# taz.de -- Bremerhavener Sprach-Orthodoxie: Mehr als ein Kulturkämpfchen | |
> Mit ihrem Nein zum Gendern ignorieren SPD, CDU und FDP in Bremerhaven | |
> höchste Rechtsprechung. | |
Bild: M und W reichen seit 2017 nicht mehr: Ein Plakat wirbt für eine dritte G… | |
Zurück in die Sprach-Steinzeit? Ganz so leicht lässt sich nicht aburteilen, | |
was [1][in Bremerhavens Stadverordnetenversammlung beschlossen] wurde. | |
Einfach alles lassen, wie es immer war, wollen SPD, CDU und FDP ja gar | |
nicht. So soll das generische Maskulinum, die männliche Form, die alles | |
andere „mitmeint“, vermieden werden. Dafür gibt es doch Lob, vermutlich | |
[2][sogar von Emma!] Nur mit diesen komischen Sonderzeichen tut die | |
Koalition sich schwer. Und hat sie nicht auch gute Argumente? | |
Ja – auf den ersten Blick: die geltenden Rechtschreibregeln, der fehlende | |
Mehrheitswille zum Gendern und, durchaus nicht zuletzt, [3][die | |
Barrierefreiheit]. Denn wer Sternchen und Doppelpunkte in die Wörter packt, | |
bringt damit ja ausgerechnet die technischen Hilfsmittel ins Schlingern, | |
die ihrerseits Schieflagen begradigen sollen, nämlich die Teilhabe von | |
Menschen mit Behinderung. | |
Aber richtig zu Ende gedacht haben sie ihren Widerstand eben doch nicht, | |
die drei Koalitionärinnen – Fraktionen sind den geltenden Regeln nach ja | |
immer noch weiblichen grammatikalischen Geschlechts; Abgeordneten-Männchen | |
sind aber mitgemeint, selbstverständlich und voller Respekt. So ist | |
[4][Bremens Landesbehindertenbeauftragter] ausdrücklich fürs Gendern; dass | |
Screenreader die ach so sperrigen Sonderzeichen mit vorlesen, dürfte | |
schlicht ein Übergangsproblem sein. | |
## Das Mehrheitsprinzip hat Grenzen | |
Und würde Demokratie darin gipfeln, einen –ja auch nur in unterschiedlich | |
seriösen Umfragen ermittelten – Mehrheitswillen durchzusetzen: Wie oft käme | |
irgendeine Minderheit zu ihrem Recht? Eben so eines hat 2017 aber das | |
Bundesverfassungsgericht formuliert, als es neben Mann und Frau eine dritte | |
Geschlechtskategorie nicht nur erlaubte, sondern verlangte. | |
Und das macht aus der Gender-Orthodoxie mehr als nur ein Kulturkämpfchen, | |
mehr auch als schlichte Arbeitsverweigerung – denn was passiert, wenn | |
künftig eine zu erledigende Sache solche bösen Zeichen enthält: Landet sie | |
im Parlamentspapierkorb? Hier ignorieren sie in Bremerhaven ohne Not die | |
Rechtsprechung. | |
24 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Genderverbot-beschlossen/!5827892 | |
[2] /Essay-Emma-und-Gender-Studies/!5423651 | |
[3] /Geschlechtergerechte-Sprache/!5798203 | |
[4] https://www.behindertenbeauftragter.bremen.de/ | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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