# taz.de -- 70 Jahre „Stern“: Die Tristesse von heute | |
> Mit packenden Geschichten machte Henri Nannen den „Stern“ zum | |
> erfolgreichsten Magazin Europas. Von der einstigen Größe ist nicht mehr | |
> viel übrig. | |
Bild: Glanz von damals? Der „Stern“ veröffentlichte 1983 vermeintliche Hit… | |
Die Magie eines Sterns liegt in seiner Leuchtkraft, der Ferne, die zum | |
Greifen nah scheint, und der sehnsuchtsverklärten Romantik, die einen beim | |
Anblick der unzähligen Himmelskörper überkommt. Das Faszinierendste an | |
einem Stern aber ist der Umstand, dass er auch dann noch sichtbar scheint, | |
wenn er schon lang erloschen ist. | |
Die Zeitschrift Stern aus dem Hause Gruner + Jahr erhellt seit 70 Jahren | |
die deutsche Presselandschaft. Und wenn man im Bewusstsein der Printkrise | |
am Kioskregal das legendäre Logo – den weißen, asymmetrischen Stern auf | |
rotem Fond – sieht, dann schießt unweigerlich die Frage in den Kopf, ob | |
das, was da auf gelacktem Papier glänzt, womöglich nur noch die Illusion | |
eines großen Magazins ist. | |
Sofern man ihn findet, denn das ist gar nicht so einfach, nicht mal in | |
Hamburgs Mitte. Der Eckkiosk führt ihn schon lang nicht mehr, er läuft zu | |
schlecht. In der Jet-Tankstelle, an der Schnittstelle zwischen St. Pauli | |
und dem Schanzenviertel gelegen, haben sie das Blatt. Allerdings steht am | |
6. September die Ausgabe vom 2. August im Regal. | |
Trotzdem, Gruner + Jahr feierte am vergangenen Wochenende das 70-jährige | |
Bestehen des Magazins, unter anderem mit einem Senatsempfang im Hamburger | |
Rathaus, Sondereditionen und dem „Tag des Journalismus“. Für 8 Euro gibt es | |
den Chefredakteur Christian Krug im Gespräch, Redaktionsbesichtigungen und | |
einen Blick auf die echten gefälschten Hitler-Tagebücher. Das 850 Meter | |
entfernte Gruselerlebnis „Hamburg Dungeon – schreiend und lachend durch | |
Hamburgs dunkle Vergangenheit“ kostet immerhin 17,85 Euro. | |
## Wilder, beweglicher, offener | |
Am 1. August 1948 erschien das Blatt, das Henri Nannen sich ausgedacht | |
haben will, so der Gründungsmythos, zum ersten Mal. Ein Magazin, das wie | |
kein anderes über Jahrzehnte die deutsche Biederkeit und die Ausbrüche | |
daraus ebenso wie das Weltgeschehen bildreich und hintergründig | |
dokumentierte. Ein Magazin, dessen Journalistinnen und Journalisten wacher | |
waren als der Rest. Wilder, beweglicher, offener. | |
Ihre Fotos und Reportagen waren oft verstörend und brachen Tabus, Nannens | |
Heftmischung ist legendär, sudanesische Hungeropfer und Geifer treibende | |
Busenbilder machten den Stern zum erfolgreichsten Magazin Europas. Ein | |
Blatt, das dem deutschen Bürger das Ideal einer liberalen und offenen | |
Bundesrepublik ebenso nahebrachte wie das Lotterleben des Jet-Sets im New | |
Yorker Studio 54 und das von Christiane F. am Bahnhof Zoo. | |
Sigmar Gabriel hat es in seiner Rede beim Senatsempfang anlässlich des | |
70-jährigen Bestehens so formuliert: „Der Stern hatte schon immer ein | |
heißes Herz – empathisch, teilnehmend, emotional. Ohne Angst vor der | |
Berührung oder dem großen Gefühl. Stern lesen hieß immer, im Vollkontakt | |
mit der Welt zu sein.“ Aber der Stern ist auch das Blatt, das mit der | |
Veröffentlichung der vermeintlichen „Hitler-Tagebücher“ 1983 das | |
blamabelste Scheitern des deutschen Journalismus auf seinem Konto verbuchen | |
muss. | |
Der Genius hinter der Zeitschrift: Henri Nannen. 34 Jahre war er alt, als | |
er 1948 seinen ersten Stern auf den Markt brachte, und gleich gelang ihm | |
ein Bravourstück: Er hob Hildegard Knef auf den Titel, die mit dem Film | |
„Die Sünderin“ einen der Sittenskandale der 50er Jahre provozierte. | |
