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# taz.de -- Die allgemeine Bedrohungslage: Meine kritische Infrastruktur
> Nun also doch noch Corona – die Infektion fühlte sich zunächst an wie ein
> Luftangriff. Und dann doch eher wie Kernschmelze im AKW Isar 2.
Bild: Ich hatte plötzlich das Gefühl, ich sei die Ukraine, die unter Beschuss…
Ich hab Corona. Ja, ich weiß, hatten andere auch schon. Dass dieses Virus
ein Angriff auf die ganz persönliche kritische Infrastruktur ist, hatten
wir das auch schon? Bei mir war es jedenfalls so: Nach anklingenden
Symptomen und einem positiven Schnelltest kam es zur anschwellenden Panik,
was das Virus alles mit mir anstellen würde.
Während mein Körper unter dem Dauerbeschuss durch Sars-CoV-2 immer
schwächer wurde, seine Dienstleistungen minütlich einschränkte und das
Fieberdelirium einsetzte, sah ich die komplett in Rot getauchte Landkarte
der Ukraine vor mir. Sie war rot, weil im ganzen Land Luftalarm herrschte,
zum ersten Mal seit Beginn des Krieges. Ich hatte plötzlich das Gefühl, ich
sei diese Landkarte, ich sei die Ukraine, die unter Beschuss liegt.
Ja sicher weiß ich, dass der Killer im Kreml die Ukraine zu einer „404“
machen will, zu einem nicht vorhandenen Eintrag auf der Weltkarte. Und ja
sicher weiß ich, dass ich mehrfach kostenlose Defensivwaffen geliefert
bekommen habe, gegen die Covid-19 keine Chance hat. Und ja, sicher weiß
ich, dass es total peinlich, unangemessen und zynisch ist, die eigene
kritische Infrastruktur mit der eines angegriffenen Landes zu vergleichen,
das tausende Tote, Gefolterte, Verschleppte, Ausgebombte, Vertriebene und
Traumatisierte beklagen muss. Trotzdem. Ich hatte nun mal das Bedürfnis, in
einem Bunker Schutz zu suchen. Meine kritische Infrastruktur hatte einen
kritischen Zustand erreicht.
Am nächsten Tag ging es mir anders als der Ukraine schon etwas besser.
Dennoch ging es mir wie Norddeutschland letzten Samstagvormittag:
komplettes Kommunikationsversagen. Als wären auch bei mir so wie bei der
Bahn zwei dicke Drähte durchtrennt worden, die alles lahmlegten. So schnell
wie die Bahn den Defekt behoben hat, ging es bei mir allerdings nicht mit
der Besserung. Anfunk- und Antwortfunktion blieben den ganzen Tag
ausgeschaltet. Die einzige Empfangsmöglichkeit waren niedrigschwellige
Angebote: [1][„Die Kaiserin“] (alle 6 Folgen), 2,5 Dokus darüber, wer Sisi
wirklich war, eine über das Schicksal ihrer Kinder und eine über ihren
Mörder.
Glücklicherweise ließ sich das Delirium durch die leichte Kost besänftigen
und ging freiwillig ins Abklingbecken. Kaum hatte meine kritische
Infrastruktur „Abklingbecken“ gehört, sendete es einen erneuten
Fieberschwall und gab zu verstehen, ich sei das dringend
reparaturbedürftige [2][Atomkraftwerk Isar 2]. Die „Leckagen“ müssten
dringend gestoppt werden. Alarmsirenen brüllten, der Druck auf die Ventile
wurde immer größer. Glücklicherweise kam jemand vorbei, der mir mitteilte,
dass der Weiterbetrieb gewährleistet sei, weil das Problem behoben wurde
und es keiner weiteren Revision bedürfe.
Sich einzubilden, unter Beobachtung, Beschuss und Belagerung zu stehen oder
seine Umgebung zu verstrahlen wie ein Störfall mit Kernschmelze, ist krass
anstrengend. Apokalyptiker zu sein ist harte Arbeit. Ich bin froh, dass
meine kritische Infrastruktur sich wieder halbwegs sortiert hat und
kritisch nachfragt, wenn sich irgendeine hitzige Idee bei mir einnisten
will. Sie hat diesen kleinen Reset aber offenbar gebraucht. Denn bevor ich
Corona hatte, glaubte ich, Masketragen sei überflüssig geworden. Ich hab
zwar immer noch keine Lust darauf. Aber noch weniger Lust hab ich darauf,
noch mal ernsthaft zu glauben, ich sei der Brennstab von Neckarwestheim.
17 Oct 2022
## LINKS
[1] https://www.netflix.com/title/81222923
[2] https://www.br.de/nachrichten/bayern/nach-leck-im-akw-isar-2-reservebetrieb…
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
Kolumne Geraschel
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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