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# taz.de -- Moorschutz in Niedersachsen: Das große Schrumpfen
> Nirgendwo scheinen die Gräben zwischen Naturschutz und Landwirtschaft
> tiefer als beim Thema Moor. Dabei drängt die Zeit.
Bild: Stören bei der Renaturierung: die Kiefern im Krähenmoor
Das [1][Krähenmoor] hat Glück gehabt. Vielleicht hat es damit zu tun, dass
es nicht leicht zu finden ist. Das Naturschutzgebiet liegt östlich der
niedersächsischen Kleinstadt Nienburg (Weser). Wer sich erfolgreich durchs
Unterholz geschlagen hat, dem bietet sich ein unspektakulärer Anblick.
Braunes, teils hüfthohes Gras, unterbrochen von Pfützen, kleineren Tümpeln.
Der Schatz des Krähenmoors aber liegt unter den Schuhsohlen.
Dabei war der Antrag für den Torfabbau in dem Gebiet schon durchgewunken,
das war in den 60er Jahren. Bagger begannen schachbrettartig Gräben
auszuschaufeln. Denn bevor der schwarzbraune Torf an die Erdoberfläche
befördert werden kann, muss aus dem Boden raus, was das Moor zu Moor
macht: Wasser. Torf wurde allerdings nie gestochen. Die Firma ging pleite,
das Krähenmoor wurde vergessen. Bis 1978 als das Land Niedersachsen unter
Ministerpräsident Ernst Albrecht eine Inventur der Moore vornahm.
„Das Krähenmoor wurde damals zu einem der sechs wertvollsten Moore
Niedersachsens deklariert“, sagt Moorschützer Thomas Beuster. Allein kann
es diesen Titel aber nicht verteidigen. Das Wasser, das mühsam abgebaggert
wurde, muss genau so mühsam zurückgeholt und gehalten werden. „Die ersten
Gräben haben wir 2009 geschlossen, später Wälle aufgeschüttet. Wir haben
viel Zeit verloren“, sagt Beuster, der so etwas wie der Baumeister des
Krähenmoors ist. Der Geograf von der [2][Ökologischen Schutzstation
Steinhuder Meer] renaturiert das Gebiet in Zusammenarbeit mit den Behörden.
Seine khakifarbenen Gummistiefel machen schmatzende Geräusche bei jedem
Schritt. „Wir sind hier in einem Mosaik von Pflanzen, die man im Moor haben
will: Wollgras, Rosmarinheide, Moosbeere“, sagt Beuster und klingt
zufrieden dabei. „Und hier das Entscheidende“, er hält triumphierend zarte
Pflänzchen in die Luft, an denen das Wasser heruntertropft. Torfmoose sind
spezialisierte Superhelden. Sie wachsen nach oben, sterben nach unten ab.
An der Basis bildet sich im luftabgeschlossenen Raum neuer Torf, der
speichert Kohlenstoff. „Bei der Wiedervernässung der Moore geht es erst mal
darum, die Torfzersetzung zu stoppen. Torfbildung ist die Kür.“ Thomas
Beuster springt zwei, dreimal in die Luft, das Wasser spritzt zur Seite.
„Wir stehen hier auf drei, vier Metern Torfschicht.“
Klingt gut, ist es aber nur bedingt. Dem Krähenmoor geht es so lala. „Wir
stehen hier mitten in einer Kampfzone“, sagt Thomas Beuster, und als ob es
zur Dramaturgie gehört, donnern in der Ferne Gewehrsalven. Der
Truppenübungsplatz Langendamm. Was Beuster aber eigentlich meint, sind die
Kiefern, Birken, rötlichen Büsche der Kulturheidelbeere, die von außen in
die Fläche hineinwachsen. Sie entziehen dem Moor das Wasser. „Ich habe
Luftbilder von den 50er Jahren bis heute ausgewertet. Die offene Moorfläche
hat sich auf ein Sechstel verkleinert.“ Mit den Kiefern scheint etwas nicht
zu stimmen. Kommt man näher, sieht man, dass ihnen auf einer Höhe von etwa
einem Meter ein Kranz Rinde fehlt. Sie sind „geringelt“, sollen langsam
absterben, damit sich das offene Moor wieder ausbreiten kann.
