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# taz.de -- Corona in Frankreichs Schulen: Pandemieplanung von der Partyinsel
> Frankreich war lange stolz auf seine Politik der offenen Schulen. Doch
> inzwischen wird der Bildungsminister scharf kritisiert
Bild: Eltern, Lehrer und Gewerkschaften sind mit der Schulpolitik unzufrieden
Paris taz | Ausgerechnet die für ihr Nachtleben bekannte spanische Insel
Ibiza steht für das Versagen des französischen Bildungsministers
Jean-Michel Blanquer in der Coronapandemie. Denn während Millionen Eltern
Anfang Januar auf eine Ansage zum Schulbeginn nach den Weihnachtsferien
warteten, weilte der frisch vermählte 57-Jährige zusammen mit seiner
dritten Frau auf den Balearen. Von dort aus gab er am 2. Januar [1][der
Zeitung Le Parisien ein Interview], in dem er das Hygieneprotokoll für den
Tag danach präzisierte. Der Text war anfangs nur hinter einer
Bezahlschranke zu lesen. Dass der Minister, der die Fragen am Telefon
beantwortete, dafür mehr als 1.600 Kilometer von Paris entfernt war,
enthüllte die Internetplattform Médiapart erst diese Woche.
Blanquer galt lange als Musterschüler der Regierung. In der Pandemie trat
er schon früh dafür ein, die Schulen offen zu halten, während in den
Nachbarländern die Schüler:innen monatelang von zu Hause aus lernen
mussten. Doch die „école ouverte“, für die die Regierung sich gerne selbst
lobt, stieß schnell an ihre Grenzen. Vor allem, weil der Bildungsminister
den Schulen die nötigen Mittel verwehrte: umfassende Testkapazitäten,
CO2-Messgeräte und FFP2-Masken für alle Lehrer:innen.
Die Omikron-Welle mit einer landesweiten Inzidenz von über 3.000 auf
100.000 Einwohnern pro Woche führte dazu, dass am vergangenen Freitag laut
Bildungsministerium mehr als 14.000 der gut 527.000 Klassen geschlossen
waren. 25.500 Lehrer:innen waren krankgemeldet, ohne dass es einen
Ersatz für sie gab. Es gehe nicht darum, in der Schule nur eine
Kinderbetreuung anzubieten, kritisierte der Elternverband FCPE den massiven
Unterrichtsausfall.
Zusammen mit mehreren Gewerkschaften rief er am Donnerstag erneut zu einem
Aktionstag gegen das Pandemiechaos auf, der allerdings deutlich weniger
Echo fand als noch eine Woche vorher. Am 13. Januar hatten laut
Gewerkschaften 75 Prozent der Lehrer:innen gestreikt.
## Lehrer:innen unterrichten noch mit Stoffmasken
„Erschöpfung und Verzweiflung der Bildungsgemeinschaft haben seit
Schulbeginn im Januar ein noch nie da gewesenes Ausmaß erreicht“, hieß es
in einer gemeinsamen Erklärung von elf Gewerkschaften. Sie gaben dem
Minister die Schuld an dem Chaos, weil er ständig die Regeln ändere,
Auflagen nicht umsetzbar seien und es an Mitteln fehle. So verweigerte
Blanquer bisher die geforderten CO2-Melder und sagte erst zum Monatsende
chirurgische Masken für die Lehrerinnen und Lehrer zu, die noch immer mit
Stoffmasken unterrichten.
Blanquer, der zum Jahresanfang gleich drei verschiedene Regelwerke für die
Schulen innerhalb einer Woche präsentierte, wirkt mit der Situation
überfordert. Den Streik der Lehrer:innen hatte der frühere Leiter der
Wirtschaftshochschule ESSEC mit der Bemerkung abgetan: „Man streikt nicht
gegen ein Virus.“
Oppositionsvertreter wie der grüne Präsidentschaftskandidat Yannick Jadot
kritisierten seine Missachtung für die Lehrerschaft und forderten seinen
Rücktritt. „Es herrscht ein Missverhältnis zwischen dem, was die Lehrer 24
Stunden vor Schulbeginn erlebten und einem Minister, der sehr weit weg war
von unseren Sorgen“, bemängelte Sophie Vénétitay von der Gewerkschaft
Snes-FSU in der Zeitung Figaro.
Auch die Eltern sind zunehmend von Blanquer genervt. Nachdem sie ihre
Kinder nach einem Covid-Fall in der Klasse zunächst nur mit einem
Schnelltest wieder in die Schule schicken konnten, stellte die Regierung
vergangene Woche auf Selbsttests um. Die Frage ist allerdings, ob diese bei
den Kindern ohnehin unbeliebten Tests auch tatsächlich gemacht werden. Der
Elternverband FCPE fordert deshalb, kostenlos Masken auszugeben und an den
Schulen flächendeckend Speicheltests anzubieten.
Inzwischen nahm Regierungschef Jean Castex das Pandemiemanagement an den
Schulen selbst in die Hand. Nach der Mobilisierung vergangene Woche traf er
sich mit Gewerkschaften und Elternvertreter:innen und versprach,
3.300 Aushilfslehrer:innen einzustellen und 5 Millionen FFP2-Masken an
das Lehrpersonal in den Grundschulen zu verteilen. Blanquer räumte ein,
dass seine Reise nach Ibiza eine falsche Symbolik vermittelt habe. „Das war
vielleicht ein Irrtum“, sagte er im Fernsehen.
20 Jan 2022
## LINKS
[1] https://www.leparisien.fr/societe/covid-19-a-lecole-tests-capteurs-co2-le-p…
## AUTOREN
Christine Longin
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