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# taz.de -- Die Wahrheit: Staubsauger des Grauens
> Nicht nur das Weihnachtsfest bringt Pakete mit ganz und gar mysteriösem
> Inhalt, die ganze Zeit schon schneien seltsame Päckchen herein.
Bild: Im Einhornparadies sieht alles vollkommen rosa aus
Als der Postbote klingelte, sprang Liobar so hastig aus ihrem Bett, dass
sie beinahe über ihre Socken gestolpert wäre. Das musste der neue
Staubsauger sein. Sie riss dem Boten eilig, ja, fast unhöflich, das Paket
aus den Händen und warf dem freundlichen Mann einen Blick zu, der um
Verständnis und Verzeihung bat. Der Bote quittierte diesen Blick mit einem
heiteren: „Neuer Staubsauger, was?“
Wieder zurück in der Wohnung begann Liobar ungeduldig, an der Verpackung zu
reißen. Das war wirklich knifflig: Die Hersteller hatten die Lieferung wie
Plutonium fünffach in Pappe, Knackfolie, Plastik, Titan und Panzerglas
verpackt. Liobar musste aus der Küchenschublade erst eine Nagelschere,
einen Schlagbohrer, einen Feuerspucker und ein Saumtier holen – dann lag er
endlich vor ihr, prachtvoll, glänzend und voller Knöpfe: der neue
Staubsauger!
Andächtig steckte Liobar die Einzelteile zusammen, sie brauchte nicht
einmal einen einzigen Blick in die Gebrauchsanweisung zu werfen, alles
klappte auf Anhieb. Doch als sie ihn ungeduldig einschaltete, erstarrte sie
vor Entsetzen. Der Staubsauger sprach zu ihr: „Liobar, ich bin ein
verfluchtes Einhorn! Wenn du genug Katzenstreu mit mir aufsaugst, dann
werde ich erlöst und wir können gemeinsam durch Abenteuerländer und
Regenbogenwälder schweben.“
Liobar spürte, wie sich in ihrem Magen ein schwerer Klumpen und in ihrem
Hals ein dicker Kloß bildeten. Ihr tränenverhangener Blick schweifte weit
in die Vergangenheit. Sie dachte zurück an den neuen Toaster, an den
schicken Quirl, an das Bügeleisen, an die Mikrowelle und an vieles, vieles
mehr, das sie sich einst gewünscht hatte. Doch immer waren diese Träume mit
dem ersten Einsatz der Geräte zerplatzt, wie schimmernde Seifenblasen im
Sturm der Gefühle. All die wunderschönen Haushaltshilfen hatten sich in
abenteuerlustige Einhörner verwandelt.
## Ammoniak und Mähnenstaub
Von draußen drang zorniges Wiehern und ein Geruch von Ammoniak und
Mähnenstaub durch die Fenster. Die Einhörner bissen sich gegenseitig in die
Flanken, um die Ranghöhe neu zu klären, und der verdammte Augiasstall
musste auch schon wieder ausgemistet werden.
Liobar hatte sich nie für Einhörner interessiert, aber jetzt waren sie nun
mal da. Das Tierheim wollte sie nicht aufnehmen, weil es angeblich keine
Kapazitäten für Fabelwesen hätte, der Gnadenhof um die Ecke behauptete
einfach, er sei voll, und die Tierärztin befand die Einhörner als zu
gesund, um sie einzuschläfern. Liobar hatte bereits versucht, eines von
ihnen zu erwürgen, aber sie hatte nicht genug Kraft in den Händen.
Stattdessen hatte sie sich ein paar schmerzhafte Tritte eingefangen, die
hässliche, in allen erdenklichen Farben wochenlang schillernde Blutergüsse
zur Folge hatten.
Die Nachbarn beschwerten sich auch schon. Angeblich würden die Einhörner
nachts ausbrechen und Beete zertrampeln, aber das war schlichtweg gelogen.
Die Nachbarn nutzten Liobars Einhörner nur, um ihre eigenen
Unzulänglichkeiten auf Liobar abzuwälzen. Denn Liobar hatte eines Nachts,
als sie versuchte, auf dem Balkon einen neuen Dampfreiniger in Gang zu
setzen, beobachten können, wie sich Herr Speer von links unten mit einer
elektrischen Gravitationsleiter an der Reinigung der Hausfassade versuchte,
dabei abstürzte und jammernd einen qualvollen Tod starb. Das hatte gar
nichts mit den verfluchten Einhörnern zu tun.
## Katzenstreu und Putzteufel
Liobar blickte wieder den neuen Staubsauger an, der abermals zu ihr sprach:
„Ich kann mich auch in irgendetwas anderes verwandeln, nur lass mich
endlich Katzenstreu aufsaugen!“ Aber Liobar war mittlerweile viel zu
erfahren und vertraut mit verzauberten Haushaltsgeräten, als dass sie auf
diese billige Masche herein gefallen wäre. Sie stellte den Staubsauger in
eine Ecke hinter einen grünen Vorhang, wo er fortan sein trostloses Leben
als unbenutzter Putzteufel fristen musste.
Ein Schlüssel rasselte in der Wohnungstür. Das musste Rüdiger sein, der wie
immer von seiner Arbeit an den streng geheimen Experimenten in einer
unterirdischen Regierungsbasis nahe Genf nach Hause kam. Er war es
tatsächlich. Liobar freute sich wie jeden Tag über das tolle Aussehen ihres
Mannes. Mit seinen acht Tentakeln, den vier Augen und den lila Flecken, die
ihn überall zierten, sah er beinahe aus wie ein Zauberer aus einem ganz
weit entfernten Sonnensystem.
„Wie war dein Tag, Schatz?“, fragte sie lächelnd. „Ganz normal“, antwo…
Rüdiger, „ist der neue Staubsauger gekommen?“ Liobar nickte und erklärte:
„Ja, aber der tut’s nicht.“ – „Egal“, sagte Rüdiger, „ich habe u…
funkelnagelneue Brotbackmaschine mitgebracht.“ Liobar fiel postwendend in
eine tiefe, traumlose und erholsame Ohnmacht …
27 Dec 2021
## AUTOREN
Corinna Stegemann
## TAGS
Einhörner
Pakete
Staubsauger
Thriller
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