# taz.de -- Wissenschaftliche Forschung zu Cannabis: Schlechte Datenlage | |
> Trotz seiner weiten Verbreitung sind viele Aspekte von Cannabis immer | |
> noch nicht gut erforscht. Seine Legalisierung würde das ändern. | |
Bild: Legalisierung als Chance für die Wissenschaft: Bislang war Cannabis schl… | |
BREMEN taz | Cannabis ist der lateinische Name für Hanf, eine der ältesten | |
Nutzpflanzen überhaupt. Die Forschung geht davon aus, dass Menschen die | |
Pflanze schon in der Jungsteinzeit kultivierten. Die Fasern der Stängel | |
eignen sich für die Herstellung von Segeln, Seilen, Verbänden und Papier. | |
Die Samen können gegessen oder zu Öl gepresst werden. Die weiblichen Blüten | |
und Blätter sowie das Harz werden seit Jahrtausenden als Marihuana und | |
Haschisch geraucht, verdampft oder gegessen. | |
In verschiedenen Kulturen galt und gilt Cannabis als Heilpflanze. Sie ist | |
schon so lange und so weit verbreitet, dass ihr genauer Ursprungsort heute | |
nicht mehr exakt bestimmt werden kann, vermutlich liegt er in Asien. Bis | |
ins 19. Jahrhundert war Cannabis auch in der westlichen Medizin ein häufig | |
verschriebenes Medikament, das änderte sich, als es unter dem Namen „Indian | |
Hemp“ auf der zweiten internationalen Opiumkonferenz 1925 als Rauschgift | |
klassifiziert und wenig später auch in Deutschland illegalisiert wurde. | |
Knapp hundert Jahre später können Ärzt:innen hierzulande wieder Cannabis | |
auf Rezept verschreiben. Die Blüten und Blätter werden vor allem zur | |
[1][Schmerztherapie] eingesetzt. Deutlich häufiger ist jedoch der | |
Freizeitgebrauch. Laut World Drug Report der Vereinten Nationen | |
konsumierten im Jahr 2019 etwa 200 Millionen Menschen Cannabis, fast vier | |
Prozent der Weltbevölkerung. Während der Pandemie ist der Konsum in vielen | |
Ländern noch weiter gestiegen. | |
Warum die Pflanze so beliebt ist, zeigt sich schon am Begriff „Kiffen“. Der | |
arabische Ursprung „kayf“ bedeutet soviel wie Wohlbefinden oder Vergnügen, | |
was vor allem an der psychoaktiven Substanz Tetrahydrocannabinol (THC) | |
liegt, eines von über 100 Cannabinoiden, die in Cannabis enthalten sind. | |
Auch der menschliche Körper produziert diese Stoffe, das sogenannte | |
Endocannabinoid-System ist Teil unseres Nervensystems. Ihre Wirkung | |
erzeugen die Cannabinoide, indem sie mit diesem interagieren und so | |
Schmerzen lindern, Muskeln entspannen – oder eben Rauschzustände | |
hervorrufen können. | |
Trotz seiner weiten Verbreitung und der jahrtausendealten Geschichte sind | |
viele Aspekte von Cannabis immer noch nicht gut erforscht. Mit der | |
Legalisierung, wie sie derzeit [2][von der Ampel-Koalition angestrebt | |
wird], ist für viele Forschende deshalb auch die Hoffnung verknüpft, | |
validere Daten zu bekommen. „Es war teilweise schwieriger, Cannabis zu | |
erforschen als Heroin“, sagt etwa Jürgen Rehm, Professor am Zentrum für | |
interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg. | |
Bei den legalen Drogen [3][Alkohol] und [4][Tabak] hingegen lässt sich etwa | |
der Schaden im Zusammenhang mit ihrem Konsum ziemlich genau beziffern: Laut | |
der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) sterben in Deutschland | |
jährlich rund 74.000 Menschen direkt oder indirekt an den Folgen von | |
Alkohol und zwischen 110.000 und 140.000 Menschen an den Folgen von | |
Tabakkonsum. | |
Auch der Konsum von Cannabis ist nicht gänzlich ohne Risiken. „Bei Cannabis | |
gibt es drei gravierende gesundheitliche Gefahren: Verletzungen und | |
Todesfälle im Straßenverkehr, Lungenschäden und Cannabis-Konsum-Störungen�… | |
so Rehm, der auch Senior Scientist am Zentrum für Sucht und psychische | |
Gesundheit im kanadischen Toronto ist. In Kanada wurde Cannabis 2018 | |
legalisiert. Die Zahl der Konsument:innen stieg dadurch nicht. Zu | |
diesem Ergebnis kommen auch die Wissenschaftlichen Dienste im Bundestag, | |
die unter anderem die Entwicklung in Kanada oder Portugal analysierten. | |
