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# taz.de -- Berufsverbot wegen falscher Gesinnung: „Ein politischer Kampfbegr…
> Kriegsdienstgegner und Kommunisten waren nach dem Radikalenerlass von
> Berufsverboten betroffen. Auch Hans-Peter de Lorent.
Bild: Fühlt sich von Schikanen und Berufsverbot eher gestärkt als zerstört: …
Hans-Peter de Lorent wurde nicht verbeamtet, weil er sich beim
Marxistischen Studentenbund Spartakus engagierte und ein Problem mit
Autoritäten hatte. Nachdem er einen Roman schrieb, verklagte ihn die
Schulbehörde, aber der Prozess brachte ihm breite Unterstützung. Später
machte er selbst Karriere in der Behörde. Ein Protokoll:
Ich war schon als Schüler in der antiautoritären Studentenbewegung aktiv.
Ab 1969 setzte ich mein Engagement an der Uni fort. So politisierte ich
mich neben dem Studium weiter, wie zu dieser Zeit fast alle vernünftigen
Leute. Die Zeiten waren sehr bewegt: Wenn in Hamburg eine studentische
Vollversammlung einberufen wurde, waren Audimax 1 und 2 gefüllt. Seit 1971
war ich Versammlungsleiter dieser Vollversammlung. Das lief so: Alle kamen
zusammen und es wurde gefragt: „Wer will Versammlungsleiter sein?“
Außer mir meldete sich immer nur ein anderer. Wir haben uns mit unseren
politischen Mitgliedschaften vorgestellt, also „Hans-Peter de Lorent,
Marxistischer Studentenbund Spartakus“, der andere war vom „Kommunistischen
Studentenverband“. Ich wurde immer gewählt, weil die meisten beim Spartakus
waren. Wir wussten aber damals schon, dass immer Spitzel dabeisaßen, wir
kannten die auch.
Meine erste Anhörung bei der Schulbehörde hatte ich 1973 als
Referendarvorstand, weil ich eine Zeitung gegen Berufsverbote herausgab.
„Berufsverbote“ sei ein politischer Kampfbegriff, hieß es, denn das gebe es
gar nicht. Man prüfe lediglich, ob die Leute geeignet wären oder in einer
verdächtigen Organisation seien.
Am Ende meines Referendariats hatte ich eine Anhörung beim Schulsenator,
der mich auch zu meinen Mitgliedschaften befragte. Am Ende verweigerte der
Ausschuss für die Benennung von Beamten seine Zustimmung. Ich durfte
allerdings als Angestellter arbeiten, wobei gleichzeitig meine Entlassung
ausgesprochen wurde – ich könnte ja dagegen klagen. Eine völlig irrsinnige
Konstruktion.
## „Das ist ne politische Entscheidung“
Ich wurde befristet eingestellt und klagte, aber beim Verwaltungsgericht
wurde nie darüber entschieden. Immer hatte der Richter irgendwelche Fragen
an den Senat, der sich dann verhalten musste, und so zog sich das über
Jahre. Ich hab den Richter mal zufällig auf der Straße getroffen und
gefragt, was da ablaufe. Er meinte: „Ich entscheide das nicht, ich bin doch
nicht blöd, das ist ne politische Entscheidung.“
In der Schule haben wir überlegt, wie wir die Öffentlichkeit für das Thema
gewinnen konnten. Ich habe ein Buch herausgegeben mit dem Titel „Bin ich
ein Verfassungsfeind?“. Darin schreiben Betroffene aus ganz Deutschland,
darunter Kriegsdienstgegner, Sozialdemokraten, Kommunisten
unterschiedlicher Couleur aus verschiedenen Berufsgruppen, Beiträge. Es
waren Briefträger, Mitarbeiter vom Zoll und ein Zugführer, den die
Bundesbahn entlassen wollte. Was bitte soll ein kommunistischer Zugführer
anders machen als ein anderer? Biegt er links ab, wo die Weiche nach rechts
geht?
Ich war weiter im Schuldienst, aber der Schulleiter war offenbar von Anfang
an beauftragt, mich zu beobachten. In einem Schuljahr überlegte er sich,
meine volle Stelle mit 28 Unterrichtsstunden auf vier Tage zu
konzentrieren. Sein Gedanke war wohl, dass ich so wenig Kontakt wie möglich
mit Schülern haben sollte. Da habe ich mich geärgert und gedacht „Jetzt
räche ich mich“ und den Roman „Hexenjagd“ geschrieben, immer an meinem
freien Tag. Ich habe die Machenschaften gegen mich beschrieben, mit leicht
verfremdeten Namen und einem jungen Lehrer in Zentrum der Schikane.
Als das Buch erschien, gab’s ziemlichen Wirbel. Die Bild entschlüsselte in
ihrem Bericht die verfremdeten Namen. Gut, die waren alle ziemlich nah am
Original. Ich hab den Schulleiter Kurzmann genannt, in Wahrheit hieß der
Langen. Der Regierungsdirektor, der das Verfahren gegen mich betrieb, hieß
Delius, in meinem Roman heißt er Delirius. Der Schulsenator regte sich auf,
die Behörde zeigte mich an und ein Staatsanwalt fand 34 Beleidigungen in
meinem Buch. Der Protagonist etwa beschreibt den Schulleiter als eine
Mischung aus Unverschämtheit und Dummheit, Delirius nennt er in seiner Wut
eine „alte Ratte“.
