# taz.de -- Persönlichkeiten im Radio: Arschbombe erlaubt | |
> Einfach mal einen Spruch raushauen – das ist für den Nachwuchs hinterm | |
> Radio-Mikro nicht mehr so leicht. Dennoch sind junge Leute dort sehr | |
> gefragt. | |
Bild: Erhielt 2020 den deutschen Radiopreis in der Kategorie „Beste Moderatio… | |
In Zeiten der Digitalisierung sind sie vielleicht die letzte Chance des | |
alten Massenmediums Radio: die Persönlichkeiten hinterm Mikro. Aber haben | |
sie angesichts von Shitstorms und Political-Correctness-Fallgruben | |
überhaupt noch Chancen, sich zu entfalten? | |
Für Kai Fischer beispielsweise, Vorsitzender der Geschäftsführung der | |
Audiotainment Südwest mit den vier Programmen bigFM, RPR1, Radio Regenbogen | |
und Regenbogen 2 ist die „Persönlichkeit am Mikrofon“ entscheidend: | |
„Moderator*innen müssen authentisch sein, Position beziehen, ihre | |
Hörerschaft kennen und mit ihr auf Augenhöhe kommunizieren.“ Die Stimme aus | |
dem Äther wird nicht nur von ihm als entscheidendes Instrument | |
eingeschätzt, um sowohl die Marke eines Senders zu etablieren als auch das | |
Publikum an den Sender zu binden. | |
Dafür steht etwa Sinah Donhauser von Radio Hochstift. 2020 wurde sie mit | |
dem deutschen Radiopreis ausgezeichnet – unter anderem für den empathischen | |
Umgang mit ihrem Publikum. „Coronabedingt ist das Gespräch beim Radio | |
wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt, wir haben alles auf die Antennen | |
geholt, was ging. Und damit ist auch Radio wieder wichtiger geworden.“ | |
„Verliebt“ in das Medium hatte Donhauser sich während eines Praktikums, und | |
das sei bis heute so geblieben: „Es ist einfach ein Tagesbegleiter, weckt | |
Emotionen, und wir versuchen für das Publikum da zu sein.“ | |
## Spontane Ansprache | |
Diese persönliche, spontane Ansprache, die sich meistens noch auf Menschen | |
einer bestimmten Region fokussiert, ist etwas, [1][das die neue Konkurrenz | |
aus dem Internet nicht bieten kann, zumindest bisher.] Zwar bieten | |
Streamingdienste bereits personalisierte Musikangebote, aktuelle | |
Informationen und auch Wortbeiträge über Podcasts, aber immer noch nicht | |
so, wie es der Lokalrundfunk vermag. | |
„Im Unterschied zu Streaming hat man diese Unmittelbarkeit, es ist einfach | |
ein Livemedium, schnell und direkt“, glaubt auch Gloria Grünwald vom | |
Münchener Sender egoFM, die letztes Jahr vom Grimme-Institut zur „besten | |
Newcomerin“ gekürt wurde. | |
„Die Nachfrage nach jungen Leuten mit guten Ideen ist zurzeit sehr groß“, | |
beschreibt die 28-Jährige die Chancen für den Nachwuchs hinterm Mikro. | |
Während also aktuell die Tugenden von Radio-Moderator*innen in der Branche | |
gepriesen werden, sieht die Realität anders aus, wenn es um die Freiräume | |
geht, in denen Talente ihre Stärken entdecken können. | |
So schätzt es [2][ein Urgestein der Branche ein – Elmar „Elmi“ Hörig] �… | |
Umstände, dass sich Persönlichkeiten entfalten können, sind extrem | |
schwierig geworden. So eine Figur braucht Zeit, um sich zu entwickeln. Du | |
sagst heute zweimal was Falsches, schon bis du weg. Ich habe 1980 | |
angefangen, und so ins Rollen kam ich 1984, hatte also vier Jahre Zeit, um | |
zu schauen, wo gehe ich hin?!“ | |
## Doch lieber für sich behalten | |
Elmar Hörig war damals weit über die Grenzen seines Senders SWF3 bekannt, | |
verlor dort aber wegen eines Witzes später seinen Job – aus seiner Sicht | |
lediglich ein Vorwand, um einen unbequemen Kritiker des | |
öffentlich-rechtlichen Systems loszuwerden, auch wenn er in der Rückschau | |
manches, was er spontan rausgehauen hat, vielleicht doch lieber für sich | |
behalten hätte. | |
Donhauser jedenfalls bestätigt, dass es heute nicht einfach ist, den | |
eigenen Weg zu finden: „Ich hatte das Glück, bei einem kleineren Sender | |
einsteigen zu dürfen, bei dem ich mich entfalten, alles ausprobieren und | |
auch meine Meinung vertreten konnte, anderswo hätte das wahrscheinlich | |
nicht so geklappt. Man muss einfach eine Arschbombe machen dürfen.“ | |
Sie ergänzt: „Wir leben in einer Zeit, in der Kritik ganz schnell geäußert | |
wird, sich beispielsweise über soziale Netzwerke und Internet viel | |
schneller verbreitet und Arbeitgeber sich davon rasch einschüchtern | |
lassen.“ | |
Selbst bei unverfänglichen Themen hat die Moderatorin schon harsche | |
Ablehnung erlebt, irgendjemand fühle sich immer auf den „Schlips getreten“. | |
Als sie zum Beispiel einmal auf das schöne Wetter hinwies, hagelte es von | |
einem Hörer übelste Beschimpfungen. | |
„Das schränkt auch die Entfaltung von jungen Talenten ein, aber alle | |
Kolleg*innen, bei denen ich mich umhöre, sind sich sicher, dass Haltung | |
für unseren Job wichtiger denn je ist. Und dann muss man diese Angriffe | |
aushalten.“ | |
22 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Wilfried Urbe | |
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