# taz.de -- Blockchain-Experte über Kryptospenden: „Das Geld ist sofort da�… | |
> Auch Kryptowährungen lassen sich an die ukrainische Regierung spenden. | |
> Ökonom Philipp Sandner über die Chancen und Risiken dieser neuen Art des | |
> Spendens. | |
Bild: Geldautomat in Kiew. Werden Kreditkarten nicht mehr akzeptiert, bleiben n… | |
taz: Am 26. Februar kündigte Mykhailo Fedorov, Vize-Premier und Minister | |
für Digitale Transformation der Ukraine, auf Twitter an, dass die | |
ukrainische Regierung Spenden per Kryptowährung akzeptiert. Seit Montag | |
gibt es eine [1][offizielle Krypto-Spendenseite] der Regierung. Wie | |
beurteilen Sie diese Schritte? | |
Philipp Sandner: Wir sehen hier eine neue Art des Spendens, über die bisher | |
wenig bekannt ist. Das Geld ist sofort vor Ort, die Transaktionskosten | |
gering. Egal, wo die Leute sind – in Japan, Deutschland, Australien – sie | |
können alle an ein- und dieselbe digitale Geldbörse, das sogenannte Wallet, | |
spenden. Das schafft die klassische Spenden-Infrastruktur nicht. Wer hier | |
von Deutschland aus auf herkömmlichem Weg Geld für die Ukraine spendet, | |
weiß nicht, wann es vor Ort ankommt. | |
Doch es gibt auch Nachteile. Man muss sicherstellen, dass das Krypto-Wallet | |
wirklich der hilfsbedürftigen Person oder dem hilfsbedürftigen Staat | |
gehört. Wenn die Kryptowährung vor Ort den Zuständigen zur Verfügung steht, | |
muss sie umgetauscht werden können, damit die Menschen etwas davon haben. | |
Die digitalen Geldbörsen sind für jeden online einsehbar. Man kann sehen, | |
wie viel von welcher Wallet-Adresse gespendet wurde und wie viel an andere | |
Konten transferiert wird. Sehen Sie darin eine Gefahr? | |
Zunächst erzeugt das mehr Transparenz. Weil alle – auch Journalisten – | |
nachverfolgen können, wo das Geld herkommt. Mit Programmen lässt sich | |
analysieren, was für eine Adresse das ist, ob sie einer Firma oder | |
Privatperson gehört, aus welcher Region der Welt die Kryptowährung | |
transferiert wird. | |
Wenn beispielsweise per normaler Banküberweisung 10 Millionen Euro auf das | |
Bankkonto eines Politikers eingehen, kann man das nicht in Echtzeit | |
einsehen. Sondern erst im Nachhinein, Monate oder Jahre später, wenn die | |
Zahlungen berichtet werden. | |
Welche Gefahren sehen Sie darin, dass für jeden sichtbar ist, wann, wie | |
viel und von wo gespendet wird? | |
Ist einmal bekannt, dass eine Wallet-Adresse einer bestimmten Person | |
gehört, dann können alle zukünftigen Transaktionen verfolgt und zugeordnet | |
werden. Die Privatsphäre würde sich aufgrund der Transparenz ins Gegenteil | |
wenden. | |
In der Welt der Kryptowährungen gibt es viele Betrüger, Scams, | |
Trittbrettfahrer. Könnten die Wallets der ukrainischen Regierung gehackt | |
werden? | |
Diese Möglichkeit besteht immer. Um solche Wallets adäquat zu sichern, ist | |
tiefes technisches Verständnis nötig. Von außen sieht man nicht, was für | |
eine Sicherheitsarchitektur dahintersteckt. Das kann ein Smartphone, eine | |
ganze Bank oder eine komplexe Hardware sein. | |
Theoretisch könnten die Leute hinter einer Wallet-Adresse mit dem Geld | |
abhauen – [2][Transaktionen auf der Blockchain sind irreversibel.] Die | |
Spender müssen der ukrainischen Regierung in Sachen Sicherheit vertrauen | |
und gleichzeitig selbst sicherstellen, dass sie an die richtige Adresse | |
überweisen. Denn letztendlich kann sich jeder als Ukraine ausgeben und nach | |
Spenden fragen. | |
Dass jemand behauptet, Spenden zu sammeln und diese in die eigene Tasche | |
steckt, kommt auch in der analogen Welt vor. | |
Mit dem Unterschied, dass das Kryptowährungs-Thema global ist. Die | |
traditionelle Finanzwelt ist lokaler. Dass mir in der Fußgängerzone einer | |
deutschen Kleinstadt jemand vorgaukelt, Spenden für die Ukraine zu sammeln, | |
