| # taz.de -- Digitalisierung im Rundfunk: Das begleitende Medium | |
| > Wie sieht die Zukunft des Radios aus? In der Öffentlichkeit wird darüber | |
| > kaum diskutiert. Dabei steht der Hörfunk vor einer Zäsur. | |
| Bild: Das Radio als erste Quelle: Essen gegen Solingen 1978. Und, wie steht es … | |
| Sternstunde für Privatradio: Als im Juli die Wupper übers Ufer tritt, hält | |
| Radio Wuppertal eisern durch. Trotz Überflutung im Keller, der die | |
| Online-Server außer Gefecht setzt, und zum Schluss mit Notaggregat, nachdem | |
| die Stadt wegen der Überflutung den Strom abgestellt hat, bleibt das Team | |
| des Senders bis in die frühen Morgenstunden im Einsatz, um zu warnen und zu | |
| berichten. Als irgendwann unfreiwillig die Lichter ausgehen, zeigen sich | |
| die Hörer*innen später beeindruckt und dankbar. | |
| Die Katastrophennacht im Bergischen Land hat einmal mehr die Stärke eines | |
| „alten“ Massenmediums gezeigt, dem seit seinem Start in Deutschland 1923 | |
| immer wieder das baldige Ende vorhergesagt wurde, beispielsweise zur | |
| Einführung des Fernsehens in den 50er Jahren: Während sich TV zunächst am | |
| Radio orientierte, sollte schließlich ein „fernsehgerechter Hörfunk“ mit | |
| weniger Wortbeiträgen und mehr Musik entstehen. „Dudelfunk mit hirnlosem | |
| Moderatorengequassel“ nannten das damals manche Kritiker*innen. | |
| Schon bald stellte sich die Frage, wie öffentlich-rechtliche | |
| Radioprogramme, besonders im Hinblick auf das Fernsehen, gegenüber den | |
| Gebührenzahlern ihre Daseinsberechtigung behaupten konnten, zumal der | |
| Hörfunk drastisch an Publikum verlor: Zwischen 1958 und 1960 sank die | |
| tägliche Radionutzung von 2 Stunden 49 Minuten auf 2 Stunden und 12 | |
| Minuten. | |
| Parallel dazu hatten Untersuchungen belegt, dass Radio mittlerweile ein | |
| „Begleitmedium“ geworden sei. Nach der Einführung des Fernsehens schaute | |
| kaum jemand mehr ins Programm, um bestimmte Sendungen zu hören. 1952 waren | |
| es noch über ein Drittel, die sich gezielt einschalteten, 1960 nur noch 18 | |
| Prozent der Hörer. Die großen Radiostars wie Peter Frankenfeld, | |
| Hans-Joachim Kulenkampff oder Werner Höfer wanderten ins Fernsehen ab. | |
| Die Folge: Das Medium Radio sollte sein Publikum nun vor allem tagsüber | |
| finden, mit speziellen Programmen spezielle Bevölkerungsgruppen ansprechen | |
| – das war der Beginn der „Zielgruppenprogramme“. Der Service-Gedanke rüc… | |
| in den Vordergrund. Die Sendungen mussten in ihren Nachrichten und | |
| Informationen so aktuell wie möglich sein. | |
| ## Wie lange hält sich der Hörfunk noch? | |
| Wie lange der klassische Hörfunk noch existieren kann ist fraglich. Das | |
| Radioangebot über Internet ist inzwischen fast unendlich. Wer über einen PC | |
| mit Onlineanschluss verfügt, ist technisch in der Lage, selbst zum Sender | |
| zu werden. Mit der Einführung des terrestrischen [1][digitalen | |
| Sendestandards DAB+], dem Nachfolger des analogen UKW-Radios, können | |
| erheblich mehr Programme ausgestrahlt werden. Eine weitere Herausforderung | |
| für das Medium: Podcasts und vor allem Musikstreaming-Angebote wie | |
| Spotify oder Napster. Mit ihnen erhalten Nutzer*innen die Möglichkeit, | |
| ihr eigenes Programm zusammenzustellen. | |
| Noch sind die Daten zur Nutzung von Radio allerdings nicht | |
| besorgniserregend: Laut einer Marktanalyse nutzten im Jahr 2020 gut 53 | |
| Millionen Personen beziehungsweise 75,5 Prozent der deutschsprachigen | |
| Bevölkerung ab 14 Jahren mindestens ein Audioangebot unter der Woche. Der | |
| Großteil davon schaltete lineare Programme ein, während sich die tägliche | |
| Verweildauer auf 259 Minuten belief. Die Vermarktungsorganisation der | |
| privaten Anbieter RMS etwa sieht insofern keinen Grund zur Panik: Das | |
| lineare Radio sei nach wie vor ein „treuer Alltagsbegleiter“, dem die | |
| Hörer*innen vertrauten, auch die 14- bis 29-Jährigen, von denen 62 | |
| Prozent erreicht würden. Vor allem die Pandemie habe die Bedeutung des | |
