# taz.de -- Senatorin Jarasch über U-Bahn-Bau: Spitze Pfeile ins Rote Rathaus | |
> Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch schärft ihr Profil an der grünen | |
> Basis – und zeigt der Regierenden Bürgermeisterin eine gelbe Karte. | |
Bild: Wer gibt hier die Richtung vor? Für Senatorin Bettina Jarasch keine Frage | |
BERLIN taz | Die Grünen, das war einmal in erster Linie ein Basis-Projekt. | |
Und auch wenn die Begeisterung der Partei für aufreibende Diskussionen mit | |
Nicht-Profis längst auf Normalmaß zusammengeschnurrt ist: Es gibt sie noch, | |
die Runden, in denen alle Ebenen angeregt miteinander diskutieren. Zu | |
besichtigen bei der gut besuchten Zoom-Runde der Landesarbeitsgemeinschaft | |
(LAG) Mobilität am Mittwochabend, wo sich Bettina Jarasch erstmals als neue | |
Senatorin den aficionados und aficionadas stellt. | |
Die Themenmischung in dem von der ehemaligen Bezirksbürgermeisterin Monika | |
Herrmann geleiteten Meeting ist bunt. Da ist das Projekt einer gemeinsamen | |
Planungseinheit für Radinfrastruktur, das sich aus MitarbeiterInnen der | |
Senatsveraltung und der Bezirksämter zusammensetzen und an die in | |
Friedrichshain-Kreuzberg gesammelten Erfahrungen mit Pop-up-Infrastruktur | |
und „agilem Projektmanagement“ anknüpfen soll. | |
Oft sei längst klar, was konkret ansteht, so Jarasch, aber „dann schicken | |
sich die Beteiligten monatelang Papiere hin und her und es entstehen enorme | |
Reibungsverluste“. Es handele sich ausdrücklich um ein Angebot, mitmachen | |
sollen „alle, die Lust drauf haben“, was bei mittlerweile acht grünen | |
VerkehrsstadträtInnen schon einige sein dürften. | |
Auch der von Jarasch jüngst vorgestellte [1][Pilotversuch eines | |
Winterdienstes mit Sole auf Radwegen] wird ausführlich abgehandelt. Die | |
Fragen an die Senatorin sind teilsweise sehr konkret – und irgendwann muss | |
sie noch einmal klarmachen, dass das experimentelle Salzen von | |
Hochbordradwegen mitnichten ein „Hauptprojekt“ ist, sondern nur der | |
Versuch, einen klassischen Zielkonflikt zwischen Mobilitätswende und | |
Umweltschutz aufzulösen. | |
Das Thema, bei dem Jarasch dann aber richtig in Fahrt kommt, ist der seit | |
Ende der vergangenen Legislaturperiode breit diskutierte und höchst | |
umstrittene Neubau von U-Bahn-Strecken. Sie selbst hat vor Kurzem in einem | |
Interview die Verlängerung der U7 zur Spandauer Heerstraße favorisiert: Die | |
würde zahlreiche Fahrgäste anziehen, und weil an der Strecke viele Menschen | |
mit geringen Einkünften lebten, habe das auch einen „Gerechtigkeitseffekt“. | |
## Erstmal Klimacheck machen | |
Die grüne Basis ist da deutlich weniger enthusiastisch, und Jarasch kommt | |
den ParteifreundInnen hier wieder etwas entgegen, indem sie auf etwas | |
hinweist, was ohnehin beschlossene Sache ist: Zuerst werden sogenannte | |
Nutzen-Kosten-Analysen durchgeführt, die die Wirtschaftlichkeit belegen | |
müssen, vorher wird nichts gebaut. Aber auch ein Klimacheck müsse gemacht | |
werden, denn „der Bau von Tunnelstrecken emittiert viel CO2“. | |
Das sagt die LAG schon lange. Sie hat Jaraschs Vorgängerin Regine Günther | |
seinerzeit [2][sogar eine Studie vorgelegt], nach der sich der | |
Klima-Fußabdruck einer Neubaustrecke wie die in Spandau durch den Umstieg | |
vom Auto auf den ÖPNV erst nach über 100 Jahren amortisiert. Die | |
Straßenbahn erzeuge beim Bau von viel mehr Kilometern viel weniger CO2 und | |
ziehe weitaus mehr Menschen an. Das Klimaargument hatte Günther nicht | |
