# taz.de -- Abschied von Gruner + Jahr: Erst Dummheit, dann Mutwillen | |
> Mit der Auflösung von Gruner + Jahr in RTL endet auch der Traum von einem | |
> idealen Verlag. Silke Burmester hat ihn eine Zeit lang mitgeträumt. | |
Bild: „Was ich dem Verlag übelnehme, ist der Verrat am Journalismus.“ Am K… | |
Funk Uhr oder Hörzu? Egal. Beide Fernsehzeitschriften, die in den 1970er | |
und 1980er Jahren die Republik in bieder (Hörzu) und spießig und bieder | |
(Funk Uhr) teilten, waren Teil desselben Kosmos des angepassten Bürgertums. | |
Jenseits dieser Sphäre gab es Titel wie Stern, Brigitte, Schöner Wohnen. | |
Ihre Machart war anders. Offener, moderner, weitblickender. Ihre Leserinnen | |
und Leser waren anders. Die Publikationen aus dem Springer-Verlag waren | |
Abbild eines verängstigten Bürgertums, die aus dem Hause Gruner + Jahr | |
eines neugierigen, progressiven, weltoffenen Blicks. Ich war ein | |
Hörzu-Kind. Erinnere ich mich an irgendeinen publizistischen Coup dieser | |
Zeitschrift? Nein. Und beim Stern? „Wir haben abgetrieben“, „Babystrich�… | |
aus dem das legendäre Buch „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ entstand, das Foto | |
vom toten Uwe Barschel in der Badewanne. | |
Die Brigitte hatte unsere Mütter in ihrem Aufruhr gegen ihr | |
Hausfrauendasein begleitet, und das 1976 vom Reportagefotografen Rolf | |
Gillhausen entwickelte Geo brachte ferne Länder ebenso wie ihre Bewohner in | |
einer Präsenz ins Wohnzimmer, die neu war in der BRD. Auch im Ausland | |
wuchsen die publizistischen Aktivitäten kontinuierlich – Gruner + Jahr | |
(G+J) wurde zum größten Zeitschriftenverlag Europas. | |
Bevor die Produktionsmittel durch die Digitalisierung beim Volk landeten, | |
bedeutete Journalistin werden zu wollen die Notwendigkeit, in den Zirkel | |
derer, die die Zeitungen und Zeitschriften machten, hineinzukommen. Eine | |
Welt, die man von außen bestaunen musste: große, prächtige Verlagshäuser, | |
in denen jene arbeiteten, deren Name mit Ehrfurcht ausgesprochen wurde. | |
## Häuser auf Sylt | |
Günter Gaus, Fritz J. Raddaz, Ingrid Kolb, Michael Jürgs. Die einen Sack | |
voll Geld verdienten und auf Sylt Häuser hatten. Die bis in die | |
Ressortleiter-Position hinein einen Firmenwagen bekamen und unbegrenzte | |
Spesenbudgets. Verlagshäuser, die für ihre Mitarbeiter*innen Masseure | |
beschäftigten und deren Kantinen auf Restaurantniveau kochten. Menschen, | |
die lebten, wie die Zeitschriften, die sie schufen, es zeigten: modern, | |
geschmackvoll, großzügig. Gruner + Jahr, mit dem frischen, apfelgrünen | |
Logo, schien wie die Blaupause einer Wunschgesellschaft: gebildete Menschen | |
mit Gesellschafts- und Gemeinsinn und einem für Kunst und Kultur. Kritische | |
Geister, die für ihren Arbeitgeber und den Journalismus mitunter alles | |
geben und im Gegenzug mit Respekt und sehr anständiger Bezahlung entlohnt | |
werden. | |
Das Hörzu-Kind stand voll Ehrfurcht vor dem Spiegel- und dem | |
G+J-Verlagsgebäude und schaute die Journalist*innen an, als wäre der | |
Blick die Möglichkeit, sich etwas davon zu eigen zu machen. Als würde die | |
Antwort sichtbar, wie es möglich ist, dort zu arbeiten. | |
Meine Berührungspunkte mit G+J begannen, als der Verlag noch im legendären | |
