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# taz.de -- Russland geht gegen NGO vor: Das Telefon steht nie still
> Die Menschenrechtsorganisation Komitee Bürgerlicher Beistand verliert
> seine Räumlichkeiten. Sie ist eine wichtige Anlaufstelle für Flüchtende
> in Russland.
Bild: Swetlana Gannuschkina in der Beratungsstelle in Moskau
Russlands älteste Flüchtlingshilfeorganisation, das Komitee Bürgerlicher
Beistand, muss seine Räumlichkeiten verlassen. Dies berichtete die
Vorsitzende der Organisation, Swetlana Gannuschkina (79), der taz am
Telefon. Der Vermieter, das Vermögensamt der Stadt Moskau, hatte der
Organisation ohne Angabe von Gründen nach über zehn Jahren gekündigt. Nun
müsse man innerhalb von 40 Tagen raus, so Gannuschkina.
Für sie ist diese Kündigung ein weiterer Akt der Repression: „Das, was
gerade mit uns gemacht wird, ist ein weiterer Stein in einem Mosaik, das
den Namen ‚Zerstörung der Zivilgesellschaft‘ trägt. Zuerst war die
Gesellschaft Memorial dran, dann das Menschenrechtszentrum Memorial, und
nun sind es wir. Mit der Unzufriedenheit eines Vermieters hat das wenig zu
tun“, sagt Gannuschkina am Telefon.
Derzeit würden sich 4.000 Menschen – Flüchtende, MigrantInnen und Verfolgte
– in unregelmäßigen Abständen immer wieder an das Komitee wenden. Und sie
alle hätten dann, sollte die Kündigung nicht mehr abzuwenden sein und keine
neuen Räumlichkeiten gefunden werden, keine Anlaufstelle mehr in Moskau.
Asylsuchende aus Afrika, Binnenflüchtlinge aus Tschetschenien,
Wanderarbeiter aus Usbekistan, Studierende aus dem Iran – sie alle kennen
die Adresse: „Olympia-Prospekt 22, Moskau, gegenüber der armenischen
Kirche“ ist der Geheimtipp unter Moskaus Migranten.
## Nur 426 anerkannte Flüchtende
Hier hat die älteste [1][russische Flüchtlingsorganisation] bis jetzt ihr
Domizil. Hier kann man juristischen oder medizinischen Beistand bekommen,
hier wird für Frauen, die sich vor einem [2][Ehrenmord] fürchten, Wohnraum
angeboten, hier gibt es eine Kleiderkammer – und Russischunterricht für
ausländische Kinder. Denn vom Staat können Flüchtende in Russland keine
Hilfe erwarten. Russland ist sehr stringent in der Anerkennung von
Flüchtlingen. In der ersten Jahreshälfte 2021 waren in ganz Russland gerade
einmal 426 Flüchtlinge im Besitz einer unbefristeten [3][Anerkennung als
Flüchtling].
Anerkennung hat die Flüchtlingsarbeit der Vorsitzenden der Organisation,
Swetlana Gannuschkina, weit über die Grenzen von Russland hinaus. 2016
erhielt Gannuschkina den alternativen Nobelpreis, 2003 den
Menschenrechtspreis der deutschen Sektion von Amnesty International, 2004
den Nansen-Preis des Flüchtlingshilfswerks der UNO.
Gannuschkina, die auch Vorstandsmitglied des am gestrigen Mittwoch
verbotenen Menschenrechtszentrums Memorial ist und bei Memorial das
Beratungsprogramm „Migration und Recht“ leitet, hatte vor über 30 Jahren
das Komitee Bürgerlicher Beistand gegründet. Damals hatten ArmenierInnen
ihre aserbaidschanische Heimat aus Angst vor Pogromen verlassen müssen.
Niemand hatte sich damals für die ersten Binnenflüchtlinge der Sowjetunion
interessiert, bis auf eine kleine Gruppe aktiver Frauen, die sich der
Flüchtenden angenommen hatten. Sie nannten sich Komitee Bürgerlicher
Beistand.
Seitdem ist die Arbeit nicht weniger geworden. Die Gruppe unterstützt
Binnenflüchtlinge aus Tschetschenien, berät BelarussInnen, die nach
Russland geflohen waren, darunter auch den [4][Boxweltmeister Alexei
Kudin]. Und wenn russische StaatsbürgerInnen aus Deutschland nach Russland
abgeschoben werden, können sie damit rechnen, dass eine Vertreterin des
Komitees am Flughafen erscheint, um den Flüchtling abzuholen.
Doch oftmals reicht das nicht. Häufig werden aus Westeuropa Abgeschobene
sofort nach ihrer Ankunft in Moskau festgenommen. Und um diese Personen
kümmert sich das Team der AnwältInnen des Komitees. Kein Wunder, dass das
Mobiltelefon von Swetlana Gannuschkina nie stillsteht.
29 Dec 2021
## LINKS
[1] https://refugee.ru/en/
[2] /Frauenmorde-in-Tschetschenien/!5167395
[3] https://refugee.ru/actual/shest-chelovek-priznali-bezhenczami-za-polgoda-et…
[4] /Boxweltmeister-aus-Russland-abgeschoben/!5788886
## AUTOREN
Bernhard Clasen
## TAGS
Russland
Migration
Menschenrechte
Wladimir Putin
Schwerpunkt LGBTQIA
Schwerpunkt Angela Merkel
Russland
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