# taz.de -- Genderverbot beschlossen: Bremerhavens eigene Sprache | |
> Das Stadtparlament in Bremerhaven entscheidet nur noch über Belange von | |
> „Bürgerinnen und Bürgern“. Die von „Bürger:innen“ sind | |
> „rechtschreibwidrig“. | |
Bild: Manche wünschen sich klare Zuordnungen nach Mann und Frau. Doch die Real… | |
BREMEN taz | In [1][Bremerhaven] hat die Stadtverordnetenversammlung | |
beschlossen, künftig nicht mehr über Vorlagen und Dokumente zu verhandeln, | |
in denen mit Sonderzeichen gegendert wird. Im Dezember hatte die regierende | |
Koalition aus SPD, CDU und FDP bereits der Verwaltung verboten, mit | |
Sonderzeichen zu gendern. Sternchen, Doppelpunkt und dergleichen gelten | |
damit als „rechtschreibwidrig“. Dies steht im Widerspruch zur Handreichung | |
über gendersensible Sprache des Landes Bremen. | |
Mit dem Benutzen von gendersensibler Sprache versuchen die | |
Verfasser:innen von Texten, alle Personen, unabhängig von ihrem | |
Geschlecht, einzubeziehen. Doppelformulierungen in männlicher und | |
weiblicher Form, wie „Schülerinnen oder Schüler“, leisten das nicht: | |
Nichtbinäre, agender oder intergeschlechtliche Personen finden sich in | |
solchen Formulierungen nicht wieder. | |
Aber dass geschlechtliche Identität über die binäre | |
Frau/Mann-Klassifizierung hinausgeht, steht seit einem [2][Beschluss des | |
Bundesverfassungsgerichts von 2017] auch juristisch fest – und sie wird als | |
Persönlichkeitsrecht geschützt. Durch neutrale Formulierungen wie | |
„Pflegekraft“, werden Menschen unabhängig ihres Geschlechts einbezogen. Wo | |
es keinen neutralen Begriff gibt, helfen Genderstern, ein Unterstrich oder | |
Doppelpunkt. | |
Bremerhavens Regierungskoalition lehnt das nun geschlossen ab. Die drei | |
männerdominierten bis ausschließlich männlich besetzten Fraktionen führen | |
dabei die gleichen altbekannten Argumente auf wie viele andere | |
Kritiker:innen gendergerechter Sprache: Das Festhalten an der | |
Rechtschreibung, die gute Lesbarkeit, das stille Mitgemeint sein derer, die | |
nicht explizit genannt werden. | |
## Die FDP beruft sich auf Barrierefreiheit | |
Der Vorsitzende der Bremerhavener FDP-Fraktion, Hauke Hilz, argumentiert | |
gegenüber der taz [3][mit Barrierefreiheit]. „Das ist für uns der | |
Hauptgrund“, sagt er. Für viele Menschen mit Behinderungen wie etwa | |
Autismus, die auf eine klare Sprache angewiesen seien, können solche | |
Schreibweisen ein schwieriges Hindernis darstellen. Außerdem habe | |
Bremerhaven gendersensible Sprache gar nicht verboten, sondern vielmehr in | |
der Form geregelt, dass „beide Geschlechter genannt werden oder ein | |
genderneutrales Nomen“, sagt Hilz. | |
Bettina Wilhelm, Landesfrauenbeauftragte für Bremen, empfindet die Regelung | |
als Rückschritt. Zu den Grundrechten gehöre auch, Menschen korrekt | |
anzusprechen. Dies verletze Bremerhavens Amtssprache, da durch das Verbot | |
von Sonderzeichen effektiv nichtbinäre Menschen ausgeschlossen würden. Auch | |
fachlich sei das Verbot völlig überholt, es entspreche schon längst nicht | |
mehr den Standards einer Amtssprache. | |
Allerdings treffe die Kritik einen Punkt: „Keines der Sonderzeichen ist | |
komplett barrierefrei“, sagt Wilhelm. Verschiedene Sonderzeichen seien je | |
nach Art der Beeinträchtigung mehr oder weniger verständlich und | |
funktionierten mit unterschiedlichen Assistenzprogrammen besser oder | |
schlechter. Nach derzeitigem Stand schließe damit die Schriftsprache immer | |
jemanden aus, so Wilhelm. Der Verzicht auf Sonderzeichen sei aber für | |
nicht-binäre Menschen „ein grundsätzlicher Ausschluss, kein technischer“. | |
Der Landesbehindertenbeauftragte Arne Frankenstein unterstützt Bremens | |
Handreichung zu gendersensibler Sprache. Indem Kontext und Zielgruppe bei | |
der Verwendung von Sonderzeichen mitgedacht werden, könne Sprache | |
barriereärmer gestaltet werden, sagt er. Außerdem weist er auf | |
intersektionale Mehrfachmarginalisierung hin: „Auch unter | |
Leichte-Sprache-Nutzer:innen können sich nichtbinäre Menschen befinden“. | |
Wilhelm hat ihre Kritik am Gender-Verbot in Absprache mit Frankenstein | |
verfasst und positioniert sich eindeutig: „In Ermangelung einer idealen | |
Lösung nichts zu tun, sei sicherlich keine Option.“ Darüber hinaus ein | |
Verbot auszusprechen, sei „rückwärtsgewandt und fatal“. Auch in | |
Bremerhavens Opposition und im Land Bremen stößt das Verbot auf | |
Widerspruch. Bremerhavens Grüne fordern, den Beschluss des Magistrats | |
umgehend zu korrigieren. Die Abgeordnete Kai Wargalla kritisiert auf | |
Twitter den „politischen Backlash des queerfeindlichen Patriarchats“. | |
23 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Selma Hornbacher-Schönleber | |
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