beeindruckt, allerdings wurde der „Klimacheck“ für alle Vorhaben des Senats | |
im Koalitionsvertrag verabredet. | |
Und dann wird deutlich, wie sehr es schon knirscht zwischen den Alphafrauen | |
in der Landesregierung: Dass Franziska Giffey kürzlich beim gemeinsamen | |
Besuch der BVG die Verlängerung der U7 zum BER als „Priorität“ benannt ha… | |
passt Jarasch, die diesem Projekt gegenüber deutlich skeptischer ist, gar | |
nicht in den Kram. „Wir haben eine Regierungschefin, die erwartet, dass | |
ihre Richtlinienkompetenz umgesetzt wird, wenn sie eine Ansage macht“, | |
schießt die Senatorin einen Pfeil in Richtung Rotes Rathaus – aber so laufe | |
es nicht: „Sie muss damit leben, dass es eine Koalition und Absprachen gibt | |
und sie nicht alleine im Senat sitzt.“ | |
Im Übrigen sei das Argument, es bedürfe einer besseren Anbindung des BER | |
durch die U-Bahn „Unsinn“. In Berlin komme man schon jetzt viel besser an | |
den Flughafen als beispielsweise in München, und der Ausbau der Dresdner | |
Bahn werde das noch einmal beschleunigen. Auch habe sie vom Brandenburger | |
Ministerpräsidenten noch nichts dazu gehört, ob und wie das Nachbarland | |
sich an dem Bau der Strecke, pekuniär beteiligen würde. | |
Da der Landkreis Dahme-Spreewald, auf dessen Gebiet die Verlängerung | |
hauptsächlich verliefe, für einen Großteil der Finanzierung aufkommen | |
müsste (von einer Milliarde Gesamtkosten ist die Rede) ist sich Jarasch | |
„nicht sicher, ob dieses Ding mehr ist als ein Rohrkrepierer“. | |
## Ungebührlicher Druck | |
Auch in der Frage, wie es mit der Wiederinbetriebnahme der alten | |
„Stammbahn“-Strecke nach Potsdam weitergeht, ist Jarasch unglücklich über | |
einen Vordrängler von Giffey: Bei ihrem Antrittsbesuch in der Potsdamer | |
Staatskanzlei terminierte die Regierende freihändig den 29. März als Tag | |
der Entscheidung, ob künftig Regional- oder S-Bahnen auf der Strecke | |
verkehren sollen. Jarasch soll bis dahin eine Positionierung vorlegen, und | |
es ist mehr als offensichtlich, dass sie diesen Druck gleich zu Beginn | |
ihrer Amtsführung als ungebührlich empfindet. | |
Mit ihrem energischen Auftritt dürfte Jarasch bei der eigenen Basis | |
gepunktet haben. Aber ob das das gemeinsame Regieren mit der Betonpartei | |
SPD leichter macht? | |
3 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Rutschgefahr-auf-Berliner-Radwegen/!5831864 | |
[2] /Studie-zur-Klimabilanz-der-U-Bahn/!5729091 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
## TAGS | |
U-Bahn Berlin | |
Bettina Jarasch | |
Franziska Giffey | |
Mobilitätswende | |
Grüne Berlin | |
Grüne Berlin | |
Franziska Giffey | |
Schwerpunkt Radfahren in Berlin | |
Franziska Giffey | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Monika Herrmann über Wahlwiederholung: „Ich nehme das Foto von 2021“ | |
Die Grüne hat 2021 den Einzug ins Parlament verpasst – und sich danach ein | |
„selbstbestimmtes“ Leben aufgebaut. Freut sie sich auf die Wiederholung? | |
Lockerungsdebatte zu Corona: Berlin geht auf Nummer sicher | |
In Brandenburg fällt ab Mittwoch die 2G-Regel im Einzelhandel weg. Der | |
Senat in Berlin will an ihr noch bis zum 19. Februar festhalten. | |
Rutschgefahr auf Berliner Radwegen: Salz gegen Glätte – und Blätter | |
Der Senat will Winterdienst mit Salz auf Radwegen testen – | |
BaumschützerInnen sind besorgt. | |
Franziska Giffey auf erster Dienstreise: Nicht nur Sanssouci | |
Giffey besucht in Potsdam Ministerpräsidentenkollegen Dietmar Woidke. Die | |
Zusammenarbeit beider Bundesländer soll enger werden – auch ohne Fusion. |