## Die Richterin las den Roman vor
1980 kam es zum Prozess. In der ersten Sitzung las die Richterin den Roman
vor, das dauerte viereinhalb Stunden. Von Sitzung zu Sitzung kamen mehr
Leute, um das Spektakel zu verfolgen, Spiegel und Stern stiegen in die
Berichterstattung ein. Der Effekt war, dass es eine große gesellschaftliche
Anklage gegen die Berufsverbote gab. Jeder normale Mensch dachte sich ja:
„Was ist das für eine Art, mit jungen Lehrern umzugehen?“
Die Angst unter den jungen Kollegen war trotzdem groß, auch wenn man ihnen
keine Mitgliedschaft vorwerfen konnte. Die überlegten sich zwei Mal, ob sie
Bertolt Brecht im Unterricht machten, obwohl das im Lehrplan stand. Ich
habe das natürlich gemacht, ein halbes Jahr lang, ich hatte keine Lust,
mich einschränken zu lassen. Beim Elternabend hat sich dann ein Vater
beschwert: „Gibt’s auch noch was anderes als Brecht?“
Ich bin dann freigesprochen worden. Das Senatsamt ging aber in Berufung. Am
10. Mai 1983, genau am 50. Jahrestag der Bücherverbrennung, wurde ich dann
endgültig freigesprochen. Zwei Wochen später bekam ich mitgeteilt, dass ich
verbeamtet würde. Da habe ich kurz überlegt, ob ich kündige.
Der andere Prozess, in dem ich gegen meine Entlassung vorging, hatte sich
mit meiner Verbeamtung erledigt. Aber der Effekt zu zeigen, was man mit
jungen Lehrern macht, die aus den Unis in den Schuldienst kommen, ist
geglückt, weil die andere Seite so blöd war, das Fass mit der Beleidigung
aufzumachen.
## Sprung in die Schulbehörde – ausgerechnet
Später wurde ich Abgeordneter der Bürgerschaft für die Grünen und
Gewerkschaftsvorsitzender. Dann habe ich noch einen Sprung in die
Schulbehörde gemacht – ausgerechnet. Damals regierten die Grünen in Hamburg
mit der CDU. Die grüne Schulsenatorin Christa Goetsch fragte mich, ob ich
den Planungsstab der Schulreform leiten wollte. Ein Volksentscheid,
initiiert von den Eltern aus Blankenese, kippte die Reform für ein
integrativeres und gerechteres Schulsystem später leider. Aber mein Büro im
Planungsstab war genau neben dem Senatorinnenbüro, indem ich 1974 meine
Anhörung beim Schulsenator gehabt hatte. Ironie der Geschichte: Das war
eigentlich Feindesland.
Rückblickend haben mich die ganzen Schikanen nicht klein und kaputt
gemacht, sondern in meiner Haltung bestärkt. Ich bin eigentlich ein
antiautoritärer Typ, obwohl ich als leitender Oberschulrat pensioniert
wurde. Ich habe auch Referendare ausgebildet, am Schluss las ich ihnen
zuweilen aus „Hexenjagd“ vor. Mein Ziel war, Leute zur Zivilcourage zu
ermutigen. Man muss sich nicht alles gefallen lassen. Ich war allerdings
vergleichsweise privilegiert, weil ich arbeiten durfte, während andere
Betroffene keine Chance hatten, sich zu beweisen. Das lag einfach daran,
dass sie nicht alle rausschmeißen konnten. Die, die gar nicht erst
reinkamen, hatten die schlechtere Position, obgleich die Maschinerie aus
Intrigen, Verfolgung und Überprüfungen im Schuldienst auch kein Spaß war.
Ich bin der Meinung, dass jeder, dem man keine konkreten Verstöße gegen das
Grundgesetz nachweisen kann, die Möglichkeit haben muss, im öffentlichen
Dienst zu arbeiten. Ob Björn Höcke Lehrer sein darf, da bin ich sehr
skeptisch, es gibt viele Gründe zu sagen, er überschreitet deutliche
Grenzen. Aber etwa eine AfD-Mitgliedschaft allein ist kein Grund. Schräge
Typen mit absurden Positionen gibt es überall, sie sind nicht alle
Verfassungsgegner.
Radikal zu sein bedeutet für mich, an die Wurzeln zu gehen und etwa eine
grundlegende Kritik am Kapitalismus zu äußern, an der Verteilung von
Wohlstand, den sozialen Verhältnissen. Ich erwarte vom Staat mehr Geduld
und Akzeptanz und mehr Entwicklungsmöglichkeiten für junge Leute. Dass man
eine radikale Meinung vertritt, kann ich nur gut finden. Viel kritischer
sehe ich völlig angepasste junge Leute, die wie Lemminge dem
hinterherlaufen, was ihre Elterngeneration predigt.
26 Dec 2021
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
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