Oft liegt die Gefahr ohnehin weniger im Konsum an sich, sondern im | |
Verhalten der Konsument:innen. Ähnlich wie bei Alkohol müsse sichergestellt | |
werden, dass Leute sich nicht im Rausch ans Steuer setzen, sagt Rehm: „Das | |
müssen wir vermeiden, denn das ist die wichtigste Gesundheitsfolge.“ | |
In Europa ist – anders als etwa in Nordamerika – außerdem das Rauchen als | |
Joint beliebt, bei dem Marihuana mit Tabak gemischt wird. Das erhöht das | |
Risiko von Herzinfarkten, Schlaganfällen und Krebs. | |
Aber auch Marihuana pur zu rauchen, kann die Lunge schädigen. „Auch wenn | |
Sie biologisches Rübenkraut rauchen, ist das schädlich, obwohl das an sich | |
keine giftige Substanz ist“, so Rehm. Besonders in diesem Bereich fehle es | |
jedoch noch an Studien, die sich spezifischer mit den Folgen von Cannabis | |
auf die Atmungsorgane befassen. | |
Cannabis kann jedoch beispielsweise auch als Keks gegessen werden. Beim | |
Essen gelangt allerdings weniger THC ins Blut als beim Rauchen und der | |
Anstieg verläuft langsamer, dafür hält die Konzentration länger an. | |
Von einer Legalisierung verspricht sich die Politik unter anderem einen | |
besseren Jugendschutz. Viele der Risiken, denen sich | |
Cannabis-Konsument:innen derzeit aussetzen, hängen auch mit der | |
Kriminalisierung zusammen, etwa der steigende THC-Gehalt. „Wenn das Ganze | |
illegal ist, gibt es praktisch keine Kontrolle durch das System“, sagt | |
Rehm. | |
Eine Legalisierung im Sinne der öffentlichen Gesundheit müsse so gestaltet | |
werden, dass neben Dingen wie einem Werbeverbot auch der THC-Gehalt des | |
Cannabis angegeben werde. „Damit können Konsumenten den Stoff einschätzen | |
und negative Folgen vermeiden“, so Rehm. Studien deuten darauf hin, dass | |
die Gefahr, eine Konsumstörung zu entwickeln steigt, je höher der | |
THC-Gehalt ist. Laut Europäischem Drogenbericht ist dieser heute im Schnitt | |
doppelt so hoch wie noch vor zehn Jahren. | |
Hinzu kommt die Gefahr durch synthetische Cannabinoide. Diese haben einen | |
sehr hohen THC-Gehalt und ihr Konsum kann – anders als bei natürlichem | |
Cannabis – in seltenen Fällen sogar tödlich sein. Auch das Strecken von | |
Haschisch oder Marihuana mit Sand, Zucker, Dünger, Haarspray oder anderen | |
Stoffen, etwa um das Gewicht zu erhöhen oder die Farbe zu verändern, ist | |
ein Problem. | |
## Widersprüchliche Forschungsergebnisse | |
„Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu | |
Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein“, heißt es im | |
Koalitionsvertrag der Ampelregierung. Ein Verkauf in solchen Geschäften und | |
ein Anbau, der den THC-Gehalt kontrolliert, könnte die Risiken vermindern. | |
Fälle von Konsumstörungen, zu denen etwa Abhängigkeiten gehören, treten vor | |
allem bei sehr regelmäßigem Konsum sowie bei jugendlichen Nutzer:innen | |
auf. | |
Zum oft erwähnten Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und Psychosen gibt | |
es widersprüchliche Forschungsergebnisse. Die WHO schrieb dazu 2018: „Die | |
überwiegende Mehrheit der Menschen, die Cannabis konsumieren, wird nie eine | |
psychotische Störung entwickeln, und diejenigen, die dies tun, werden | |
wahrscheinlich eine genetische Anfälligkeit für eine durch Cannabis | |
induzierte Psychose haben.“ Auch das Vorurteil von Cannabis als | |
Einstiegsdroge ist wissenschaftlich schon lange nicht mehr haltbar. | |
Bereits 1994 waren laut Bundesverfassungsgericht „sachliche Gründe für die | |
unterschiedliche Behandlung von Alkohol und Cannabisprodukten | |
schlechterdings nicht mehr erkennbar“. Dies verstoße gegen das allgemeine | |
Gerechtigkeitsgefühl. 28 Jahre später folgt nun auch die Politik dieser | |
Einschätzung. | |
3 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Freigabe-zur-Schmerztherapie/!5167578 | |
[2] /Legalisierung-von-Cannabis/!5815534 | |
[3] /Konsum-von-Bier-und-Schnaps/!5501033 | |
[4] /Bundestag-erhoeht-Tabaksteuer/!5778384 | |
## AUTOREN | |
Teresa Wolny | |
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