# taz.de -- Atem holen in der Pandemie: Zwischen den Wellen | |
> Die Inzidenz sinkt leicht, doch dahinter baut sich die Omikron-Welle auf. | |
> Zeit für ein kurzes Innehalten: Fünf Corona-Lehren von taz-AutorInnen. | |
Bild: Immer kurz vorm nächsten Zoom: Alltag in der Pandemie | |
## 1. Kinder mögen Routinen mehr als Events | |
Natürlich ist auch uns die völlig ereignislose Zeit Anfang 2021 auf den | |
Geist gegangen. Und trotzdem sind die Kinder, 8 und 13 Jahre alt, mein Mann | |
und ich nie wieder in den Kultur-, Hobby- und Verabredungsstress | |
zurückgekehrt, den wir vor Corona hatten. Das Seltsame ist, dass die Kinder | |
seitdem nicht etwa gelangweilter, sondern netter und hilfsbereiter geworden | |
sind. Wie das zusammenhängt, hat die amerikanische | |
Wissenschaftsjournalistin Michaelen Doucleff ganz gut in ihrem Buch | |
„Kindern mehr zutrauen“ erklärt. | |
Die Autorin hat indigene Gemeinschaften besucht, um herauszufinden, warum | |
sich dort Eltern und Kinder oft besser verstehen: Zum Teil liege das daran, | |
dass wir für unsere Kinder vom Zoo bis zum Kino oft Fantasiewelten | |
errichten, die nichts mit unserem erwachsenen Alltag zu tun haben. | |
Denn Kinder können auch eine Art Kater durchmachen, wenn sie aus diesen | |
Fantasiewelten wiederauftauchen, es etwa als Enttäuschung erleben, wenn sie | |
die Strecke bis zum Supermarkt nicht fliegend zurücklegen können. Seit | |
Corona machen wir wieder viel mehr Dinge, die mein Mann und ich gemacht | |
haben, bevor die Kinder da waren. | |
Wir kochen komplizierter, gehen entspannter einkaufen, machen längere | |
Spaziergänge – und beziehen die Kinder dabei mehr ein. Statt Eventmanager | |
für sie zu spielen, falten wir jetzt öfter gemeinsam die Wäsche, lassen den | |
Kleinen auch mal mit dem scharfen Messer die Paprika schneiden, und in | |
wenigen Wochen werden die beiden ganz allein die Tomatenpflanzen für den | |
Sommer vorziehen. Zumindest in dieser Hinsicht hat uns alle Corona viel | |
zufriedener gemacht. Susanne Messmer | |
2. Freunde, Familie und Besuche sind etwas Besonderes | |
Wie selbstverständlich das einmal war: eben auf einen Tee rumkommen bei der | |
Freundin nach der Arbeit, der regelmäßige Stammtisch mit der alten Clique, | |
Besuch von Verwandten, die gern mal nach Berlin kommen – und dann gemeinsam | |
ausgehen, feiern, tanzen. Es ist nichts Selbstverständliches – das hat | |
Corona gelehrt. Vor Zusammenkünften muss getestet werden, die Freundin will | |
sich nur noch draußen treffen, weil sie ihre alte Mutter pflegt, ins Kino | |
will die andere nicht, obwohl das grade mal wieder geht, weil man ja nicht | |
weiß, wer da neben einem sitzt. | |
Direkte soziale Kontakte hat die Pandemie arg beschränkt, und so blöd das | |
sein mag: Man lernt ihre Bedeutung dadurch noch mehr schätzen. Treffen | |
werden zelebriert, persönliche Gespräche essenzieller, direkte Begegnungen | |
anders wertgeschätzt: Wie gut, dass ich dich habe, dass du für mich da | |
bist, ab und zu. Das wäre auch so was, was man nach der Pandemie nicht so | |
schnell vergessen sollte. Alke Wierth | |
## 3. Spontaneität wird zu oft überschätzt | |
Ob Kino, Ausstellung oder Schwimmbad: Traditionell habe ich es bei der | |
Freizeitgestaltung immer gern spontan gehalten. Kann ich denn wissen, ob | |
ich übermorgen tatsächlich Lust habe auf dieses oder jenes? Dann kam Corona | |