| Mediums noch einmal gezeigt. In dieser Zeit hätte sich die Nutzung | |
| „spürbar“ um 24 Prozent intensiviert, um schnelle und zuverlässige | |
| Informationen zu bekommen. | |
| „Das sind erfreuliche Zahlen, wir erreichen mit unserem Programm immer noch | |
| rund die Hälfte der Menschen in unserem Sendegebiet, auch die jungen | |
| Menschen“, freut sich auch Anke Mai, Programmdirektorin Kultur, Wissen, | |
| Junge Formate beim SWR. Das klassische lineare Radio werde vom jungen | |
| Publikum ebenfalls angenommen, das Durchschnittsalter von SWR 3 etwa liege | |
| bei 44,9 Jahren. „Der Live- Charakter mit persönlicher Ansprache im | |
| linearen Radio ist ganz wichtig und für alle Altersgruppen attraktiv“, sagt | |
| sie, „diese emotionale Nähe herzustellen, das gelingt mit digitalen | |
| nonlinearen Angeboten noch nicht.“ | |
| Sie ist sich sicher, dass lineares Radio auf absehbare Zeit weiterhin eine | |
| starke Rolle spielen wird, auch für das junge Publikum. Digitalisierung und | |
| Plattformen haben bisher noch nicht zu solch drastischen Umbrüchen geführt | |
| wie im TV-Bereich, doch die Steuerung der Angebote von Algorithmen anstatt | |
| von Moderator*innen hat auch hier begonnen. Und bei der jungen | |
| Zielgruppe zeigt sich ganz klar, dass sie Audio immer mehr über digitale | |
| Verbreitungswege konsumiert. | |
| ## Neue Programme und Möglichkeiten | |
| Beim SWR ist daher ein „Audio Lab“ im Einsatz, um unter anderem in | |
| Zusammenarbeit mit Automobilherstellern neue Konzepte zu entwickeln. „Da | |
| findet sich im Cockpit kein einziger Radioknopf, Radiosender kann man dort | |
| nur noch versteckt in Sub-Menüs finden“, betont Lab-Referent Christian | |
| Hufnagel. Während die ARD-Hörfunksender der Zukunft eher beruhigt | |
| entgegensehen können – sie erhalten schätzungsweise 3 Milliarden Euro | |
| Rundfunkgebühren jährlich, sieht es bei den privaten Veranstaltern ganz | |
| anders aus: Sie erwirtschaften hauptsächlich über Werbung im Vergleich | |
| „nur“ etwa 600 Millionen Euro pro Jahr. | |
| „Das von den Deutschen meistgenutzte Medium hatte bislang in Gesellschaft, | |
| Wirtschaft und Politik eine relativ geringe Wertigkeit, die Werbegattung | |
| Radio nimmt hierzulande nur drei Prozent bei den Werbeausgaben insgesamt | |
| ein, das ist im europäischen Vergleich der niedrigste Wert.“ Das sagt Erwin | |
| Linnenbach mit Blick auf die private Radiolandschaft, die seit 1984 | |
| entstand. | |
| Seit über 30 Jahren ist Linnenbach in diesem Bereich tätig, hat unter | |
| anderem im Frühjahr das über DAB+ bundesweit zu empfangende „Sportradio | |
| Deutschland“ gestartet. „Ein Großteil der deutschen Wirtschaft konnte das | |
| Medium Radio bisher nicht wirklich nutzen, weil es keine Vielfalt an | |
| ökonomisch sinnvollen Werbeflächen gab. | |
| ## Eine wirksame Strategie | |
| [2][Erst durch die Digitalisierung und die bundesweite Verbreitung] kommen | |
| jetzt ganz neue, gezieltere Möglichkeiten der Monetarisierung zustande“, | |
| sagt der Unternehmer. Zuvor waren durch die föderale Mediengesetzgebung nur | |
| regionale Stationen entstanden, nun agieren auch nationale Sender. Damit | |
| gibt es neue Programm- sowie Vermarktungsansätze. | |
| Linnenbach geht davon aus, dass Apple, [3][Spotify] und Napster als | |
| „aggressive Markteilnehmer“ erheblich an der Audio-Ökonomie teilhaben | |
| werden, zumal sie über hervorragende Verbindungen zur Werbewirtschaft | |
| verfügten und zugleich als Plattformen auch die Rechte an zahlreichen | |
| Musikinhalten besitzen würden: „Das klassische regional-lokal organisierte | |
| UKW-Radiosystem hat dem so gut wie nichts entgegenzusetzen. Sie haben | |
| vielleicht noch ein paar Jahre, aber ohne bundesweite Präsenz können sie | |
| keine wirksame Strategie entwickeln, zumal ihnen erhebliche regulatorische | |
| Fesseln angelegt sind, wodurch sie sich am Markt nicht frei bewegen | |
| können.“ | |
| 7 Jan 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Wilfried Urbe | |
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