und mit dem Geld abhaut, kann vorkommen. Doch diese lokalen Geschichten | |
haben in der heutigen Welt ein kleineres Ausmaß, richten in der Regel | |
weniger Schaden an als ein Betrug mit Kryptowährungen, wo es schnell um | |
Millionen gehen kann. | |
Spricht das gegen Spenden per Kryptowährung? | |
Bei Spenden spielt Vertrauen eine Rolle. In Bezug auf Kryptowährungen | |
sollten Nutzer sowohl skeptisch bleiben als auch ein gewisses Maß an | |
technischem Verständnis besitzen. Hier lohnt es sich, zu Fragen: Wer | |
spendet überhaupt per Kryptowährung? Sind das Leute 60+ oder ist es eher | |
der benachbarte Technik-Nerd? Die, die das tun, können die | |
Sicherheitsrisiken einschätzen. | |
Gibt es weitere Unterschiede zu traditionellen Spenden? | |
Einige Hilfsorganisation verursachen Kosten durch ineffiziente Strukturen – | |
Administration, Bürokratie, viel Papier – die einen signifikanten Teil des | |
Spendenaufkommens aufbrauchen. Von Hundert Euro kommt oft nur ein Teil bei | |
den Hilfsbedürftigen an. | |
Spende ich in einer Kryptowährung, weiß ich, dass der gewählte Betrag | |
ankommt. Da die Transaktionen auf der Blockchain für jeden einsehbar sind, | |
hat der Spender nach wenigen Minuten eine Bestätigung, dass seine Spende | |
angekommen ist – nicht bei einer Bank, sondern in diesem Fall direkt bei | |
der ukrainischen Regierung. Namhafte Hilfsorganisationen arbeiten aber auch | |
professionell an ihrer vertrauenswürdigen Reputation. Aus meiner Sicht ist | |
das ein Vorteil gegenüber anonymen Wallet-Adressen. | |
Sollte um das Thema Kryptowährungen in Deutschland mehr Bildung | |
bereitgestellt werden? | |
Ja und nein. Die Technologie ist da, bleibt da und geht nicht mehr weg. Vor | |
diesem Hintergrund sollte man sich tiefer mit dem Thema beschäftigen. | |
Doch bin mir nicht sicher, wer dafür die Verantwortung hat: muss der Staat | |
dafür sorgen, dass die Leute ausgebildet sind? Oder müssen Menschen selbst | |
ein Interesse entfalten? Dieses Wissen wird nicht mehr wie vor Jahrzehnten | |
ausschließlich an Hochschulen oder in abgeschlossenen Zirkeln vermittelt. | |
Man muss eigentlich nur auf Google „Bitcoin“ eingeben und findet die Welt | |
des Wissens vor – auf YouTube, in Podcast, frei verfügbar. | |
Wie beurteilen Sie die Akzeptanz von Bitcoin und anderen Kryptowährungen | |
als Zahlungsmittel in Europa? | |
Die Akzeptanz als Zahlungsmittel geht gegen Null. Das ist gewollt, weil man | |
in Deutschland und in der EU kein paralleles Zahlungssystem braucht. | |
Kreditkarten, Zahlung per Smartphone, PayPal – das funktioniert in Europa | |
wunderbar. Kryptowährungen wie Bitcoin und Ethereum sind eher | |
Investitionsgüter, um Werte über die Zeit hinweg aufzubewahren und etwa vor | |
der Inflation in Sicherheit zu bringen. | |
Falls in einem Land das Bankensystem zusammenbrechen würde, die Währung | |
abstürzt, Kreditkarten nicht mehr akzeptiert werden, bieten Kryptowährungen | |
eine interessante Alternative. Das kann man heute schon beobachten, wenn in | |
einem Land die Institutionen versagen oder zerstört werden. | |
Ist es nicht problematisch, dass man beim Senden von Kryptowährungen an | |
normale Bankkonten auf Krypto-Börsen wie Binance angewiesen ist? | |
Krypto-Börsen machen Nutzern das Leben lediglich einfacher. Dort kann man | |
beispielsweise Bitcoin in Dollar wechseln. Doch technisch gesehen kann man | |
auch mit einem einfachen Internetbrowser eine Transaktion ans andere Ende | |
der Welt auslösen. Man braucht keine App oder Börse, sondern nur einen | |
Internetzugang und Strom. | |
Zu den Russland-Sanktionen sagte Lindner kürzlich: „Wir sollten zudem | |
Maßnahmen ergreifen, um zu unterbinden, dass gelistete Personen und | |
Institutionen auf unregulierte Kryptowerte ausweichen können.“ Ist das | |
