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# taz.de -- Kriegsverbrechen in Kroatien 1944: Babas sind stark. Babas sterben …
> Baba Zelica, letzte Überlebende des Massakers um das Dorf Voštane,
> stirbt. Ihre Angehörigen tragen Fakten und Mythen um das Kriegsverbrechen
> zusammen.
Bild: Soldaten einer SS Gebirgsdivision im Jahre 1935
Baba Zelica liegt im Sterben. Wir wollten dieses Jahr ihren 100. Geburtstag
feiern, aber sie kann ihren Spaten nicht mehr halten. Deswegen will sie die
Erde nun verlassen. Sie kann ihr nicht mehr nützlich sein. Ihr ganzes Leben
lang hat sie den Acker vor ihrem Haus im Karstgebirge des kroatischen
Hinterlands bearbeitet. Jetzt will sie in Frieden gehen.
Baba Zelica ist die letzte Überlebende des Massakers um das dalmatinische
Bergdorf Voštane, in dem im März 1944 zwischen 1.500 und 3.000 Zivilisten
von der SS Division Prinz Eugen erschossen und verbrannt wurden.
In dem Bett, in dem Baba Zelica jetzt stirbt, wurde damals ihre Mutter von
der SS erschossen, im Haus nebenan meine Oma verbrannt. Baba Zelica ist
meine Urgroßtante.
Die Erzählungen über das Massaker sind so karg wie der Felsen des
Kamešnica, das Gebirges über Voštane. Das Nürnberger
Kriegsverbrechertribunal verurteilte die verantwortlichen SS-Generäle zwar.
Doch das sozialistische Jugoslawien verzichtete auf eigene Prozesse.
## Fetzen von Fakten
Details und konkrete Täter blieben ungeklärt. Die Inschrift des kleinen
Denkmals in Voštane lautet „von böser Hand ermordet“. Vergessen umweht das
verwaiste Dorf. Auf dem Friedhof lässt sich das Massengrab, in dem auch
meine Oma verscharrt wurde, nicht mal mehr finden.
Während die allerletzte Augenzeugin unseres Familienzweigs im Nachbarzimmer
stirbt, sitzen vier Generationen in ihrer winzigen Küche. Mühsam werden
Fetzen von Fakten und die Mythen um das Massaker zusammengetragen. Warum
hat sich in Jugoslawien niemand dafür interessiert? Warum hat kaum einer
darüber gesprochen, auch Baba Zelica nicht? Wollten die Partisanen
vertuschen, dass sie dem Massaker tatenlos zugeguckt hatten? Waren die
Mörder nicht eigentlich serbische Četniks? Wie hat man die Überreste
überhaupt identifizieren können? „Eheringe“, sagt einer.
Alle Erklärungsversuche enden so: Die Voštaner waren weder Anhänger der
lokalen Faschisten noch der Partisanen. Deswegen sei niemand zur Hilfe oder
Aufklärung gekommen. Nach dem Sieg über die Nazis sei die Gegend
aufgeforstet worden. Ergebnis: viel Schatten und gute Luft. Doch die
Bergbauern verloren nach ihren Angehörigen nun auch ihre Weideflächen und
damit ihre Lebensgrundlage. Sie verließen das Dorf, und es wuchs
buchstäblich Gras über das Massaker.
Baba bedeutet Oma. Aber Baba werden in Kroatien alle alten Dorffrauen
genannt, die riesige Arbeiterinnenhände, großen Humor und einiges zu
erzählen haben. Babas sind stark. Babas sterben aus. Niemand will das harte
Leben der Babas führen.
Als wir uns von Baba Zelica am späten Abend verabschieden, erkennt sie uns
nicht mehr. Doch plötzlich flüstert sie einen letzten Satz: „Es fällt mir
schwer, mich an euch zu erinnern, aber ich liebe euch alle.“ Sie hebt eine
Hand und winkt. Hat Baba Zelica mitgehört, als wir in der Küche über das
Massaker geredet haben?
Während des Tages wird der [1][Krieg in der Ukraine] nur einmal erwähnt:
„Die Ukrainer erleben das Gleiche wie wir. Gebe Gott, dass sich jemand um
sie kümmert“, sagt Baba Milica, 84.
Das verwaiste Voštane mahnt daran, dass selbst ein einzelnes
[2][Kriegsverbrechen] äußerst lange Nachwirkungen hat. Es mahnt daran, dass
man einem Ort für Generationen das Leben nehmen kann, wenn man nur
aufforstet, statt aufzuarbeiten.
1 May 2022
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
[2] /Moegliche-russische-Kriegsverbrechen/!5848369
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
Kolumne Geraschel
Kroatien
Kriegsverbrechen
Robert Habeck
Schwerpunkt Korruption
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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Kolumne Geraschel
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