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# taz.de -- Nachdenken über den Begriff „Öffnung“: Der ruinierte Bühnens…
> Die „Öffnungsdebatte“ ist ein unwürdiger Umgang mit der einst so
> wichtigen Repräsentantin für Freiheit, Hoffnung, Abenteuer, neue Ufer.
Bild: Die Öffnungsdebatte: Was war sie doch für ein Bühnenstar unter den Beg…
Nach Menschen mit Alter, Kindern oder Vorerkrankungen ist es Zeit für eine
Soli-Gruppe, die sich den durch die Pandemie in den Ruin getriebenen
Vokabeln widmet. Während sich [1][Ausdrücke wie „vorpreschen“] bereits vor
Erschöpfung durch hyperinflationären Gebrauch in einen dunklen Keller
zurückgezogen haben, wird in diesen Tagen der „Öffnung“ übel mitgespielt.
Was war sie doch für ein Bühnenstar unter den Begriffen! Einerseits ein
Allerweltswort, in ihrer buchstäblichen Inszenierung aber ein seltenes
Exemplar, da sich die Architektur ihrer Schriftzeichen am bedeuteten Inhalt
orientiert: mit ihrem riesigen Ö am Anfang imitiert sie ein wildes Tier,
das sein Maul erst brüllend aufreißt, dann mit einem ff einen
retardierenden, die Angriffslust zurücknehmenden Moment einlegt, sich
leicht schließt und auf konstant niedrigschwelligem Niveau verharrt.
Ganz so wie der Vorgang des Öffnens von Menschenhand: am Anfang große Show
(die Tür geht auf, wow!), anschließend kurzer Passagenmoment (man geht
durch die Tür durch, aha!), und dann verpufft der Effekt komplett, denn die
Tür geht entweder einfach wieder zu, ohne dass man es merkt, oder sie
bleibt auf und alle vergessen, dass sie jemals geschlossen war.
Aber die Öffnung ist nicht nur ein Werkzeug im Weinberg der Vokabeln. Mit
den Jahren hatte sie sich einen glamourösen Status erarbeitet, über den
andere Wörter nur staunen konnten: Chinas „Überragender Führer“ Deng Xiao
Ping benannte 1978 sein revolutionäres Programm nach ihr: „Reform und
Öffnung“. Ronald Reagan nutzte sie für seinen legendären Appell am
Brandenburger Tor 1987: „Mr. Gorbachev. Open this gate!“ Der
kapitalistische Antifaschismus errang mit ihr seinen letzten Sieg über die
Nazis: 1996 wurde die 1934 festgesetzte „Ladenschlusszeit“ von 18.30 Uhr
zugunsten der „verlängerten Ladenöffnungszeit“ bis 20 Uhr liquidiert.
Angela Merkel sorgte mit ihrer „Grenzöffnung“ 2015 dafür, dass nach
„Blitzkrieg“ und „Kindergarten“ ein weiteres deutsches Wort in den
internationalen Sprachgebrauch einging: „Willkommenskultur“, synonym für:
offenes Land.
## Unwürdiger Umgang
Auch in militärisch-taktischer Hinsicht spielte die Öffnung immer eine
große Rolle (Öffnung der Bundeswehr für Frauen) und bezeichnet beim Schach
die Beseitigung eines Bauern (durch Abtausch oder Opfer), um neue Linien
für die eigenen Truppen zu erschließen.
Die „Öffnungsdebatte“ aber ist ein unwürdiger Umgang mit der einst so
wichtigen Repräsentantin für Freiheit, Hoffnung, Abenteuer, neue Ufer. Wie
eine Ex-Diva dient die Öffnung heute nur noch als Statistin einer
Vorabendserie.
Denn sie wird nicht mehr benutzt, um durch bisher geschlossene Türen zu
kommen, neue Welten zu erkunden oder Verhältnisse umzuschmeißen. Die
Öffnung wird heute benutzt, um die Türen lediglich wieder in den Zustand zu
versetzen, in dem sie vorher auch schon waren: manche für alle offen,
manche nur wenigen. Wegen „Team Öffnung“ ist der einstige Vokabelstar nur
noch ein Schatten seiner selbst: Oder was genau soll vom „Öffnungsturbo“
eigentlich geöffnet werden, wo doch sowieso nichts mehr geschlossen,
höchstens im eingeschränkten Betrieb ist?
Fans und Feinde der „Öffungsorgie“ wirken wie Teilnehmer einer
geschlossenen und nicht wie Wegbereiter einer offenen Gesellschaft. Der
Öffnungsschimmer am Horizont lässt auf sich warten.
5 Feb 2022
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## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
Kolumne Geraschel
Schwerpunkt Coronavirus
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