| # taz.de -- Kinotipps für Berlin: Der übrig gebliebene Kapitalismus | |
| > Eine Doku im Casablance ist dem linken Schriftsteller Walter Kaufmann | |
| > gewidmet, Paul Verhoevens „Benedetta“ nimmt das Klosterleben auf die | |
| > Schippe. | |
| Bild: Ankunft in New York, 1963; aus: „Walter Kaufmann – Welch ein Leben!“ | |
| Sein linkes politisches Engagement ließ sich der deutsch-australische | |
| Schriftsteller Walter Kaufmann, der seit den 1950er Jahren immer wieder | |
| (auch) in der DDR gelebt hatte, nie nehmen: „Der Kapitalismus hat nicht | |
| gesiegt, er ist nur übrig geblieben“, lautete sein Fazit der Umwälzungen | |
| der letzten dreißig Jahre. | |
| Weil er mit seinem australischen Pass beliebig reisen konnte, besuchte er | |
| für seine Reportagen nicht nur Kuba nach der Revolution und Hiroshima nach | |
| dem Atombombenabwurf, sondern auch die USA, wo er aus New York oder von | |
| einem Prozess gegen die Bürgerrechtlerin Angela Davis berichtete. | |
| Das Berliner Dokumentarfilm-Team Karin Kaper und Dirk Szuszies hatte das | |
| Glück, [1][für den Dokumentarfilm] „Walter Kaufmann – Welch ein Leben!“ | |
| noch mit dem im April dieses Jahres im Alter von 97 Jahren verstorbenen | |
| Kaufmann zu arbeiten – der 1924 als Sohn einer jüdischen Mutter in Berlin | |
| geborene Schriftsteller ist mit seinen Erzählungen vor der Kamera eine Art | |
| Reiseführer durch sein eigenes, außerordentlich ereignisreiches und | |
| unstetes Leben. | |
| Neben Interviewpassagen mit Kaufmann arbeiten Kaper und Szuszies mit | |
| interessantem Archivmaterial sowie heutigen Aufnahmen von den Schauplätzen | |
| seiner Lebensgeschichte. Kritisches gibt es dabei allerdings nicht zu | |
| hören, seine doch sehr privilegierte Stellung in der DDR klingt dabei eher | |
| im Vorübergehen an (10. 12., 18 Uhr, 11. 12., 14.45 Uhr, 15. 12., 15.30 | |
| Uhr, [2][Kino Casablanca]). | |
| Mit einer Mischung aus Religionssatire, Trash und Sexploitation im Stil der | |
| 70er-Jahre ist dem mittlerweile auch schon 83-jährigen Paul Verhoeven noch | |
| einmal ein [3][veritabler Kinohit gelungen]: „Benedetta“ erzählt die | |
| Geschichte der gleichnamigen Nonne (Virginie Efira), die im Italien des 17. | |
| Jahrhundert dank ihrer religiösen Visionen Karriere macht, zur Oberin ihres | |
| Klosters aufsteigt und die neue Machtposition für eine zunächst ungestrafte | |
| lesbische Liaison mit einer Novizin nutzt. | |
| Doch ausgespäht von der vorherigen Äbtissin (Charlotte Rampling) sehen sich | |
| die beiden bald mit einer Anklage wegen Unzucht konfrontiert. Als der | |
| päpstliche Nuntius (Lambert Wilson) anreist, drohen Folter und | |
| Scheiterhaufen. Während die Pest um sich greift und der Film sich in immer | |
| absurdere Höhen aufschwingt, nimmt er – und das ist das eigentlich | |
| Interessante – die religiösen und sexuellen Empfindungen der Nonnen | |
| durchaus ernst. | |
| Die Entdeckung der sexuellen Lust steigert bei Benedetta auch die religiöse | |
| Erfahrung, was sein augenfälliges Sinnbild in einem Holzdildo findet, den | |
| ihre Geliebte aus einer kleinen Marienstatue schnitzt. Fazit: Sex ist | |
| göttlich! (10.12., 11.12., 21.30 Uhr, 13.12., 15.12., 21.10 Uhr, [4][Il | |
| Kino]) | |
| Der britische Regisseur Edgar Wright hatte seine Ausflüge in das | |
| Horror-Genre (etwa „Shaun of the Dead“) meist mit einem Augenzwinkern | |
| unternommen, doch mit „[5][Last Night in Soho]“ meint er es ernst: Der Film | |
| ist gleichermaßen eine Hommage an die Swingin' Sixties wie eine düstere | |
| Dekonstruktion des poppigen Mythos', dem seine Hauptfigur Eloise (Thomasin | |
| McKenzie) aufsitzt, als sie aus der Provinz nach London kommt, um dort | |
| Modedesign zu studieren. | |
| Denn das Zimmer, das sich Eloise bei der alten Ms Collins (Diana Rigg) | |
| mietet, scheint ein Eigenleben zu führen. Es transportiert Eloise zurück in | |
| das Soho der 60er-Jahre, direkt in einen Traum, dem sich die junge Frau | |
| zunächst gern hingibt. Denn dessen Protagonistin Sandy (Anna Taylor-Joy) | |
| ist alles, was Eloise nicht ist. Sexy, selbstbewusst und zielstrebig will | |
| sie Karriere als Sängerin machen. | |
| Doch dann geht es abrupt bergab: Während Sandys „Karriere“ in Richtung | |
| Prostitution driftet, drängen sich Eloise diese Träume, die sie nicht | |
| richtig zu deuten vermag, immer gewalttätiger auf. Unter der schicken | |
| Oberfläche lauern in Londons altem Vergnügungsviertel Blut und Tränen. | |
| Dabei hält der Film geschickt in der Balance, ob die Ereignisse nur die | |
| Einbildung einer psychisch labilen Persönlichkeit sind, oder ob da ein ganz | |
| realer Horror nach Eloise greift (10. 12., 13. & 15. 12., 20.30 Uhr, | |
| [6][Kino Casablanca]). | |
| 9 Dec 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lars Penning | |
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