# taz.de -- Letzte Ausgabe der Zeitschrift „Neon“: Natürlicher Verfallspro… | |
> Nach 15 Jahren erscheint die letzte Ausgabe der „Neon“. Danach soll es | |
> online weitergehen. Ob das ein schönes Leben wird? | |
Bild: Ok, die hier ist vom Mai. Aber jetzt kommt nur eine noch, dann ist Schluss | |
Der Türsteher der Bar Fitzgerald am Hamburger Fischmarkt hat offenbar ein | |
Grundvertrauen in die Anziehungskraft von Printmedien auf ein sehr junges | |
Publikum. Zur Abschieds- bzw. „Abriss“-Party der Zeitschrift Neon, die | |
Mitarbeiter und Leser am Donnerstagabend in den früheren Räumen des linken | |
Clubs Golem feiern, sind auch zwei junge Frauen gekommen, die er für | |
tendenziell minderjährig hält. Bevor er ihnen Zutritt gewährt, lässt er | |
sich erst einmal den Personalausweis zeigen. | |
Wenn mehr Minderjährige noch Gedrucktes läsen, ginge es der | |
Zeitschriftenbranche vielleicht besser. Die 2003 gegründete Neon, die sich | |
vor allem an 20- bis 30-Jährige richtete, verkaufte zu Hochzeiten um die | |
Jahrzehntwende rund 240.000 Exemplare und zuletzt noch knapp 60.000. Am | |
Montag erscheint sie zum letzten Mal. | |
Zeitschriften, die für ein gewisses Lebens- oder Generationengefühl stehen, | |
sind ohnehin kurzlebig. Das war schon in der analogen Zeit so: Das Magazin | |
Tempo existierte nur von 1986 bis 1996, verglichen damit steht Neon mit 15 | |
Jahren Lebenszeit gut da. Die Zeitschrift Max, eine andere entfernte | |
Verwandte, lebte immerhin 17 Jahre lang. | |
Andreas Wrede war der Gründungschefredakteur von Max, heute unterrichtet er | |
Medienmanagement an der Hamburg Media School. Er sagt: „Die Lebenserwartung | |
von solchen Magazinen hat sich mit dem veränderten Mediennutzungsverhalten | |
dramatisch verkürzt. Wenn heute ein Verlag ein neues Objekt auf den Markt | |
bringt, weiß er, dass es das vielleicht nur fünf, sechs Jahre geben wird.“ | |
## Zeitgeistprodukte | |
Auf den Treppen zum Fitzgerald liegen Goodie-Bags mit der neuen | |
Neon-Ausgabe aus. In einem Artikel geht die Redaktion teilweise | |
selbstironisch auf die natürlichen Verfallsprozesse von Zeitgeistprodukten | |
ein. Unter der Überschrift „Ein jedes Ding hat seine Zeit“ finden sich | |
Kurvendiagramme zur Entwicklung der Neon-Auflage, den Verkaufszahlen des | |
Blackberrys und den Visits bei StudiVZ. | |
Die Abschiedsnummer ist gut komponiert und vermittelt einen Eindruck davon, | |
was mit dem Ende von Neon verloren geht. Vorn eine Reportage über Fußball, | |
die nichts mit der WM zu tun hat. Es geht um Dalkurd FF, einen | |
Migrantenverein mit kurdischen Wurzeln, der kürzlich in die erste | |
schwedische Fußball-Liga aufstieg. Im hinteren Teil lernen wir junge | |
Griechen kennen, die auf der Insel Ikaria „der Zukunftsangst trotzen“ und | |
„sich die Wirtschaftskrise aus den Köpfen tanzen“. Die allerletzte | |
Reportage im allerletzten Heft versprüht einen Optimismus, den auch die | |
entlassenen Redakteure gebrauchen können. | |
Darüber, was mit Neon noch verloren geht, sinniert auf der Abschiedsparty | |
ein Fotograf, der in der letzten Ausgabe vertreten ist: „Das Blatt hat | |
verschiedenste Bildsprachen eingebunden, von ruhig bis fast punkig. Das | |
trauen sich sonst nur wenige Printmedien.“ Der Fotograf, der anonym bleiben | |
möchte, sieht das Ende von Neon im Kontext mit der Einstellung der | |
Musikzeitschrift Intro. Es verschwänden nun innerhalb kurzer Zeit gleich | |
zwei „ästhetisch progressive“ Magazine. | |
## Online-Friedhof | |
Aber gibt es nicht vielleicht ein Leben nach dem Print-Tod? Gruner + Jahr | |
hat angekündigt, Neon werde im Netz weiter leben. Ob’s ein schönes Leben | |
wird, ist eine andere Frage. Condé Nast stellte Anfang 2018 die deutsche | |
Druck-Ausgabe des Tech-Magazins Wired ein. [1][wired.de] gibt es noch, ist | |
aber nur eine Sammlung von profillosen Gebrauchstexten. Die Online-Ausgabe | |
des Stadtmagazins Prinz – das gedruckte Heft wurde 2012 eingestellt – ist | |
heute ein Friedhof. | |
Wer die Adresse neon.de eingibt, landet derzeit auf [2][stern.de], also der | |
Website der Schwester. Dort finden sich neben hammerharter stern.de-Ware | |
(„‚Völliger Schwachsinn‘: Nein, Aldi verkauft nicht den besten Whisky der | |
Welt für 15 Euro“) auch mit dem Label Neon gekennzeichnete Inhalte | |
(„Orgasmus durch Atmen allein: Diese Frau zeigt, wie das geht“). | |
Auf der Facebook-Veranstaltungsseite zur „Abriss“-Party schreibt eine | |
Trauernde aus Bad Honnef: „Es gab keine andere Zeitschrift, in der mich | |
wirklich jeder Artikel interessiert hat.“ Selbst zu Hochzeiten der analogen | |
Presse dürfte es das kaum gegeben haben. Aber als Grabinschrift passt der | |
Satz perfekt. | |
17 Jun 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.wired.de/ | |
[2] https://www.stern.de/neon/ | |
## AUTOREN | |
René Martens | |
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