Beuster stiefelt weiter und bleibt immer wieder stehen. „Schön, oder?“ Vor
ihm liegt eine glatte Wasserfläche, Baumstümpfe ragen in den grauen
Novemberhimmel, an dem Wolken toben. Der Wind pfeift wie an der Küste. Und
trotzdem strahlt das Moor etwas Beruhigendes aus. Es ist gar nicht
schaurig. Es riecht würzig. Die feuchte Luft macht die Finger klamm.
Beuster war schon als Schüler vom Moor fasziniert, erzählt er, als sein
Wagen über einen Waldweg rumpelt. Mit dreizehn, vierzehn buddelte er
freiwillig im Morast. Demonstrierte gegen Torfabbau. Das Bild der
Landschaft ändert sich während der Fahrt, vom Kiefern- zum Buchenwald,
schließlich Felder und Wiesen. Hinter dem Ort Steimbke, der nur einen
Steinwurf vom Krähenmoor entfernt liegt, biegt Beuster auf einen
schnurgeraden Feldweg. Links und rechts tiefer gelegene Wiesen, eingerahmt
von Gräben. „Das ist eigentlich alles Moor. Hier sieht man gut, wie der
Boden abgesackt ist.“ Das Torf zersetzt sich, wenn man ihm Wasser entzieht.
## Unser Klimaproblem ist eine saftig grüne Fläche
So sieht es also aus, unser Klimaproblem: eine saftig grüne, ebene Fläche.
Aus entwässertem Moorboden entweichen die darin gespeicherten Klimagase.
Genauer: Kommt der gespeicherte Kohlenstoff mit Sauerstoff in Berührung,
wird er als CO2 in die Atmosphäre entlassen. 37 Prozent der bundesweiten
CO2-Emissionen aus der Landwirtschaft kommen von ehemaligen Moorböden,
obwohl diese nur sieben Prozent der landwirtschaftlichen Fläche ausmachen.
In Niedersachsen, dem moorreichsten Bundesland, machen Emissionen aus
Moorböden 11 Prozent der landesweiten Klimaemissionen aus. Intakte Moore
können mehr Kohlenstoff speichern als Wälder, nur gibt es leider in
Deutschland kaum noch welche. Rund 95 Prozent sind trockengelegt, oft
werden sie landwirtschaftlich genutzt.
Auf den Moorwiesen rund um den Ort Steimbke baut Christian Oehlerking das
Futter für seine 400 Milchkühe an. Es ist gutes Futter, die Milchleistung
der Kühe ist hervorragend. Um die Erträge zu erzielen, muss Oehlerking den
Großteil seiner Flächen intensiv bewirtschaften. Er weiß, was dies für die
Moorböden bedeutet, er kennt auch die Konsequenzen für das Klima. Er
interessiert sich für Naturschutz. Doch das Thema Moorschutz bereitet dem
52-jährigen Landwirt Sorgen: „Mir wird Angst und Bange, wenn ich davon
höre.“
[3][Moorschutz klingt so einfach]: Wiedervernässen, und schon sind die
Emissionen gestoppt. Für Oehlerking und seinen Geschäftspartner bedeutet
Wiedervernässung das Ende. „Wenn die uns die Gräben zuschütten, können wir
den Laden dichtmachen.“ Denn nasse Flächen seien nicht zu bewirtschaften.
Er wäre bereit, Flächen abzugeben, wenn ihm im Gegenzug andere angeboten
würden. „Aber wie soll das gehen, wo es kaum mehr Flächen gibt?“ Auch die
Auszahlung an Eigentümer von Moorflächen lohne sich nicht. Sein Bruder
beispielsweise hat Flächen im Moor, dort stehen Eschen, Erlen, Büsche,
anfangen kann man damit nichts. Für 80 Cent pro Quadratmeter wurden sie
gekauft, das Land bot ihm 30 Cent. „Das geht so nicht“, Christian
Oehlerking zuckt mit den Schultern.
Viel mehr als mit den Schultern zucken kann er momentan auch nicht. Nach
einem Sturz vom Maissilo hat er sich das linke Schien- und Wadenbein
zertrümmert, die rechte Schulter ausgekugelt und zwei Rippen gebrochen.
