# taz.de -- Geplante Marihuana-Legalisierung: Was bringt die Cannabissteuer? | |
> Steigende Staatseinnahmen oder florierender Schwarzmarkt? Experten | |
> streiten über die Auswirkungen der Marihuana-Freigabe. | |
Bild: Einfach mal einen durchziehen wird künftig legal, doch der Staat will mi… | |
Die Cannabislegalisierung kommt. Auf Seite 87 des Koalitionsvertrags | |
schreibt die neue Ampelregierung: „Wir führen die kontrollierte Abgabe von | |
Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein.“ | |
Nun diskutieren Befürworter und Gegner über die möglichen Folgen einer | |
Legalisierung für die Staatskasse und den Schwarzmarkt. Werden künftig | |
„Dealer arbeitslos“, [1][wie die FDP 2019] forderte? Ist die Legalisierung | |
ein lohnendes Geschäft für den Staat? | |
Auf 1,8 Milliarden Euro jährlich schätzt der Ökonom Justus Haucap in einer | |
Studie im Auftrag des Deutschen Hanfverbands [2][die möglichen | |
Steuereinnahmen] nach einer Legalisierung von Cannabis. Hinzu kommen | |
demnach noch einmal rund 1 Milliarde Lohn- Umsatz- und Körperschaftsteuer | |
auf den neuen Wirtschaftszweig. | |
Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), | |
warnt, dieses Modell werde nicht aufgehen: Die Legalisierung werde zu einem | |
„Aufblühen“ des Schwarzmarktes führen. Wenn der Staat über Steuern | |
mitverdienen wolle, würden die Konsumenten weiter zu den illegal | |
arbeitenden Dealern gehen, die den Stoff billiger anbieten. Das Beispiel | |
Niederlande habe gezeigt, dass illegaler Anbau und Handel, Einfuhr und | |
Vertrieb gestärkt werde und kriminelle Banden sich gewaltsame | |
Auseinandersetzungen um Marktanteile leisteten. | |
Aber der Verweis hinkt. Im System der Coffeeshops in den Niederlanden geht | |
vorne legal über den Ladentresen, was kriminelle Organisationen durch die | |
Hintertür anliefern, weil Großhandel und Anbau weiterhin illegal sind. | |
Mittlerweile denken die Holländer selbst über eine neue Politik nach. So | |
soll in einem vierjährigen Pilotprojekt in zehn Städten demnächst | |
ausschließlich Marihuana aus lizenzierten und behördlich überwachten | |
Anlagen verkauft werden, „Staatsmarihuana“ sozusagen. | |
## Gemischte Erfahrungen in anderen Ländern | |
Auch jene Länder, die Cannabis erst in den vergangenen Jahren | |
legalisierten, setzen auf andere Systeme: Sie kontrollieren den Verkauf in | |
offiziellen Geschäften, aber auch den Anbau – wenn auch mit | |
unterschiedlichen Richtlinien. So darf in den 18 US-Bundesstaaten, in denen | |
Cannabis seit 2012 sukzessive legalisiert wurde, fast alles gehandelt | |
werden, was bereits vorher auf dem Schwarzmarkt zu haben war – viele dieser | |
Produkte sind hochpotent. In Kanada müssen legal gehandelte | |
Cannabisprodukte einheitlich verpackt sein, nur von der Regierung geprüfte | |
Ware geht in den offiziellen Geschäften über den Ladentisch – aber erlaubt | |
ist nur ein bestimmter Gehalt von THC, dem wichtigsten psychoaktiven | |
Cannabiswirkstoff. | |
Die Ampelkoalition hat bisher keine weiteren Details zu ihrer | |
Cannabispolitik verlautbart, außer dass durch den Verkauf in „lizenzierten | |
Geschäften“ gesichert werden soll, dass „die Qualität kontrolliert und die | |
Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert wird“. Doch dass der | |
„Schwarzmarkt ausgetrocknet“ wird, ist bereits im Wahlprogramm der Grünen | |
erklärtes Ziel. „Der gesamte Wirtschaftsverkehr für Cannabis (Anbau, | |
Verarbeitung, Transport, Im- und Export, Groß- und Einzelhandel) wird | |
gesetzlich reguliert und unter Genehmigungsvorhalt gestellt.“ Die Grünen | |
verweisen ausdrücklich auf das kanadische Modell. | |
Taugt Kanada als Vorbild? Laut Statistiken durchaus. Zwar ist dort rund | |
drei Jahre nach der Legalisierung tatsächlich ein Problem, wovor Kritiker | |
wie Polizeigewerkschafter Rainer Wendt warnen: Beim Dealer von nebenan ist | |
die Ware deutlich günstiger. Bei illegalen Händlern zahlen die Konsumenten | |