„Affenfelsen“ an der Alster saß. Kurz vor dem Umzug in das Verlagshaus am | |
Baumwall hatte meine Freundin, die dort eine Ausbildung zur Verlagsfrau | |
machte, kleine Jobs für mich. | |
Hübsche Briefmarken besorgen, sicherzustellen, dass die Barkasse, auf der | |
der Vorstandsvorsitzende Gerd Schulte-Hillen mit Gästen herumschippern | |
wollte, tipptopp war. Gäste mit den Architekten des neuen Verlagsgebäudes | |
durch den Rohbau zu führen. Ich war Anfang 20, begann das Abitur | |
nachzumachen und wollte Journalistin werden. | |
## Auf der schwarzen Liste | |
Als ich Journalistin war, begann ich über Gruner + Jahr zu schreiben. | |
[1][Einer meiner ersten Texte war über „Brigitte TV“ beim NDR.] Es war die | |
erste Kooperation zwischen einem privatwirtschaftlichen Unternehmen und | |
einem öffentlich-rechtlichen Sender. Mein Verständnis vom Wesen der | |
Öffentlich-Rechtlichen war erschüttert. Mein Schreiben entsprechend. | |
Irgendjemand steckte mir, dass ich nun dort gelandet war, was es offiziell | |
bei der Brigitte nicht gab: auf der schwarzen Liste. Anne Volk, die | |
legendäre Chefredakteurin, hatte die Sanktion verhängt. | |
Ich war überrascht über so viel Kleingeist, später hat ihre Nachfolgerin | |
erneut Anlass gefunden, den Bann über mich zu verhängen, aber das musste | |
mich nicht kratzen. Ich war gut im Geschäft, und bei Gruner gab es genügend | |
Leute, die sich zwar über meine Arbeit als Medienjournalistin (vor allem | |
für die taz) ärgerten, die mich aber trotzdem beschäftigten. Für ihre | |
Blätter, an der Henri-Nannen-Schule. | |
Ich habe mich über die Jahre an Gruner + Jahr abgearbeitet. In meiner | |
taz-Kolumne „Die Kriegsreporterin“ verging kaum eine Woche, in der ich | |
nicht etwas aufgespießt habe, das für die leise Verabschiedung vom hehren | |
Journalismus stand. Es sind nicht einmal die Hitler-Tagebücher, die ich dem | |
Verlag ankreide. Das hätte wohl jedem der Häuser passieren können. Nein, | |
was ich dem Verlag bzw. seinen Verantwortlichen übel nehme, ist der Verrat | |
am Journalismus, den das Haus begangen hat. Zunächst durch Dummheit, dann | |
durch Mutwillen. | |
Die Dummheit kam vor allem in der Schlaftrunkenheit eines Bernd Buchholz | |
daher, heute Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, FDP. Als | |
G+J-Vorstandsvorsitzender erfreute er sich seiner roten E-Gitarre im Büro, | |
[2][verpennte aber die Umstellung auf Strom in der Publizistik, sprich die | |
Digitalisierung.] Seine gut drei Jahre Amtszeit verbrachte er sonst womit, | |
nicht aber damit, das Haus zukunftstauglich zu machen. | |
## Zwischen Yoga und DIY | |
So war es vor allem seine Nachfolgerin Julia Jäkel, die in rascher | |
Geschwindigkeit den Verlag zumindest einigermaßen flott machte. Was nicht | |
heißt, dass der Journalismus gefördert wurde. Im Gegenteil. Schnell stellte | |
Jäkel die Financial Times Deutschland ein. Unter ihr und einem [3][sich aus | |
den Häkelfäden seiner Position als Brigitte- Chefredakteur befreienden | |
Stephan Schäfer] wurde vor allem in Richtung „Geschäftsfelder“ gedacht. E… | |
„Inhaltehaus“ wollte man sein. Immer schamloser wurden die Kooperationen | |
mit der Industrie, die nun „Werbepartner“ hieß, immer dümmer die | |