## Wertekanon einer solidarischen und freien Gesellschaft | |
Nannen behielt die Star-Berichterstattung bei, machte aber ab den 60ern das | |
Blatt politischer. Er unterstützte mit seinem Heft die Ost-Politik Willy | |
Brandts und gefiel sich wie die Kollegen Augstein vom Spiegel, Bucerius von | |
der Zeit und Axel Springer in der Rolle dessen, der Einfluss nimmt und mit | |
den Großen am Tisch sitzt. Oder auch mal auf dem Tisch, wie beim | |
sowjetischen Staatschef Breschnew. | |
Nannen, der Ostfriese, war ein Charmeur, ein begnadeter | |
Geschichtenerzähler; wer in seiner Nähe war, wollte seine Gunst. Lief etwas | |
schief, ließ er Blitz und Donner niedergehen und strafte sein Gegenüber mit | |
Eiseskälte. Michael Jürgs – ab 1976 Ressortleiter, dann Chefredakteur, 1990 | |
gefeuert für einen Leitartikel mit der Zeile: „Sollen die Zonis bleiben, wo | |
sie sind?“ – macht Nannens Stärke auch darin aus, „Talente zu entdecken.… | |
hat die zarten Pflänzchen erkannt und geschützt, bis sie groß waren“. | |
Der Stern verkörperte in der Zeit seiner Blüte, also von den späten 60er | |
bis in die 90er Jahre, den Wertekanon einer solidarischen und freien | |
Gesellschaft. Für alle, die mit ihm groß geworden sind, ist die | |
Entwicklung, die dieses Land in den letzten drei Jahren genommen hat, immer | |
noch unvorstellbar: Nazis bestimmen Stadtbilder, eine rechtsradikale Partei | |
wird durch die Bevölkerung in die gesellschaftliche Mitte gehoben, Hilfe | |
für Menschen, die alles verloren haben, in Frage gestellt. | |
So wenig, wie das denkbar war, so wenig war es noch vor einigen Jahren | |
denkbar, dass der große Stern, der zu seinen besten Zeiten eine | |
wöchentliche Auflage von knapp zwei Millionen Exemplaren hatte, in der | |
journalistischen Bedeutungslosigkeit versinken könnte. | |
## Nachrichten werden heute von anderen gemacht | |
Und doch scheint er dort angekommen. Im zweiten Quartal 2018 schafft er | |
gerade noch knapp 530.000 verkaufte Hefte, darin verlieren sich mitunter | |
gerade mal 10 Seiten mit Anzeigen, die keine Gruner+Jahr-Produkte bewerben. | |
Kaum Geschichten, die Nachrichten werden, keine Debatte, die er anstößt, | |
keine journalistischen Großkaliber, die man noch mit dem Blatt in | |
Verbindung bringt. Außer denen, die schon da waren, als es noch | |
Münztelefone gab. | |
Nachrichten werden von anderen gemacht, Diskussionen von der Konkurrenz | |
angestoßen. Hans-Ulrich Jörges ist die einzige politische Stimme, die immer | |
mal wieder auch im Fernsehen gefragt ist. Ein einsamer Rufer. | |
Der Spiegel, die Zeit – auch sie haben mit Auflagenschwund zu kämpfen, mit | |
sinkendem Interesse an ihren Analysen und Recherchen, und doch legitimieren | |
sie ihre Existenz noch immer durch sehr guten und vor allem relevanten | |
Journalismus. Und manchen Scoop. Wie passend, dass ausgerechnet die Band | |
„Die Sterne“ die Frage formuliert hat: „Was hat dich bloß so ruiniert?“ | |
Auf den ersten Blick sehen die Dinge noch ganz gut aus. Ein medienwirksamer | |
Senatsempfang, eine Kooperation mit dem ZDF, das angelehnt an den berühmten | |
§218-Titel „Wir haben abgetrieben!“ von 1971 einen Fernsehfilm zeigt, und | |
eine 200 Seiten starke Ausgabe am 20. September. | |
Beim zweiten Blick aber fragt man sich, was das für ein Jubiläum ist, wo | |
doch schon der Stern-Herausgeber und ehemalige Chefredakteur Andreas | |
Petzold 2015 in einem Interview mit dem Medienhistoriker Tim Tolsdorff den | |
Gründungsmythos vom Tisch fegte. Denn so toll Gründungsvater Nannen auch | |
war, er war eben nicht der naive Nazi-Mitläufer, als der er sich ausgab. | |
Als Chef einer Propagandaeinheit der Luftwaffe war seine Rolle im | |
