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# taz.de -- Stromkrise auf dem Balkan: Den Saft abgedreht
> Wegen der Energiekrise verbietet Kosovo das Schürfen von Kryptogeld.
> Klingt nach Science-Fiction? Stimmt. Ist aber Realität.
Bild: Täglich zwei Stunden ohne Strom, und das im Winter: Im Kosovo ist das Re…
Manchmal raschelt es in den Nachrichten. Und zwar dann, wenn der gewohnte
Meldungsfluss aus Inzidenzwerten, Mord und Totschlag im Ausland, ominösen
Bewegungen an Börsen, im ewigen Eis oder unter Spaziergängern unterbrochen
wird. Plötzlich rutscht dann eine verstörende Meldung dazwischen, die
klingt, als wäre sie nicht der Wirklichkeit, sondern einem Roman
entsprungen.
Oder hatten Sie nicht das Gefühl, in einem Science-Fiction-Film zu sein,
als es [1][diese Woche hieß]: „Kosovo verbietet das Schürfen von Kryptogeld
wegen der Energiekrise“?
Freilich war es, wie so oft bei Geraschel, eine Meldung, deren Leuchtzeit
die eines Meteorschauers noch unterbot: Kaum jemand verschwendete größere
Energie darauf, die Hintergründe dieser Meldung zu erklären, obwohl die
doch fast so bedrohlich klingt wie „Ominöse Lungenkrankheit in China
entdeckt“.
Vielleicht, weil man Geraschel vom Balkan lieber überhört, weil da sowieso
nichts Gutes dahintersteckt. Vielleicht, weil seit den aufgeflogenen
[2][Fake-News-Fabriken in Montenegro] die ganze Region schon als Sweatshop
für ominöse Internetaktivitäten gilt. Vielleicht waren diese Woche aber
auch wegen des „mutmaßlich ungeimpften Tennisspielers aus Serbien“
sämtliche Energiereserven von anderen Balkanthemen abgezogen.
## Zwei Stunden ohne Strom
Es ist jedenfalls so, dass sich das Kosovo den größtenteils importierten
Strom nicht leisten kann, weil er infolge der Pandemie zu teuer geworden
ist. Schon vor Weihnachten wurde ein Energienotstand ausgerufen, private
Haushalte werden seitdem täglich zwei Stunden vom Netz genommen. Das aber
reichte nicht, und deswegen wurde nun den Minenarbeitern des Internets der
Saft abgedreht. Denn für das „Schürfen“ von Internetwährungen werden
gigantische Strommengen verbraucht, Schätzungen der Universität Cambridge
zufolge nutzte 2021 alleine der Bitcoin über 300 Terawattstunden Strom und
damit mehr als ganz Holland.
Der Strom wird für Trilliarden von Rechenaufgaben benötigt, die die
Schürfer bzw. ihre Rechner ausführen müssen, um einen Coin freizulegen,
also ihn zu verdienen. Wie aus einer Rechenaufgabe eine Münze wird, die was
wert ist – fragen Sie mich nicht.
Fragen sollte man die kosovarische Regierung, warum sie dem „Mining“ nicht
schon früher den Stecker gezogen hat, also bevor sie ihren Bürgern mitten
im Winter den Strom zum Heizen abgestellt hat. Hielt sie Kryptoschürfen
bisher auch nur für Geraschel?
Fragen kann man auch die deutsche Ministerin für Klima-Außenpolitik, ob sie
fürs Kryptoschürfen schon den im Koalitionsvertrag stehenden Klima-Check
gemacht hat. Zumal gerade in einem anderen ihrer Zuständigkeitsgebiete
ordentlich Aufruhr wegen Energiepreisen herrscht: in Kasachstan, wo sich
der zweitgrößte Kryptoschürfplatz der Welt befindet.
Anders als durch die ursprüngliche Kapitalakkumulation, bei der die Hände
vom Buddeln nach Gold, Öl und anderen Bodenschätzen (wegen denen Serbien
das Kosovo nicht hergeben will) schmutzig wurden, bleiben Kryptoschürfer-
und andere Internetnutzerhände sauber. Das weltweite Im-Internet-Rumhängen
stößt aber jährlich so viel CO2 aus wie der Flugverkehr. Die Zeit ist reif
für ökologischen Tastaturabdruck und Internetscham. Aber das läuft noch
unter Geraschel.
9 Jan 2022
## LINKS
[1] https://www.deutschlandfunk.de/schuerfen-von-kryptogeld-wegen-energiekrise-…
[2] https://www.derstandard.at/story/2000083770573/us-konservative-steckenhinte…
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
Stromkosten
Kosovo
Balkan
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Kohleausstieg
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Kosovo
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