und bald nach dem ersten Lockdown die Erfindung des Zeitfenster-Tickets. | |
Natürlich war ich – wie viele andere auch – froh, dass überhaupt etwas | |
offen hatte. Doch bald wich die Freude der Ernüchterung: Denn ob der | |
Verknappung waren die raren Zeitfenster zumeist schon wieder geschlossen, | |
bevor ich überhaupt den Computer hochgefahren hatte. Irgendwann habe ich es | |
aber doch mal geschafft – und seitdem bin ich bekennender Fan des | |
Zeitfensters. | |
Nie war der Aufenthalt in unserem Lieblingshallenbad, dem „Hans Rosenthal“ | |
in Schöneberg, entspannter – sogar an einem regnerischen Sonntag. Keine | |
überlange Schlange an Rutsche und Sprungturm, kein | |
Sardine-in-der-Dose-Sitzen im warmen Solebad, kein Gekloppe um Kabine und | |
Fön. Auch auf die Pommes muss man nicht lange warten, wenn nur die Hälfte | |
der Menschen eingelassen werden. Fazit: Die Zeitfenster dürfen bleiben, | |
wenn es nach mir geht. Dafür lebe ich von mir aus auch gern etwas | |
organisierter. Susanne Memarnia | |
## 4. Die Pandemie bringt keine Gemeinsamkeit | |
Es war und ist absolute Hybris, zu glauben, dass die viel gelobte und | |
angeblich so effektive Kommunikation via Zoom, Teams etc. sowie | |
Digitalisierung in tutto echte Treffen ersetzen kann. Es war und ist irrig, | |
zu meinen, gemeinsames Lernen funktioniere allein vor dem Computer genauso | |
wie im Klassenzimmer. Schade, dass es für diese Bestätigung eine höchst | |
verzichtbare Pandemie brauchte. Zu lernen war zugleich, dass die | |
Halbwertszeit von Feuilleton-Analysen, wonach mehr Menschen als zuvor im | |
Lockdown den Wert von Zweisamkeit, Familie und Freundschaft zu schätzen | |
gelernt haben, äußerst kurz ist. | |
Denn wo sind sie denn inzwischen alle, die angeblich so Bekehrten, die sich | |
damals die Zeit für einen Spaziergang mit Partnerin oder Partner nahmen. | |
Oder die Väter, die man damals erstmals mit der Tochter oder dem Sohn beim | |
Joggen im Park sah, seit Lockdown-Ende aber trotz Homeoffice nicht mehr? | |
Offenbar trieb sie mehr Langeweile als echte Überzeugung nach draußen. | |
Stefan Alberti | |
## 5. Soziale Konventionen haben nichts mit Logik zu tun | |
Eine der größten Freuden der Coronazeit war für mich, dass ich im | |
Uni-Seminar nun endlich einmal rauchen durfte. Es gibt doch nichts | |
Schöneres als eine Zigarette mitten im angeregten Gespräch. Und je | |
aufregender das Thema, desto besser schmeckt der Glimmstängel. Eines Tages | |
aber ging ich nach einem solchen besonders aufregendem Seminar einkaufen, | |
und an der Kasse neben mir stand eine Kommilitonin. Die erzählte gerade | |
einer Freundin von diesen zwei Typen, die während des Seminars die ganze | |
Zeit geraucht hätten. | |
Betreten sah ich zu Boden, es ging ganz eindeutig um mich und meinen | |
Mitbewohner. „Nein!?“, antwortete ihre Freundin mit entsetztem Blick. | |
„Jaja, aber dafür haben sie gut mitgemacht … Also war's okay.“ Ich | |
schnaubte erleichtert. Doch mit dem entspannten Rauchen war es jetzt | |
vorbei. Denn mir war klar geworden: Auch digitaler Rauch ist | |
unverschämt.Hanno Rehlinger | |
29 Dec 2021 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
Stefan Alberti | |
Susanne Messmer | |
Susanne Memarnia | |
Hanno Rehlinger | |
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