| # taz.de -- Cyber-Erpressungen nehmen zu: Geld oder Daten! | |
| > Kriminelle wollen eine halbe Million Euro in der Kryptowährung Monero vom | |
| > Landkreis Anhalt-Bitterfeld erpressen. Das ist kein Einzelfall. | |
| Bild: Computer werden gehackt, die Daten verschlüsselt – und die Behörden e… | |
| Was macht man, wenn eine Behörde von einem massiven Cyberangriff lahmgelegt | |
| wird? Wenn die Mitarbeitenden dringend darauf hingewiesen werden müssen, | |
| dass sie ihre Rechner herunterfahren sollen, damit das schon im System | |
| befindliche Virus nicht noch mehr Schaden anrichten kann? Wenn das aber aus | |
| gegebenem Anlass natürlich nicht per E-Mail geht? Dann kann sich glücklich | |
| schätzen, wer noch über eine Lautsprecheranlage verfügt. | |
| Der Landkreis Anhalt-Bitterfeld – 8 Standorte, 20 Ämter, rund 1.000 | |
| Mitarbeiter:innen –, der am 6. Juli vergangenen Jahres von einer | |
| solchen Attacke getroffen wurde, hatte so zumindest ein Werkzeug, um im | |
| allerersten Moment nach der Entdeckung des Angriffs Notfallmaßnahmen | |
| einleiten zu können. [1][Es war nicht der erste Angriff dieser Art auf eine | |
| Institution der öffentlichen Hand,] aber einer, der besonders viel | |
| Aufmerksamkeit erlangte. Denn der Landkreis entschloss sich schnell, den | |
| Katastrophenfall auszurufen. Das ist eine Maßnahme, die sonst etwa bei | |
| extremen Wetterereignissen vorkommt – aber bislang nicht bei einem | |
| Cyberangriff. | |
| Die Angreifer:innen kamen vermutlich über eine Phishing-Mail ins | |
| System. Die Forderung der Gruppe „Pay or Grief“ (Zahle oder trauere): eine | |
| halbe Million Euro, zu zahlen in der Kryptowährung Monero. Im Vergleich zu | |
| Angriffen auf Wirtschaftsunternehmen eine überschaubare Summe. Dass sie es | |
| dennoch ernst meinten mit der Drohung, machten die Angreifer:innen bald | |
| nach der Attacke deutlich: Sie veröffentlichten einen Teil der erbeuteten | |
| Daten, darunter Handynummern und Bankverbindungen von Kreistagsabgeordneten | |
| sowie Sitzungsprotokolle. | |
| Attacken mit Erpressersoftware – Ransomware genannt – sind einer der großen | |
| Cybercrime-Trends der vergangenen Jahre. Das Prinzip: Kriminelle | |
| verschaffen sich Zugang zum IT-System ihres Opfers und verschlüsseln | |
| und/oder kopieren die Daten. Anschließend setzen die Angreifer:innen | |
| die Opfer unter Druck. Sie sollen ein Lösegeld zahlen, andernfalls blieben | |
| die Daten verschlüsselt, würden veröffentlicht oder Dritte wie | |
| Geschäftspartner:innen oder Patient:innen über den Angriff | |
| informiert und so die Reputation infrage gestellt. | |
| ## Kryptowährung als übliches Zahlungsmittel | |
| Das Vorgehen ist so beliebt, dass sich eine eigene Branche in der Branche | |
| entwickelt hat: Ransomware as a Service. Dabei vermieten | |
| Ransomware-Entwickler:innen ihre Software. Auch wer selbst keine Ahnung von | |
| entsprechender Programmierung hat, kann so Angriffe fahren. Die Zahlung | |
| läuft auch hier typischerweise per Kryptowährung. | |
| „Cyber-Erpressungen entwickeln sich zur größten Bedrohung“, schreibt das | |
| Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) [2][in seinem | |
| Jahresbericht 2021]. Die Folgen „können tage- oder wochenlange | |
| Netzwerkausfälle bedeuten, in denen Produktion oder Dienstleistungsangebote | |
| nur eingeschränkt oder gar nicht mehr zur Verfügung stehen“. | |
| Dabei sind Online-Erpressungen kein neues Phänomen. Sehr wohl aber die | |
| Summen, [3][die die Angreifer:innen verlangen] – und die teilweise | |
| gezahlt werden. So brachten 2021 einzelne US-amerikanische Unternehmen | |
| jeweils Summen im zweistelligen Millionenbereich auf. Bis ein Angriff | |
| bemerkt wird, kann einige Zeit vergehen. Zeit, in der die | |
| Angreifer:innen ihre Schadsoftware im System verteilen und sich weitere | |