Publikationen, ob print oder online. Mit Journalismus hatte das nicht mehr | |
viel zu tun, wenn die Befindlichkeit von Frauen zwischen Yoga und DIY | |
verortet wurde und das Glück, sich in der Achtsamkeit des | |
Milchschaumaufgießens gefunden zu haben, mit einem neuen Living-Magazin | |
veredelt wurde. | |
Geld musste nach Gütersloh geschafft werden. Wie ein nach Blut gierender | |
Drache saß dort der mittlerweile alleinige Eigentümer, der | |
Bertelsmann-Konzern, zu dem auch RTL gehört, und sog ab, was in Hamburg | |
erwirtschaftet wurde. | |
Julia Jäkel mag in ihrer Rolle als Vorstandsvorsitzende die Erste im Staate | |
gewesen sein, aber mit jedem Jahr, das Stephan Schäfer als Geschäftsführer | |
an ihrer Seite wirkte, verlor der Verlag an journalistischem Gewicht und | |
Relevanz. Redaktionen wurden aufgelöst und zusammengelegt, die Honorare | |
für Freie immer winz- und witziger, eine Geschichte in x Publikationen | |
ausgespielt, die inhaltliche Verantwortung etwa der zur „Eltern Family“ | |
gehörenden Medien einem BWLer unterstellt, [4][und der Stern hat nicht | |
einmal mehr eine eigene Politikredaktion.] Und während es ein Witz ist, | |
dass der – zumindest in der äußeren Wahrnehmung – wichtigste | |
Journalistenpreis, der Henri-Nannen-Preis, noch immer in der Hoheit der | |
Stern-Redaktion liegt, wissen selbst Journalistinnen und Journalisten oft | |
nicht, wie die Person heißt, die aktuell den Stern leitet. Und erst recht | |
nicht, dass es zwei Personen sind. | |
[5][Der überraschende und plötzliche Abgang von Julia Jäkel] letztes Jahr, | |
für den sich wenig Erklärung finden ließ, lässt sich jetzt lesen. Man kann | |
denken, dass sie [6][das Aufgehen in RTL] nicht mittragen wollte. Oder | |
auch, dass sie gegenüber dem Buddy-Business von Stephan Schäfer und | |
Bertelsmann-Vorstand Thomas Rabe den Kürzeren gezogen hat. | |
## Arbeitsverdichtung bis zum Gehtnichtmehr | |
Es macht den Anschein, als sei der einstige Vorzeigeverlag in den letzten | |
Jahren gezielt auf RTL-Level herabgewirtschaftet worden. Sukzessive hat | |
Stephan Schäfer den Verlag auf ein Niveau geführt, in dem das „Inhaltehaus�… | |
in einem Fernsehsender vom Format eines Ein-Euro-Shops aufgehen kann, ohne | |
dass es rumpelt. Auch rumpelnde, also sich querstellende | |
Mitarbeiter*innen sind bei der Gründung von „Deutschlands größtem | |
Entertainmentunternehmen“ (Eigenwerbung) nicht zu erwarten. | |
Die meisten G+J-Journalist*innen haben schon in den letzten Jahren | |
Arbeitsverdichtung bis zum Gehtnichtmehr hingenommen; wie auch mit | |
befristeten Verträgen an der Leine gehalten zu werden und jenseits aller | |
journalistischer Ethik und Anstand die Interessen der „Werbepartner“ in den | |
Publikationen unterzubringen. Jetzt halt was mit Medien im | |
Entertainmenthaus. | |
Ich habe vor zwei Jahren meinen Beruf als schreibende Journalistin | |
aufgegeben. Ich habe keine Perspektive mehr für mich darin gesehen. Seit | |
ein paar Tagen lautet der erste Satz des Wikipedia-Eintrags von G+J: | |
„Gruner + Jahr war ein Medienunternehmen mit Sitz in Hamburg“. Das tut weh. | |
Sehr. | |
21 Jan 2022 | |
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Silke Burmester | |
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