| # taz.de -- Aufgehobener Ausbürgerungsbescheid: Doch kein Salafist | |
| > Die Stadt Hildesheim wollte Ahmed R. ausbürgern, weil sie ihn für einen | |
| > Salafisten hielt. Vor Gericht zog die Stadt den Bescheid dann zurück. | |
| Bild: Bis 2014 war Ahmed R. im Vorstand des „Deutschsprachigen Islamkreises�… | |
| Hildesheim taz | Der Vorwurf wiegt schwer. Ahmed R. soll die | |
| radikalislamische salafistische Bewegung unterstützt haben und daher seine | |
| deutsche Staatsbürgerschaft verlieren. Bei seiner Einbürgerung 2014 hatte | |
| R. ein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung | |
| unterschrieben. Diese Erklärung zweifelt die Stadt Hildesheim mittlerweile | |
| an und hat die Einbürgerung per Bescheid zurückgenommen. Vor dem | |
| Verwaltungsgericht Hannover setzte sich R. nun mit seinem Anwalt | |
| erfolgreich gegen seine Ausbürgerung zur Wehr. | |
| Ahmed R. wurde in Deutschland geboren, war dann aber nach Tunesien | |
| ausgewandert. Nach der 6. Klasse kehrte er nach Deutschland zurück und | |
| besuchte die Hauptschule. Vor Gericht erzählte R., wie er zuerst die | |
| Ayasofoa-Moschee in Hildesheim besuchte, dann aber im Streit zusammen mit | |
| anderen Jugendlichen die Gemeinde verließ. Gemeinsam gründeten sie in einer | |
| Lagerhalle in einem Hinterhof einen neuen Moscheeverein – den Verein | |
| Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim. | |
| Von 2011 bis 2014 war R. als Jugendsprecher im Vorstand des Vereins, zu dem | |
| eine Moschee in der Hildesheimer Nordstadt gehörte. R. gab Nachhilfe und | |
| organisierte Sportangebote für Jugendliche, hatte als Vorstandsmitglied | |
| aber auch ein Mitspracherecht, wenn über die Freitagspredigten entschieden | |
| wurde. Der Verein galt als ein Hotspot der radikalen Salafistenszene und | |
| wurde 2017 vom niedersächsischen Innenministerium verboten. | |
| Ab 2012 predigte in der Moschee auch [1][Abu Walaa], der mutmaßliche | |
| Deutschland-Chef der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Neben ihm sollen | |
| andere Prediger der Salafistenszene wie Sven Lau, Pierre Vogel und Abul | |
| Baraa in der Moschee Seminare abgehalten und gepredigt haben, berichten | |
| zwei Mitarbeiter*innen des Verfassungsschutzes im Prozess. | |
| Auch der Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt, Anis Amri, hatte sich | |
| 2016 in der Moschee aufgehalten. Besucher sollen in konspirativer Art und | |
| Weise indoktriniert und radikalisiert worden sein, um sie dazu zu bewegen, | |
| in Kriegsgebiete auszureisen und dort für den IS zu kämpfen. Die ersten | |
| Personen aus dem Umfeld des Vereins waren 2014 nach Syrien und in den Irak | |
| ausgereist. | |
| R. sagte, Abu Walaa habe eine fesselnde Stimme gehabt und gut aus dem Koran | |
| rezitieren können. Er sei Anfangs ab und an zu Besuch gewesen. Prediger wie | |
| Pierre Vogel seien damals wie Rapper gewesen. „Wenn man wollte, dass eine | |
| Moschee voll wird, hat man die eingeladen“, sagte R. vor Gericht. Abu Walaa | |
| ist Anfang 2021 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, | |
| Terrorismusfinanzierung und Beihilfe zur Vorbereitung einer | |
| staatsgefährdenden Gewalttat zu einer [2][Haftstrafe von zehn Jahren und | |
| sechs Monaten verurteilt worden]. | |
| Im Prozess merkte der Verteidiger an, dass die Behörde den | |
| Ausbürgerungsbescheid erlassen habe, ohne R. anzuhören. Vor Gericht galt es | |
| zu klären, ob R. bereits bei seiner Einbürgerung von den radikalen | |
| Tendenzen innerhalb der Moschee wusste. Ein Verfassungsschützer versuchte | |
| dies mit Aussagen aus mehreren Predigten des Jahres 2013 zu belegen. | |
| Muslime seien als fremd, isoliert und in der Gesellschaft unterdrückt | |
| dargestellt worden. Der IS habe als Vorbild gegolten, wie man sich in | |
| dieser Defensivposition wehren und zurückschlagen könne. | |
| Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Vorstand besuchte R. unregelmäßig die | |
| Moschee. Mittlerweile hatte er seine Hochschulreife nachgeholt und ein | |
| Studium in einer anderen Stadt begonnen. | |
| R. berichtete von einer Versammlung, bei der Abu Walaa aus der Moschee | |
| geworfen wurde. Er habe damals dafür gestimmt, Abu Walaa sei aber nach | |
| wenigen Wochen zurückgekehrt. R. versicherte: „Ich war nie und bin auch | |
| heute kein Anhänger des Salafismus.“ Er versuche heute, Moscheen komplett | |
| zu meiden, denn er habe Angst, wieder in eine radikale Moschee zu gehen. | |
| Ein Zeuge schilderte, es sei für ihn ein Schock gewesen, dass Ahmed R. als | |
| Unterstützer beschuldigt wird. Ab 2015 habe es in der Moschee viele | |
| Hasspredigten und -botschaften gegeben. Abu Walaas Strategie sei nicht von | |
| Anfang an offensiv gewesen. „Der hat erst mal versucht, Herzen zu | |
| gewinnen“, berichtete der Zeuge. | |
| ## Siebenstündige Verhandlung | |
| Mit der Abstimmung gegen Abu Walaa hätten die Beteiligten ihr Leben in | |
| Gefahr gebracht. Es habe sich eine Gruppe gebildet, die Abu Walaa nicht das | |
| Feld überlassen wollte und sich ihm wie eine Mauer entgegengestellte. Zu | |
| der Gruppe soll auch Ahmed R. gehört haben. „Wir wollten unseren Kindern | |
| den richtigen Islam vermitteln und dann kamen die aus dem Nichts und haben | |
| Unruhe gestiftet und all unsere Träume kaputt gemacht“, berichtete der | |
| Zeuge. | |
| Nachdem das Gericht die beiden Zeugen ausführlich befragt hatte, erklärte | |
| eine Vertreterin der Stadt Hildesheim, sie werde den Bescheid aufheben. | |
| Offenbar waren auch ihr erhebliche Zweifel an R.s angeblichen | |
| salafistischen Gesinnung gekommen. | |
| Nach der rund siebenstündigen Verhandlung war Ahmed R. sichtlich | |
| erleichtert, als die Richterin die Aufhebung des Bescheids in ihr | |
| Diktiergerät protokollierte. Er ließ seinen Kopf auf die Tischplatte sinken | |
| und fragte die Richterin: „Ist das jetzt vorbei?“ Die Richterin nickte ihm | |
| zustimmend zu. | |
| 14 Jan 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| David Speier | |
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