| Zugriffe verschaffen können. Auch in Anhalt-Bitterfeld lag etwa ein Monat | |
| zwischen Infektions- und Ausbruchszeitpunkt. | |
| „Die Situation ist beschissen, aber nicht hoffnungslos“, sagt der damalige | |
| Landrat Anhalt-Bitterfelds Uwe Schulze (CDU) kurz nach dem Angriff. Die | |
| Kreisverwaltung war in weiten Bereichen nicht mehr arbeitsfähig – ob das | |
| nun eine Bafög-Zahlung oder eine Kfz-Anmeldung betraf. Für | |
| Angreifer:innen sind Verwaltung und öffentliche Einrichtungen daher ein | |
| attraktives Ziel. Zwar sind sie in der Regel weniger finanzkräftig als | |
| Unternehmen – doch die sensiblen Daten der Bürger:innen machen sie | |
| erpressbar. | |
| ## Lösegeld wurde nicht gezahlt | |
| Anhalt-Bitterfeld entschied sich trotz allem früh gegen eine | |
| Lösegeldzahlung. „Die Frage stand ungefähr zehn Sekunden im Raum, dann hat | |
| man sich tief in die Augen geguckt und gesagt: Die öffentliche Hand wird | |
| keine Lösegeldforderungen bedienen“, berichtet Sabine Griebsch, Chief | |
| Digital Officer der Landkreisverwaltung und technische Einsatzleiterin beim | |
| Umgang mit dem Angriff, bei einer Veranstaltung im Dezember. | |
| Auch Expert:innen, etwa des BSI, raten von Lösegeldzahlungen ab. Zum einen, | |
| weil die Täter:innen das Geld [4][in Infrastruktur und Personal neuer | |
| Angriffe stecken können]. Und zum anderen, weil auch eine Zahlung keine | |
| Garantie dafür ist, die Daten wiederzubekommen. | |
| Doch auch ohne Lösegeldzahlung sind die Kosten für den Landkreis nicht | |
| ohne. Zwei Millionen Euro seien bislang geflossen, die Systeme wieder | |
| aufzubauen. Und fertig ist man immer noch nicht. „Wir rechnen aktuell mit | |
| einem Abschluss der Arbeiten Ende 2. Quartal 2022“, sagte Griebsch im | |
| Februar der taz. Eines der grundsätzlichen Probleme: Es fehle an | |
| qualifiziertem Personal. Die Leitung des neuen IT-Amtes ist weiterhin | |
| unbesetzt, in der ersten Runde seien nur zwei Bewerbungen eingegangen und | |
| der geeignetere Kandidat abgesprungen. In der zweiten Runde dann: null | |
| Bewerbungen. Das Problem kennen auch andere Behörden. In der freien | |
| Wirtschaft lässt sich mit IT-Kenntnissen schlichtweg ein Vielfaches an Geld | |
| verdienen. | |
| Unabhängig davon bekommen die Verwaltungen des Landkreises ein neues Niveau | |
| an IT-Sicherheit verordnet. Die Mindestpasswortlänge wurde erhöht, lokale | |
| Administrator-Accounts abgeschafft, das Bewusstsein der | |
| Mitarbeiter:innen für IT-Sicherheit und Angriffe gestärkt. Doch zu | |
| sehr in die Karten schauen lassen möchte sich Sabine Griebsch nicht. Sie | |
| geht davon aus, dass Angreifer:innen sehr genau hinschauen werden, wenn | |
| die Systeme in Anhalt-Bitterfeld wieder komplett am Netz sind – und | |
| ausloten, wie gut das Abdichten funktioniert hat. | |
| Bislang sind im Internet nicht noch weitere persönliche Daten aufgetaucht, | |
| die von den Erpresser:innen in Anhalt-Bitterfeld erbeutet sein könnten. | |
| Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass es noch dazu kommt – oder | |
| dass, bislang unentdeckt, Datensätze bereits im Darknet gehandelt werden. | |
| Sabine Griebsch rät anderen Kommunen dringend, „einen Plan B oder überhaupt | |
| einen Plan in der Tasche“ zu haben, für den Fall eines Angriffs. Ihre | |
| Vermutung: „Die paar Vorfälle, die jetzt in die Öffentlichkeit getreten | |
| sind, sind wirklich nur die Spitze des Eisberges.“ | |
| 3 Mar 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Cyberangriffe-im-Ukraine-Krieg/!5837578 | |
| [2] https://www.bsi.bund.de/DE/Service-Navi/Publikationen/Lagebericht/lageberic… | |
| [3] /Cybercrime-und-Wirtschaftsschutz/!5784542 | |
| [4] /Experte-ueber-Cyberangriffe/!5773148 | |
| ## AUTOREN | |
| Svenja Bergt | |
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