Nationalsozialismus größer, und auch hat er die Idee des Stern geklaut. | |
## NS-Postille als Vorbild | |
Bereits 1938 erschien ein Unterhaltungsmagazin mit ebenjenem Titel und | |
einem Stern als Logo. Tolsdorff hat den Sachverhalt untersucht und mehr als | |
nur Namens- und Logogleichheit festgestellt. Nannen hat auch Teile der | |
inhaltlichen Ausrichtung, Rubriken und das Layout des Ursprungshefts | |
übernommen. | |
„Sir Henri“, wie er genannt wurde, hatte nicht nur eine NS-Postille in die | |
Nachkriegszeit transferiert, er hat auch stets die Mär seines „Einfalls in | |
der Nacht“ verbreitet. Und sein Leben lang das geistige Eigentum des | |
Stern-Erfinders Kurt Zentner als seines ausgegeben – und Zentner dann für | |
sich arbeiten lassen. | |
Die Gruner+Jahr-Chefin Julia Jäkel hat sich 2014 klar geäußert: „Es gibt | |
nun wirklich überhaupt keinen Grund, diese Erkenntnisse unter den Teppich | |
zu kehren. Als Historikerin wäre mir das sowieso unvorstellbar“, wird sie | |
von der Stuttgarter Zeitung zitiert. Für den Widerspruch findet Christian | |
Krug in seiner Festtagsrede immerhin eine plausible Erklärung: „Wir feiern | |
den Stern und seinen liberalen, weltoffenen Geist aus den Gründerjahren der | |
Republik, nicht einen beerdigten Namensvetter, zu dem die heutige | |
Redaktion nie einen Bezug hatte.“ | |
So uneindeutig die Haltung zum Schattenspieler Nannen ist, so unglamourös | |
fallen die Feierlichkeiten aus. Zum 50. Jubiläum galt noch der Anspruch, | |
„etwas auf die Beine zu stellen, das nur der Stern auf die Beine stellen | |
kann“. So erzählt es der damalige Chefredakteur Werner Funk – also karrte | |
man Gäste aus Gesellschaft, Politik und Showbusiness mit Bussen in ein | |
ehemaliges Gaswerk, wo sie auf Förderbändern an Szenen aus fünf Jahrzehnten | |
vorbeiglitten. | |
Dieses Mal ging eine Einladung zum Senatsempfang raus. Das klingt zunächst | |
beeindruckend, relativiert sich aber, wenn die Pressestelle des Senats | |
erklärt, dass pro Woche etwa zehn Anfragen von Firmen und Vereinen | |
eingehen, die ihr Jubiläum gern auf diese Weise gewürdigt hätten. Wie etwa | |
von der „Texterschmiede“, einer Schule für Werbetexter, die fünf Tage nach | |
dem Stern gelobpreist wurde. Die Kosten werden in der Regel geteilt. | |
## Blutleere Rede | |
Dass viele, auch aus der Redaktion, der Einladung nicht gefolgt sind und | |
die schöne Halle zur Hälfte leer blieb, mag überraschen, noch | |
überraschender allerdings ist, dass man quasi unter sich blieb. Kaum | |
Politik, kaum Wirtschaft oder Anzeigenkunden, der einzige Promi: Eckart von | |
Hirschhausen, das Aushängeschild der neben Stern Crime erfolgreichen | |
Line-Extension Stern Gesund leben. | |
Wer nicht da war, muss sich nicht grämen. Das Programm glänzte durch | |
hanseatisches Understatement. Der neue und immer noch leicht zu übersehende | |
Bürgermeister sprach, Julia Jäkel, Chefredakteur Christian Krug und Sigmar | |
Gabriel – dessen Amtsverzicht zugunsten von Martin Schulz via Stern Krugs | |
größten (und einzigen) Coup darstellt. | |
Als es hernach Häppchen im 90er-Jahre-Stil gab, wunderten sich viele, dass | |
Krug die Gelegenheit nicht nutzte, Zusammenhalt und Kampfgeist seiner | |
Redaktion zu beschwören und das „Wir“ zu stärken. Stattdessen sprach er v… | |
„Treibstoff des Erfolgs“ und dass es Aufgabe sei, „den Mächtigen auf die | |
Finger zu schauen“. Phrasen, die jeder Autorin, jedem Autor bei der | |
Redigatur gestrichen würden, reihten sich aneinander wie die | |
Mozarella-Bällchen an die Kirschtomaten beim Flying Buffet. Krug, 52, sieht | |
das anders. | |
Auf die Frage, warum die Rede so blutleer war, sagt er, das könne er nicht | |
teilen: „Ich liebe den Stern und habe in der Rede all meine Leidenschaft | |
