Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- 25 Jahre Abkommen in Guatemala: Friedlich ist es nicht
> In Guatemala beendete ein Friedensabkommen den blutigsten Bürgerkrieg
> Mittelamerikas. Doch heute grassieren Armut und Korruption.
Bild: Große Unzufriedenheit: Indigene in Guatemala-Stadt protestieren gegen ei…
Hamburg taz | Jedes Jahr findet der Festakt zur Unterzeichnung des
Friedensabkommens zwischen Regierung und der Guerilla-Dachorganisation der
Revolutionären nationalen Einheit Guatemalas (URNG) im Kulturpalast in
Guatemala-Stadt statt. Zum 25. Jahrestag am 29. Dezember könnte sogar
Präsident Alejandro Giammattei kommen, um eine weiße Rose am Denkmal für
den Frieden niederzulegen.
Friedlich geht es in Guatemala unter der Regie des konservativen und als
hyperkorrupt geltenden Präsidenten allerdings nicht zu. Das verrät ein
Blick in die Statistiken: „40 Prozent der Kinder in Guatemala sind
chronisch unterernährt. 80.000 Minderjährige werden jedes Jahr schwanger,
etliche davon nach Vergewaltigungen. [1][Gewalt gegen Frauen] ist das
landesweit am zweithäufigsten angezeigte Delikt, die Ungleichheit hat sich
weiter vertieft, statt weniger zu werden“, zählt die Rechtsanwältin und
bekannte Feministin Paula Barrios die chronischen Defizite auf.
Die hätten eigentlich, so sahen es die zwölf im Friedensabkommen
enthaltenen Verträge vor, lange abgebaut sein müssen. Doch an der
Verteilung der Anbauflächen, der Ungleichheit und der Ausgrenzung der
indigenen Völker der Maya hat sich kaum etwas geändert. In der
Coronapandemie ist die Armutsquote gar von 45 auf 47 Prozent gestiegen –
kein Wunder, denn mehr als siebzig Prozent der Bevölkerung haben keine
formale Anstellung. Sie wurden entsprechend hart von der Pandemie erwischt.
Guatemalas Wirtschaft ist die größte Mittelamerikas, doch sie schrumpfte
2020 um 2 Prozent.
Für das laufende Jahr wird zwar ein Wachstum von bis zu 5 Prozent
prognostiziert, doch das kontrastiert stark mit der steigenden Zahl an
Guatemaltek:innen, die ihr Land verlassen. Es ist die Jugend, die das
Land aus Perspektivlosigkeit verlässt, so Anwältin Barrios. „Zwar war die
Unterzeichnung des Friedensvertrages 1996 der Startschuss in eine
demokratische Ära, allerdings haben wir es nicht geschafft, die Demokratie
zu konsolidieren“, kritisiert Barrios. „Heute haben wir eine Regierung, die
zwar demokratisch legitimiert ist, aber kleptokratisch agiert.“
Das zeigt sich etwa in der niedrigen Steuerquote, die bei nur 13 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts liegt. Auf dem Korruptionsindex rangiert
Guatemala auf Platz 149 von 180 – Tendenz fallend.
## Zaghafte Fortschritte
„Nicht einer der Verträge des Friedensabkommens von 1996 ist komplett
umgesetzt worden. Wir haben es derzeit mit einer Rückwärtsrolle auf allen
Ebenen zu tun“, moniert Claudia Samayoa. Die Philosophin zählt zu
Guatemalas bekannten Aktivist:innen für die Menschenrechte.
Mit [2][Udefegua] hat sie die am besten vernetzte Organisation aufgebaut,
die Angriffe auf Journalist:innen genauso wie auf Umwelt- und
Menschenrechts-Aktivist:innen registriert. Unter der seit Januar 2020
amtierenden Regierung von Alejandro Giammattei ist die Zahl solcher
Übergriffe angestiegen. „25 Jahre nach der Unterzeichnung des
Friedensabkommens sind wir in einer miesen Situation. (…) Aber immerhin
wissen die Menschen heute, warum das so ist und welche Rolle die
[3][Korruption der Eliten] spielt“, sagt die 54-Jährige.
Ein Fortschritt, der viel zu tun gehabt habe mit der Präsenz der
UN-Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala (Cicig). Die arbeitete
von 2007 bis 2019 im Land, um die Justiz zu stärken. „Sie hat uns vor Augen
geführt, wie die Korruption funktioniert“, meint Samayoa, die auch auf den
positiven Effekt der wenigen Bürgerkriegs-Prozesse verweist: „Die haben
trotz eines längst nicht immer positiven Ausgangs die Gesellschaft
sensibilisiert.“
Der Prozess gegen Ex-Diktator Efraín Ríos Montt vom Mai 2013 ist dafür das
beste Beispiel. Der Mammutprozess endete mit einem historischen Urteil:
Wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde der
Ex-General zu 80 Jahren Haft verurteilt. Er sei während seiner Herrschaft
von März 1982 bis August 1983 für Mord, Folter und die Zwangsumsiedlung
Tausender Maya verantwortlich gewesen, so Richterin Yassmín Barrios in der
Urteilsbegründung.
