| # taz.de -- Rechtsstreit in Hamburg beendet: Kopftuch wird geduldet | |
| > Eine Erzieherin darf wieder in ihrer Kita arbeiten. Ihr Arbeitgeber | |
| > wollte ihren Hidschab verbieten. Doch dafür gelten sehr hohe Hürden. | |
| Bild: Darf nicht pauschal verboten werden: Kopftuch im Kindergarten | |
| Hamburg taz | Dreieinhalb Jahre wartet Frau O., darauf, dass sie wieder als | |
| Erzieherin arbeiten darf. Ihr Arbeitgeber, der private Träger Wabe, hatte | |
| ihr verboten, in seiner Kita Kopftuch zu tragen. Sie klagte, und der Streit | |
| sollte an diesem Montag vor dem Hamburger Arbeitsgericht entschieden | |
| werden. Doch bevor es dazu kam, nahm der Verein die Abmahnungen zurück und | |
| erlaubte das Kopftuch. Auf der Basis erging ein sogenanntes | |
| „Anerkenntnisurteil“ des Gerichts. | |
| „Ich bin sehr froh, dass ich wieder arbeiten kann und meine Klage Erfolg | |
| hatte“, sagt die 32-Jährige. Sie ist Heilerziehungspflegerin und war bis | |
| zur Geburt ihres ersten Kindes im Herbst 2016 in einer Kita im Süden der | |
| Stadt in einem Viertel mit hohem Migrationsanteil tätig. „Ich hab da sehr | |
| gerne gearbeitet. Die Kinder, die KollegInnen und ich hatten viel Spaß“, | |
| sagt O., die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. | |
| Sie entschied sich in der Elternzeit fürs Kopftuch. Weil bekannt war, dass | |
| der Träger das missbilligt, wandte sie sich vor ihrer Rückkehr an die | |
| [1][Antidiskriminierungsberatungsstelle „Amira“ des Vereins „Basis & | |
| Woge“]. Doch es kam zu keiner Einigung. Man bot ihr an, Mütze zu tragen. | |
| Ihr Arbeitgeber, der 25 Kitas in Hamburg und an anderen Orten betreibt, | |
| berief sich auf eine gerade erlassene „Neutralitätsanordnung“, die ein | |
| Kopftuch und weitere religiöse Symbole untersagt. | |
| „Als ich zurückkam, sagte man mir im Büro, ich sollte das Kopftuch ablegen. | |
| Andernfalls müsse ich nach Hause geschickt werden“, erinnert sich Frau O. | |
| Doch sie finde es wichtig, dass Kinder Vielfalt erleben. „Diversität darf | |
| nicht nur auf Flyern stehen, sondern muss gelebt werden. Dazu gehören | |
| Menschen, die wie ich ein Kopftuch tragen, und das nicht nur in der Küche | |
| und der Reinigung, sondern in allen Bereichen.“ Für die Kinder und Eltern | |
| in der Kita vor Ort sei der Hidschab kein Problem gewesen. | |
| ## Europäischer Gerichtshof sollte vorab entscheiden | |
| Der Fall ging schnell vors Arbeitsgericht. [2][Die Hamburger Richter legten | |
| den Fall] dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur „Vorabentscheidung“ vor, | |
| denn in der Sache könnten jüngste deutsche und europäische Entscheidungen | |
| kollidieren. So entschied erst im März 2015 das Bundesverfassungsgericht, | |
| dass ein [3][Kopftuchverbot an Schulen] nur zu rechtfertigen ist, wenn eine | |
| „konkrete Gefahr“, etwa für den Schulfrieden, festgestellt ist. Das gilt | |
| auch für staatliche Kitas. Der EuGH hatte [4][2017 Kopftuchverbote bei | |
| Privatfirmen] für rechtmäßig erklärt, wenn sie alle religiösen Zeichen | |
| verbieten. | |
| Das 27-seitige [5][Urteil des EuGH kam diesen Juli]. Der Träger Wabe deutet | |
| es so: Das Neutralitätsgebot sei für „rechtmäßig“ erklärt worden, und | |
| privaten Arbeitgebern würde „grundsätzlich ein Verbot von religiösen | |
| Symbolen unter bestimmten Rahmenbedingungen zugebilligt“. So zu lesen in | |
| einer Pressemitteilung von vergangener Woche. Die Geschäftsführung reiche | |
| der Mitarbeiterin „die versöhnende Hand“, da ein Rechtsstreit „womöglich | |
| noch Jahre gedauert hätte“. | |
| Doch nach Einschätzung des [6][Anwalts Klaus Bertelsmann] und der | |
| „Amira“-Beraterin Birte Weiß hätte O. den Prozess am Montag höchst | |
| wahrscheinlich gewonnen. Denn der EuGH verwies darauf, dass der private | |
| Arbeitgeber vor Einführung solcher „Neutralitätsgebote“ eine „hinreiche… | |
| konkrete Gefahr“ belegen muss, wie etwa Unruhe im Unternehmen oder | |
| Ertragseinbußen. | |
| „Das Urteil des EuGH war klar“, sagt Bertelsmann. Für Verbote von mit | |
| religiösem Bezug getragenen Kopftüchern gebe es „sehr hohe Hürden“. | |
| Ungleichbehandlung wegen Religion setze Störungen voraus. „Die Arbeit mit | |
| Kopftuch ist aber auch im Erziehungsbereich ganz normal möglich“, sagt der | |
| Anwalt. „Die Kinder kennen das ja aus ihrem täglichen Erleben.“ | |
| Frau O. will im März in die Kita zurück. Auch wenn sie de facto zu ihrem | |
| Recht kommt, wäre ihr ein Urteil schwarz auf weiß lieber. „Viele Bekannte | |
| von mir haben das gleiche Problem“, sagt sie. „Mir ist wichtig, dass alle | |
| Betroffenen wissen, dass sie das Recht haben, mit Kopftuch zu arbeiten, wie | |
| alle anderen Menschen auch.“ Und ohne die Antidiskriminierungsstelle | |
| „Amira“ hätte sie nicht den Mut zur Klage und einen Anwalt gefunden. „Wir | |
| haben viele Fälle in der Beratung, wo Frauen mit Kopftuch der Zugang | |
| verwehrt wird“, sagt Birte Weiß. Teils treffe dies auch Fitness-Studios. | |
| Sie hoffe, dass das Urteil Arbeitgeber überzeugt. „Berufsverbote sind nicht | |
| hilfreich“, sagt Weiß. | |
| Der Träger will sich auf taz-Nachfrage hin nicht weiter äußern. In der | |
| Pressemitteilung heißt es: „Unser Neutralitätsgebot hat sich nie gegen die | |
| Mitarbeiterin gerichtet, sondern war und ist Kernelement unseres | |
| pädagogischen Konzepts.“ | |
| Für Bertelsmann ist nach dem EuGH-Urteil klar, dass nicht nur für Schulen, | |
| sondern auch für private Firmen ein pauschales Kopftuchverbot unzulässig | |
| ist. Auch ein Einzelverbot wäre unzulässig „wegen direkter | |
| Religionsdiskriminierung“. | |
| 22 Oct 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://adb-hamburg.de | |
| [2] /Verstoss-gegen-Neutralitaet/!5553729 | |
| [3] /Religionssymbole-an-Schulen/!5016688 | |
| [4] /EuGH-Urteil-zum-Kopftuch/!5388389 | |
| [5] https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2021-07/cp210128de… | |
| [6] https://www.bertelsmann-gaebert.de/rechtsanwaelte/drklausbertelsmann/index.… | |
| ## AUTOREN | |
| Kaija Kutter | |
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