dies ist weit mehr als eine Formalie: Eine Teilnahme der Separatistenchefs | |
von Lugansk und Donezk an den Gesprächen hieße, diese zu legitimieren. Und | |
sie bedeutete anzuerkennen, bei den militärischen Auseinandersetzungen | |
handle es sich um einen Bürgerkrieg, eine rein interne Angelegenheit der | |
Ukraine also. Doch das war dieser Konflikt, bei dem russische Soldaten „auf | |
Urlaub“ den Unabhängigkeitskämpfern bis heute freundliche Schützenhilfe | |
leisten, von Anfang an nicht. | |
## Einkommensverhältnisse sollen ausgeglichen werden | |
Derweil werden in den Gebieten Lugansk und Donezk weiter Fakten geschaffen | |
– ohne Waffen. Mittlerweile haben über 600.000 Bewohner*innen der | |
beiden „Volksrepubliken“ russische Pässe. Die waren auch auf der Krim vor | |
deren „freiwilligem Beitritt“ zur Russischen Föderation 2014 im Umlauf – | |
das Ergebnis ist bekannt. Ebenjene Pässe erlaubten auch eine Stimmabgabe | |
bei der russischen Dumawahl im vergangenen Herbst. Der ehemalige Donezker | |
Regierungschef Alexander Borodai und Sachar Prilepin, früherer | |
Feldkommandeur in Donezk, nahmen als Kandidaten teil. | |
Die Umarmung Russlands wird auch wirtschaftlich immer enger. Im November | |
2021 verfügte Wladimir Putin per Dekret die Öffnung des russischen Marktes | |
für Waren aus den „Volksrepubliken“. Diese hängen schon jetzt am Tropf | |
Moskaus. Medienberichten zufolge muss der Kreml zwischen 2022 und 2024 | |
umgerechnet mehr als zehn Milliarden Euro für Gehälter und Renten | |
hinblättern, um wie versprochen Einkommensverhältnisse herzustellen, die | |
mit denen im russischen Rostow vergleichbar wären. | |
Doch die Präsenz am Verhandlungstisch ist nicht die einzige strittige | |
Frage. Die politische Agenda für eine dauerhafte Beilegung des Konflikts | |
lässt Raum für unterschiedliche Interpretationen. Dabei geht es vor allem | |
um drei Punkte sowie deren zeitliche Abfolge: die Abhaltung von Lokalwahlen | |
in Lugansk und Donezk, die Annahme eines Gesetzes über einen Sonderstatus | |
für die „Volksrepubliken“ nebst Änderung der ukrainischen Verfassung sowie | |
die Wiederherstellung der vollen Kontrolle Kiews über die Staatsgrenzen im | |
ganzen Konfliktgebiet. | |
Noch im Herbst 2019 hatten sich Kiew und Moskau auf die sogenannte | |
Steinmeier-Formel (benannt nach dem Bundespräsidenten) geeinigt. Diese | |
sieht die Abhaltung von Wahlen in den „Volksrepubliken“ vor, am Tag der | |
Abstimmung soll zunächst ein vorläufiger Sonderstatus gelten. Sollte die | |
OSZE den Urnengang mit ihrem Gütesiegel versehen, fände dieser Sonderstatus | |
Eingang in die Verfassung. | |
## Neutralität der Wahlen ist anzuzweifeln | |
Dieser Fahrplan wirft Fragen auf. Wer garantiert, dass die Wahlen unter | |
Beobachtung stattfinden? Mitarbeiter*innen der OSZE können mangels | |
Zugang zu den „Volksrepubliken“ schon jetzt ihren Job nicht machen. Und wer | |
stellt sicher, dass Kiew nach Inkrafttreten des Statusgesetzes wirklich die | |
Kontrolle über seine Grenzen zurückbekommt? | |
Besagtes Statusgesetz, das das Parlament in Kiew im Dezember um ein | |
weiteres Jahr verlängert hat, würde den „Volksrepubliken“ zudem ein | |
wichtiges Mitspracherecht in Form eines Vetos bei innen- und | |
außenpolitischen Fragen einräumen. Und das heißt: Die Ukraine könnte ihre | |
Ambitionen auf einen Nato-Betritt begraben. Deshalb wäre es für | |
[3][Russland] verschmerzbar, wenn die von der Nato geforderten | |
Sicherheitsgarantien nicht kommen, was sie nicht werden. | |
Nicht zufällig will die russische Duma am 14. Februar über den Antrag | |
einiger kommunistischer Abgeordneter beraten, die Unabhängigkeit der | |
„Volksrepubliken“ formal anzuerkennen. Sollte es dazu kommen, wären die | |
Minsker Abkommen und wohl auch das Normandie-Format tot. Doch so weit ist | |
es noch nicht. | |
In dieser Woche sollen in Berlin die Verhandlungen fortgesetzt werden. Die | |
Minsker Abkommen müssen nun noch einmal auf den Tisch. In der Ukraine | |
mehren sich Befürchtungen, auch die westlichen Partner könnten auf Kiew | |
Druck ausüben, sich der Forderung Moskaus nach Anerkennung der Separatisten | |
als direkte Gesprächspartner zu beugen. Es wäre fatal, sollte sich dies | |
bestätigen. Wer dann noch davon redet, man stehe an der Seite Kiews, sollte | |
lieber schweigen. | |
8 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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