Nie zuvor wurde ein ehemaliger Staatschef im eigenen Land wegen
Völkermordes verurteilt. Entsprechend groß war der Jubel unter den [4][Ixil
und anderen Maya-Völkern], gegen die die Militärs mit unglaublicher
Brutalität vor allem zu Beginn der 1980er Jahre vorgingen.
„Zehn Tage später wurde das Urteil nach massivem Druck auf die
Verfassungsrichter von der Cacif, dem Unternehmerverband, unter
fadenscheinigen Gründen gekippt“, so Michael Mörth, deutscher Jurist und
Berater einer Menschenrechtskanzlei in Guatemala-Stadt. Ein Formfehler
lieferte die Begründung. Zwar wurde das Urteil wenige Jahre später
weitgehend bestätigt, doch der in den USA ausgebildete Ex-General Ríos
Montt verstarb im April 2018 friedlich im eigenen Haus.
## Schlangen an der US-Südgrenze
Grund dafür sind die Machtstrukturen in Guatemala. An denen hat sich auch
25 Jahre nach dem Ende des Bürgerkrieges nichts geändert. Dafür sind die
USA mitverantwortlich.
1954 war es die CIA, die den demokratisch gewählten Präsidenten Jacobo
Árbenz stürzte, weil er eine Agrarreform vorbereitete. 1981 hielt
US-Präsident Ronald Reagan der Diktatur unter Ríos Montt trotz Dutzenden
Massakern die Treue, und 2017 und 2018 schaute die Trump-Administration
weg, als der UN-Kommission gegen die Straflosigkeit die Arbeit unmöglich
gemacht wurde, schrieb der guatemaltekische Journalist Martín Rodríguez
Pellecer 2018 in der New York Times. Dreimal hätten die USA einer
potenziellen Demokratisierung Guatemalas die Luft abgedreht, so Pellecer.
Zu den Folgen zählen auch die derzeit [5][an die Südgrenze der USA
drängenden Migrant:innen]. 2021 ist die Zahl der Flüchtenden aus
Guatemala sowie Honduras und El Salvador gestiegen – für Claudia Samayoa
eine direkte Folge der galoppierenden Korruption in den Herkunftsländern.
„Korruption schafft Armut“, sagt sie. Samayoa mahnt vor dem wachsenden
Einfluss mexikanischer Kartelle in Guatemala. Auch das wäre vermeidbar
gewesen: mit der Implementierung des Friedensabkommens von 1996.
29 Dec 2021
## LINKS
[1] /Femizide-in-Guatemala/!5819286
[2] https://udefegua.org/
[3] /Justiz-und-Korruption-in-Guatemala/!5788022
[4] /Erderhitzung-in-Guatemala/!5774511
[5] /Migration-aus-Mittelamerika-in-die-USA/!5744463
## AUTOREN
Knut Henkel
## TAGS
Guatemala
Menschenrechte
Schwerpunkt Korruption
Guatemala
Guatemala
Guatemala
Landwirtschaft
Guatemala
Guatemala
## ARTIKEL ZUM THEMA
Weitere Richterin flieht aus Guatemala: „Angekündigter Tod der Justiz“
Richterin Erika Aifán verhandelte in Guatemala Korruptionsfälle mit
Verbindung in die Politik. Aus Angst um ihr Leben ist sie nun in die USA
geflohen.
Schwangerschaftsabbruch in Guatemala: Anti-Abtreibungs-Gesetz gestoppt
Das strikte Gesetz hatte Guatemalas Parlament am Frauentag erlassen. Jetzt
wurde es nach großem Druck zurückgenommen, doch Abbrüche bleiben verboten.
Zivilgesellschaft in Guatemala: Aktivist:innen im Visier
Seit dem Amtsantritt von Giammattei geraten Guatemalas NGOs unter Druck.
Aktivist Santos warnt vor „radikalen Offensiven“ gegen die Gesellschaft.
Wende an den Rohstoffbörsen: Kaffeebauern bejubeln höhere Preise
Kaffeebohnen sind auf dem Weltmarkt so teuer wie seit Jahren nicht mehr.
Das ist eine gute Nachricht für die Produzenten etwa in Lateinamerika.
Pressefreiheit in Mittelamerika: Guatemalas „Unbequeme“
Im mittelamerikanischen Land teilt sich die Presse in zwei Lager. Eines ist
regierungstreu. Das andere ist kritisch – was immer schwieriger wird.
Justiz und Korruption in Guatemala: „Rückschritt in die Vergangenheit“
Am 23. Juli wurde Juan Francisco Sandoval als Leiter einer
Sonderstaatsanwaltschaft in Guatemala entlassen. Im Interview erklärt er
seine Ängste.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.