für ihn zum Ausdruck gebracht.“ Dieses Verständnis von Leidenschaft | |
scheinen die Mitarbeiter*innen zu teilen: „Von den Kollegen, an die sich | |
meine Rede im Kern gewendet hat, habe ich positives Feedback bekommen.“ | |
## Auflage im Schnuppenflug | |
Krug ist nicht unumstritten. Zusammen mit Hajo Schumacher war er im Jahr | |
2000 angetreten, die monatliche Lifestylezeitschrift Max in ein 14-tägiges | |
Magazin zu verwandeln und den Stern plattzumachen, der schließlich überlebt | |
hat. Das Frauen-Oberflächlichkeits-Magazin Gala leitete er später so | |
erfolgreich, dass er sich – unter Nannen sicherlich undenkbar – für den | |
Stern qualifizierte. | |
Dass die Auflage im Schnuppenflug ist und seit seinem Antritt im Oktober | |
2014 rund 200.000 Exemplare pro Ausgabe weniger verkauft werden, mag man | |
ihm kaum ankreiden. Die Situation eines gedruckten Massenmediums, das von | |
Henri Nannen als „Wundertüte“ auf den Markt gebracht wurde, ist gegenüber | |
der Konkurrenz im Netz langfristig so aussichtslos, dass wohl kein noch so | |
begabter Mensch den Niedergang stoppen könnte. | |
Und doch dümpelt Krugs Stern mehr, als es sein müsste. Das Blatt bleibt | |
ohne Haltung, es fehlt an Mut und Kreativität in der Umsetzung der Themen. | |
Nichts, woran man sich reiben könnte. Es ist völlig unklar, ob das Blatt | |
für Merkel ist oder gegen sie; die Titelthemen bleiben irrelevant, selbst | |
wenn große Ereignisse die Woche bestimmen. | |
„Den Titelbildern fehlt vor allem eine erkennbare Haltung“, sagt der | |
ehemalige und für die Zeitschrift so maßgebliche Art-Direktor Wolfgang | |
Behnken, er vermisst „visuelle Intelligenz“. Mit der Frage, woher wir | |
kommen und einem Affen als Antwort hat Christian Krug im Dezember den mit | |
134.727 Exemplaren im Einzelverkauf wohl am schlechtesten verkauften Stern | |
überhaupt hingelegt. | |
Vorletzte Woche hob er „Island“ auf den Titel, eine Reportage von ihm | |
selbst. So wie das Island-Buch, das er darin vorstellt. Krug sagt: „Ich | |
gebe als Blattmacher immer mein Bestes.“ | |
## Legendäre Geschichten aus der großen alten Zeit | |
Viele in der Redaktion sind mehr als genervt davon, dass der Chef sich vor | |
allem für Reisen in der Welt rumtreibt, „die ihn nicht an den Rand der | |
Erschöpfung bringen“, wie eine Redakteurin es nennt, anstatt in diesen | |
hakeligen Zeiten vor Ort zu sein, und zu sagen, wo es langgeht. | |
Die Redakteur*innen sind in der undankbaren Situation, den Geist eines | |
Blattes am Leben halten zu müssen, das von Leuten geprägt wurde, die nur | |
dann auf Recherche gingen, wenn ihnen vor Ort ein Konzertflügel | |
bereitgestellt wurde, und die sich am Flughafen als „Herr XY vom Stern“ | |
ausrufen ließen, um dann mit „Hier! Hier!“-Rufen wichtig zum Schalter zu | |
eilen. Und die gar nicht daran dachten, ihren Redaktionsetat einzuhalten, | |
während heute nicht mal mehr das Taxi zum Flughafen drin ist, sondern nur | |
die S-Bahn. Legendäre Geschichten aus der großen alten Zeit prallen auf die | |
Tristesse von heute. | |
Sigmar Gabriel hielt beim Senatsempfang die rhetorisch und inhaltlich | |
einzig gute Rede. Sie begann damit, dass seine Frau ihn fragte, warum der | |
Stern ausgerechnet ihn für die Rede angefragt habe. Darauf hat ein | |
Altgedienter eine Antwort, die Licht in das Relevanz-Problem des Stern | |
bringen könnte: „Er ist der Einzige, den Krug kennt.“ | |
Natürlich ist das Erbe ein schwieriges: Nannen & Co. agierten ohne die | |
Print zersetzende Konkurrenz des Internets, die Anzeigen brachten wahre | |
Geldberge in den Verlag. Und in der Branche meinen alle, es besser zu | |
können. Jeder wüsste, was zu machen wäre, vor allem die ehemaligen Chefs, | |