Weil er die Schulter nicht belasten kann, muss er mit dem Rollstuhl Vorlieb
nehmen. „Hätten wir unseren Geschäftspartner nicht, wären wir in
Schwierigkeiten“, sagt Oehlerkings Frau Wiebke. In der offenen Wohnküche
kocht sie gerade Mittagessen. Der große Tisch im Wintergarten ist schon
gedeckt.
Die Oehlerkings betreiben den Hof seit mehreren Generationen. Der Junior
zeige schon Interesse, freut sich der Vater. Mit 22 Jahren wurde Christian
Oehlering Chef, sein Vater war gerade gestorben, 27 Milchkühen und 28
Schlachtbullen standen im Stall. „Da drüben“, Oehlerking zeigt über den
ordentlich gefegten Hof auf einen Klinkerbau. „Manchmal würde ich gerne
wieder zurück, es ist ja eigentlich irrsinnig, dass das Rad immer weiter
gedreht wird. Immer größer, immer weiter.“ Den Kredit für den letzten
Stallbau bezahlt Oehlerking noch ab. Als er der Bank von seinen Plänen
erzählt, auf Melkroboter umzustellen, schlägt diese vor, die Anzahl der
Kühe zu verdoppeln. Das will er aber nicht.
„Wir haben uns einen Lebensstandard erarbeitet, den wir auch halten
wollen“, sagt Oehlerking. Wo es ginge, mache er bei Naturschutzprogrammen
mit. Auf einem Teil der Grünflächen betreibt er Weidetierhaltung mit
maximal vier Kühen pro Hektar. Wo es geht, bewirtschaftet er extensiv, das
heißt: umweltschonender, nachhaltiger, mäht das Gras spät, um Bodenbrüter
wie den Kiebitz zu schützen. Den Rest seine Flächen müsse er intensiv
bewirtschaften: „Sonst rechnet sich der Betrieb nicht.“
Christian Oehlerking weiß, dass das Land Niedersachsen und auch der Bund
die Klimaziele ohne Renaturierung der Moore nicht erfüllen können. Eine
Lösung muss also her. Ob er einen Vorschlag hat? „Nein, eine Lösung habe
ich nicht.“
Moorschützer Beuster und Landwirt Oehlerking wohnen nur wenige Kilometer
entfernt voneinander, kennen sich von Informationsveranstaltungen zum Thema
Moor. Beuster versteht die Sorgen des Landwirts. „Für Grünlandbetriebe, die
fast nur Flächen auf Moorstandorten betreiben, geht es an die Existenz.“
Und auch die Verbraucher wollten ja, dass Biorinder auf der grünen Wiese
stehen und Futter aus der Region fressen. In Niedersachsen wächst das nun
mal häufig auf Moorböden.
Die Standpunkte beim Moor [4][scheinen extrem und unvereinbar]:
Wiedervernässen sagen die einen. Trockenlegen und bewirtschaften sagen die
anderen. Dazwischen: Gräben.
Ein Kompromiss liegt neben der Kreisstraße K37, die aus Steimbke nach
Norden führt. Wer sie entlangfährt, dem bietet sich erst einmal ein
ziemlich ödes Bild: brauner Boden, darauf, in Reihen gestapelt, frisch
gestochener Torf. Thomas Beuster hievt einen Quader hoch. „Hier sieht man
noch die Fasern des Torfmoos.“ Und tatsächlich verlaufen in dem Torfstück
kleine Äderchen. Für einen Moorschützer wie Beuster muss der Anblick
frustrierend sein. Ein Millimeter Torf braucht ein Jahr zum Wachsen, die
ratternde Maschine am Ende des Feldes braucht ein paar Minuten um Dutzende
Quader aus dem Boden zu holen. Der Sack Blumenerde kostet zehn Euro, der
Wert des Torfes für den Klimaschutz ist unbezahlbar.
## Naturschützer und Landwirte an einem Tisch
Diese öde Fläche ist Teil des Kompromisses mit dem drögen Namen
„[5][Flurbereinigung Lichtenmoor]“. 2012 hatten Nabu und BUND einen Antrag
beim Landkreis Nienburg/Weser eingereicht: Das Lichtenmoor soll
Naturschutzgebiet werden. Torfindustrie, Landwirte und Landeigentümer
waren auf den Barrikaden. Also wurden alle an einen Tisch geholt, plus
Wasser- und Bodenverbände und Kreisverwaltung. 2014 traf sich der
Arbeitskreis Lichtenmoor zum ersten Mal. 20 Sitzungen und drei Jahre später
der Beschluss: Ein gutes Viertel des 1.600 Hektar großen Gebietes wird nach
dem Torfabbau Naturschutzgebiet, das Moor dort wiederhergestellt.