nur etwas mehr als die Hälfte des Preises, der in legalen Geschäften | |
gefordert wird. Zudem gibt es auf dem Schwarzmarkt eine größere Auswahl und | |
potentere Produkte – wenn auch verbunden mit den entsprechenden Risiken. | |
Gleichwohl zeichnet sich der Effekt der Legalisierung auf die | |
Schattenwirtschaft in Kanada eindeutig ab. Die Freigabe erstickte den | |
Schwarzmarkt nach Angaben des kanadischen Statistikamtes zwar nicht sofort, | |
dessen Anteil schrumpfte aber sukzessive, während der Umsatz an legalen | |
Produkten stetig zunahm. Im Jahr 2020 überholte der legale Markt | |
schließlich den illegalen. | |
## Steuereinnahmen stehen nicht im Vordergrund | |
Ökonom Haucap geht von einem ähnlichen Szenario für Deutschland aus: | |
„Sofern ein wettbewerbskonformer Preis und die Verfügbarkeit in der Nähe | |
durch genügend lizenzierte Shops gegeben sind, würde ich mit ein bis | |
maximal zwei Jahren rechnen, bis der legale Markt den Schwarzmarkt | |
überholt.“ | |
Dabei ist die Differenz zwischen dem Verkaufspreis für legale Produkte, den | |
er seiner Rechnung zugrunde legt, und dem Straßenpreis weitaus niedriger | |
als in Kanada – die Chance, damit den Schwarzmarkt auszutrocknen, also | |
entsprechend höher: Der Universitätsprofessor geht von 10 Euro pro Gramm | |
Gras aus, ganz ähnlich den deutschen Straßenpreisen. Die Besteuerung setzt | |
er mit 4,50 Euro an, ein ähnlicher Satz wie die Steuer auf Tabak – und | |
deutlich mehr als in den USA oder Kanada. | |
Auch für seine Prognose, dass der Fiskus [3][am Cannabishandel] kräftig | |
mitverdienen könnte, gibt es belastbare Erfahrungswerte. Beispielsweise | |
sind im US-Staat Oregon die Cannabissteuer-Einnahmen nach Angaben des | |
Finanzministeriums seit der Legalisierung im März 2016 von anfangs rund 4 | |
Millionen US-Dollar monatlich auf rund 17 Millionen im Februar 2021 | |
gestiegen. In Colorado zogen sie nach Angaben der Behörden von knapp | |
200.000 Dollar im Februar 2014 auf rund 10 Millionen Dollar im März 2021 | |
an. Es darf also entgegen der Kritik der Polizeigewerkschaft erwartet | |
werden, dass durch die Legalisierung die Bandenkriminalität im Drogenmilieu | |
abnehmen wird – und gleichzeitig die Steuereinnahmen steigen. | |
Aber braucht es in dieser ideologischen Diskussion eigentlich monetäre | |
Argumente? Und wie moralisch sind diese Argumente? Denn Cannabis mag zwar | |
nicht schädlicher sein als Alkohol oder Nikotin – aber es bleibt ein | |
Rauschmittel, dem kein ernsthafter Experte Suchtpotenzial und negative | |
Auswirkungen auf die Gesundheit absprechen wird. | |
Steuereinnahmen sollten nicht das Hauptargument in der Debatte sein, meint | |
Ökonom Haucap. Aber sie seien nun mal ein wichtiger Faktor für die Politik | |
und jetzt vielleicht so etwas wie „der letzte Tropfen“, der zur | |
Legalisierung führe: „Die fiskalischen Aspekte sind am Ende nur ein | |
willkommener Nebeneffekt, entscheidend sind der bessere Jugend- und | |
Gesundheitsschutz bei einer Legalisierung.“ Ohnehin wird in der Diskussion | |
um die Cannabissteuer oft vergessen, dass sie gar nicht als effektive | |
Mehreinnahme für den Staat gedacht sein muss, sondern vielleicht besser in | |
die Suchtprävention fließen könnte. So steht es etwa im Parteiprogramm der | |
FDP. | |
Wann es zur Cannabislegalisierung kommt, ist noch unklar. Ein Zeitplan zur | |
Umsetzung liege nicht vor, „Priorität hat der Kampf gegen die Pandemie“, | |
sagte etwa FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann vergangene Woche. Der | |
SPD-Innenpolitiker Sebastian Fiedler fügte hinzu: „Aktuell ist es kein | |
guter Zeitpunkt für einen Cannabis-Gesetzesentwurf.“ | |
2 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/fdp/status/1207284901030051840 | |
[2] /Geplante-Freigabe-von-Cannabis/!5821425 | |
[3] /Cannabismarkt-in-Deutschland/!5805967 | |
## AUTOREN | |
Oliver Schulz | |
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