die allein drei bis vier Millionen Mark pro Jahr für Ausfallhonorare | |
ausgaben, geizen nicht mit Tipps. Und doch sind auch sie im Großen und | |
Ganzen ratlos. „Ich beneide niemanden um die Aufgabe“, sagt Werner Funk, | |
von 1994 bis 1998 Chefredakteur und seinerzeit „Kim Il Funk“ genannt, in | |
Anlehnung an Nordkoreas Diktator Kim Il Sung. „Das ist eine uphill battle. | |
Du kannst sie nicht gewinnen.“ | |
## Mit Basta-Männern reden | |
Aber Funk sieht auch ein Problem bei den Führungspersönlichkeiten: „Egal ob | |
Spiegel oder Stern, mir fehlt an den Leuten an der Spitze so etwas wie eine | |
aggressive, auch rücksichtslose Neugier. Ich glaube, eine Redaktion ist | |
dann nur dann erfolgreich zu führen, wenn die Person an der Spitze weiß, | |
was sie will. Und das auch durchzusetzen weiß.“ Kim Il Funk rät zu mehr | |
Diktatur in den Führungsetagen. „Was die Leute vermissen, das ist so was | |
wie unser Basta-Mann.“ | |
Über den Stern mit Leuten zu reden, die ihn maßgeblich geprägt haben, heißt | |
mit Männern zu reden. Mit Basta-Männern. Die einzige Frau, deren Name immer | |
wieder fällt, ist Ingrid Kolb, jene Journalistin, die maßgebliches Vorbild | |
für die Fernsehfigur „Zarah – Wilde Jahre“ war, einen fiktionalen | |
Sechsteiler von 2017 über eine feministische, aufrührerische Redakteurin | |
Anfang der 70er Jahre. | |
Die Münchnerin Kolb kam 1977 ins Stern-Ressort „Erziehung und | |
Gesellschaft“, das frühere „Frau und Familie“, intern „Fick und Strick… | |
genannt. Ihr erster großer Artikel wurde Titelgeschichte: Sexismus am | |
Arbeitsplatz. Später wurde sie Ressortleiterin, und dass die alten Granden | |
heute so respekt- und ehrfurchtsvoll über sie sprechen, mag auch damit zu | |
tun haben, dass Kolb in diesem von Nannen angeführten Testosteron-Gehege | |
Mut bewies. | |
Mut etwa, als Alice Schwarzer 1978 für eine Klage zehn Frauen für den | |
sogenannten „Titelbild-Prozess“ zusammenbrachte, weil noch deutlich | |
häufiger als heute, „selbst bei Fußpilz“, wie Kolb sagt, „immer eine na… | |
Frau ins Bild geschoben wurde“. Kolb bot sich an, zum Prozessauftakt einen | |
Kommentar zu schreiben, „weil ich die Frauen verstehen konnte“. Für Nannen | |
litten sie unter „Zwangsfixierung aufs Objektsein“. | |
## Politische Kompetenz verloren | |
Auch wenn der Chauvinismus und eine Arroganz, „die mehr als fragwürdig | |
war“, wie Michael Jürgs es sagt, schwer erträglich gewesen sein müssen, gab | |
es diesen einen entscheidenden Moment: Für Augstein, Bucerius, Springer und | |
Nannen ging es nach dem Ende der Nazi-Herrschaft darum, mit den eigenen | |
Publikationen ein demokratisches System zu stützen. | |
Ingrid Kolb sagt: „Egal welches der großen Blätter – man muss bedenken, w… | |
für eine Lebenssituation diese Generation an Chefredakteuren, Herausgebern, | |
Gründern geprägt hat. Die sind aus dem Krieg heimgekommen, die haben als | |
Soldaten den Wahnsinn der Hitler-Diktatur erlebt, und sie wollten am Aufbau | |
eines Landes mitwirken, indem so etwas nicht wieder passieren kann. Das | |
sind Männer, die haben ihr Leben lang drunter gelitten, dass sie damals auf | |
der falschen Seite gekämpft haben.“ | |
Die Branche bescheinigt dem heutigen Stern, seine politische Kompetenz | |
verloren zu haben. Geld würde helfen, etwa die zusammengesparte | |
Dokumentation wieder auf Zack zu bringen und Korrespondenten in den | |
wichtigen Staaten zu implementieren, damit auch der Stern wieder Interviews | |
mit Regierenden bekommt. Geld ist das eine. Ein großer Geist das andere. | |
19 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Silke Burmester | |
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