Angrenzende Flächen werden wieder Weiden beziehungsweise Ackerland.
Es ist die nächste Großbaustelle für Thomas Beuster und sein Team von der
Ökologischen Schutzstation Steinhuder Meer, das das Projekt leitet. 2019
wurden die ersten Messstellen installiert, um künftig die Wasserstände
kontrollieren zu können. Der Landkreis kaufte den Eigentümern Flächen ab
oder bot andere zum Tausch. Bäume mussten beseitigt, Wälle aufgeschüttet,
Gräben zugeschüttet werden. Ein ausgeklügeltes Leitsystem soll das Wasser
dort halten, wo es bleiben soll, und an anderer Stelle abfließen lassen.
Was die Arbeitsgruppe nicht einkalkulierte: Klagen der angrenzenden
Gemeinden und Verbände, die befürchten, dass ihre Flächen nun absaufen. Das
kostet Zeit und Geld. 1,72 Millionen sind für die Flurbereinigung im
Lichtenmoor eingeplant. Werden die nicht bis Juni 2022 ausgegeben,
verfallen die Fördergelder.
Der Landtagsabgeordnete Frank Schmädeke (CDU) sieht es diplomatisch. „Mit
der Flurbereinigung Lichtenmoor haben wir einen Kompromiss gefunden, mit
dem alle leben können.“ Schmädeke ist Agrarwissenschaftler und Vorsitzender
der Teilnehmergemeinschaft Lichtenmoor. Moorschutz sei eine
Herzensangelegenheit, sagt er am Telefon. Aber man dürfe auch nicht zu viel
wollen: „Wir können nicht einfach sagen, wir vernässen jetzt wieder alles,
was vor Dutzenden von Jahren mühevoll urbanisiert wurde. Die Leute wurden
ja gezielt in Moorgebieten angesiedelt, die können wir da nicht einfach
rauswerfen.“ Seine Landesregierung hat die Bund-Länder-Zielvereinbarung zum
Moorschutz unterschrieben. Ziel ist eine Minderung moorbedingter Emissionen
um fünf Millionen Tonnen pro Jahr bis 2030.
Sollte die Flurbereinigung im Lichtenmoor erfolgreich abgeschlossen werden,
könnten 6.800 Tonnen CO2 im Jahr gespart werden. Vielleicht. Irgendwann.
Thomas Beuster steht auf einer Teilfläche des Lichtenmoor, die bereits
wiedervernässt wird. Kleine Tümpel glitzern zwischen Gräsern in der
untergehenden Sonne. Beuster ist Realist: „Guckt man in die Klimamessungen
rein, sieht man, dass das alles dauert, bis eine Moorfläche nichts mehr
emittiert.“ Zunächst gibt es vor allem auf wiedervernässten Weideflächen
einen erhöhten Methan-Ausstoß, hat das Deutsche Geoforschungszentrum in
Studien jetzt herausgefunden. „Wir stecken noch mitten in der Forschung:
Wie tickt das Moor?“, sagt Beuster.
Er begeht regelmäßig die Flächen im Lichtenmoor. „Hier kommen die Birken
wieder hoch“, sagt er und schüttelt ein kleines Bäumchen. Das bedeutet, die
Flächen sind zu trocken. Die vergangenen dürren Sommer machen auch den
Mooren zu schaffen. „Wir bräuchten Zeit, die wir vor dem Hintergrund der
Klimakrise eigentlich nicht haben.“ Dann bückt er sich und zieht ein
tropfendes Büschel Torfmoos aus der Erde. „Na, geht doch. Sieht gar nicht
so schlecht aus.“
2 Jan 2022
## LINKS
[1] https://www.nlwkn.niedersachsen.de/naturschutz/schutzgebiete/die_einzelnen_…
[2] https://www.oessm.org/
[3] /Gruenen-Antrag-zum-Schutz-der-Moore/!5810640
[4] /Bedrohte-Moorlandschaften/!5807260
[5] https://www.arl-lw.niedersachsen.de/flurbereinigung/im_landkreis_nienburg/l…
## AUTOREN
Juliane Preiß
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