überhaupt praktikabel? | |
Krypto-Börsen sind hier der Dreh- und Angelpunkt, dort findet der Tausch in | |
Kryptowährungen statt, auch für russische Oligarchen. Deswegen muss die | |
Politik über die Börsen gehen. Das funktioniert heute schon: Die | |
Krypto-Börsen unterliegen den Sanktionsregeln und halten diese ein. Sie | |
sind nicht unreguliert. Coinbase hat in den vergangenen Tagen tausende | |
mutmaßlich russische Wallet-Adressen blockiert. | |
Wichtig ist, zu verhindern, dass [3][Personen mit kriminellen Absichten] | |
mit Kryptowährungen Geschäfte im Westen machen. Dahin zielt die | |
FATF-Regulierung. FATF steht für „Financial Action Task Force“. Momentan | |
wird die FATF-Travel-Rule angedacht und teils auch umgesetzt. Dann würde | |
mit jeder Transaktion von Kryptowährungen parallel ein Datensatz | |
übermittelt, aus dem hervorgeht, von wem das Geld an wen transferiert wird. | |
Wenn Informationen fehlen, dürfte die Börse die Kryptowährung nicht | |
annehmen und müsste sie an den Sender zurückschicken. Diese Regulierung | |
sollte in Deutschland in den nächsten Monaten kommen – unabhängig von der | |
aktuellen Kriegssituation. Wenn Lindner so etwas sagt, müsste er sich | |
eigentlich an die eigene Nase fassen und die Gesetzesvorhaben schneller | |
umsetzen. | |
Also sollten die Krypto-Börsen und nicht die Kryptowerte stärker beobachtet | |
werden? | |
Mit einem „Aber“: Wenn beispielsweise Russland mit Nordkorea Geschäfte | |
machen würde – Waffen gegen Bitcoin, auf direktem Kanal, ohne Börse – lä… | |
sich das in den Transaktionsdaten beobachten, aber nicht unterbinden. In | |
Bezug auf Kryptowährungen lässt sich Russland nur isolieren, wenn sich | |
viele Länder daran halten, Kryptowährungen aus sanktionierten Quellen nicht | |
zu akzeptieren. Sobald einer nicht mitzieht, flüchtet sich die | |
sanktionierte Partei dorthin. | |
All das beschreibt die Mechanismen. Wir haben noch nicht über die | |
Transaktionsvolumen gesprochen. Auf Binance wurde vor dem Einmarsch in die | |
Ukraine pro Tag der Gegenwert von 3 bis 4 Millionen US-Dollar von Rubel in | |
Bitcoin getauscht. Nach dem Einmarsch ist dieser Wert auf 16 bis 20 | |
Millionen US-Dollar angewachsen. Es liegt nahe, dass dies tausende von | |
Bürgern sind, nicht einige wenige Oligarchen. Hier zeigt die | |
Blockchain-Technologie einen ihrer Vorteile: die große Transparenz der | |
Transaktionsdaten. | |
Also ist eine globale Kooperation ist wichtiger denn je. | |
Es ist wichtig, dass die Allianz, deren Teil wir sind, einheitlich und | |
geschlossen agiert. | |
Weil sich sonst Probleme nur verlagern? | |
[4][El Salvador ist ein gutes Beispiel, weil man dort schon etwas mit | |
Bitcoin machen kann.] Bitcoin ist neben dem US-Dollar dort gesetzliches | |
Zahlungsmittel. Der IWF kritisiert El Salvador dafür. Eigentlich ist das | |
der falsche Ansatz, denn damit treibt man das Land weiter von der | |
internationalen Staatengemeinschaft weg. Besser wäre es, sich zusammen an | |
einen Tisch zu setzen und sicherzustellen, dass Länder, die | |
krypto-freundlich sind, sich an die Sanktionsregeln und Abmachungen halten. | |
Auf globaler Ebene ist wichtig, dass Länder an gemeinsamen Lösungen | |
arbeiten, statt Kryptowährungen zu verteufeln. Es ist unmöglich, diese | |
Netzwerke abzuschalten. Wenn ich in 30 Jahren in Rente gehe, wird Bitcoin | |
immer noch laufen und pünktlich alle 10 Minuten einen Block ausspucken. | |
17 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/FedorovMykhailo/status/1503470362641772558 | |
[2] /Blockchain-Technologie/!5767405 | |
[3] /Kryptowaehrungen-und-Cybercrime/!5837978 | |
[4] /Zahlungsmittel-Bitcoin-in-El-Salvador/!5832618 | |
## AUTOREN | |
Klaudia Lagozinski | |
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