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# taz.de -- Karlsruhe zur Bundesnotbremse: Ausgangssperren waren zulässig
> Die Verfassungsbeschwerden gegen die Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung sind
> gescheitert: Die tiefen Eingriffe in die Grundrechte seien
> „gerechtfertigt“.
Bild: Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Die Bundesnotbremse war ver…
Berlin taz | Das Bundesverfassungsgericht hat die zeitweise geltende
Bundesnotbremse akzeptiert. Die beiden umstrittensten Maßnahmen –
Schulschließungen und Ausgangssperren – verstoßen nicht gegen das
Grundgesetz, so die Richter:innen in zwei jetzt veröffentlichten
Beschlüssen.
Lange Zeit haben die Bundesländer mit ihren Coronaverordnungen die
Pandemiepolitik bestimmt. Als die Länder im März jedoch auf die dritte
Coronawelle uneinig und sorglos reagierten, nahm Kanzlerin Angela Merkel
das Heft in die Hand und der Bundestag beschloss die Bundesnotbremse. Nun
galten in allen Landkreisen, die den Inzidenzwert von 100 überschritten,
automatisch strenge Beschränkungen, zum Beispiel nächtliche Ausgangssperren
von 22 Uhr bis 5 Uhr. Schulen sollten ab einer Inzidenz von 165 schließen.
Die Regelung trat am 23. April zeitweise bundesweit in Kraft. Sie war
gesetzlich bis zum 31. Juni befristet, doch schon am 13. Juni waren alle
Landkreise wieder unter dem Inzidenzwert von 100. Vor zwei Wochen hat die
Ampelkoalition die Notbremse sogar ganz aus dem Infektionsschutzgesetz
gestrichen.
Gegen die Bundesnotbremse gingen in Karlsruhe mehr als 300
Verfassungsbeschwerden ein. Eine [1][einstweilige Anordnung hatte das
Gericht zuvor abgelehnt]. Nun hat der Erste Senat erstmals in der
Hauptsache entschieden. Das Gericht konzentrierte sich dabei auf zwei
Komplexe: Zum Thema Schulschließungen wählte es zwei Verfassungsbeschwerden
von Familien aus.
Bei den Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen wurden fünf
Verfassungsbeschwerden näher geprüft, darunter die Klagen von 80
FDP-Bundestagsabgeordneten, von drei Landtagsabgeordneten der Freien Wähler
aus Rheinland-Pfalz und von zehn Kläger:innen, die von der Gesellschaft für
Freiheitsrechte (GFF) koordiniert wurden, darunter die grüne
Bundestagsabgeordnete Canan Bayram.
## Verhältnismäßigkeit der Mittel
Die Richter:innen stellten fest, dass die Maßnahmen zwar tief in
Grundrechte eingreifen, dass dieser Eingriff aber durch das Ziel – Schutz
von Leben, Gesundheit und Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens –
gerechtfertigt war. In beiden Entscheidungen kam es letztlich auf die
Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Mittel an.
Als Ausgangspunkt bezog sich das Gericht auf die Einschätzung des RKI, dass
die Gefährdung für die Bevölkerung im April „sehr hoch“ war. Die
Infektionen hätten sich exponentiell ausgebreitet, die ansteckendere
Delta-Variante wurde dominant. Die Krankenhäuser standen unmittelbar davor,
auf Notbetrieb umzuschalten.
Die geprüften Maßnahmen wurden als „geeignet“ akzeptiert. Sie zielten im
Rahmen eines „Gesamtkonzeptes“ darauf ab, so die Richter:innen, Kontakte in
der Bevölkerung und damit neue Infektionen zu reduzieren. Mit
Ausgangssperren sollten vor allem abendliche Treffen in Privaträumen
erschwert werden. Die Richter:innen hielten es auch für geeignet, dass
die Maßnahmen an bestimmte Inzidenzwerte gekoppelt wurden. Dies bleibe im
Rahmen des „Einschätzungsspielraums“ des Gesetzgebers.
Die Maßnahmen seien auch verhältnismäßig, so die Richter:innen, weil der
Gesetzgeber dem Pandemieschutz nicht einseitig Vorrang gab. Zeitlich sei
die Bundesnotbremse auf maximal neun Wochen befristet gewesen, auch habe
sie nur in besonders belasteten Landkreisen gegolten. Bei der nächtlichen
Ausgangssperre habe es zudem Ausnahmen gegeben, unter anderem für
Berufstätige und für die Betreuung von unterstützungsbedürftigen Personen.
Bei Schulschließungen seien Ausnahmen für Abschlussklassen möglich gewesen,
außerdem konnte eine Notbetreuung für Kinder ohne gutes heimisches
Lernumfeld eingerichtet werden.
## Recht auf Schule
Zu Recht seien Schulschließungen erst ab einem Wert von 165 angeordnet
worden, so die Richter:innen. Schließlich seien die Eingriffe für
Schüler:innen schwerwiegend, insbesondere für Grundschulkinder und
Kinder aus sozial benachteiligten Familien.
Bei Schulschließungen müsse der Staat ersatzweise digitalen
Distanzunterricht anbieten. Dies könnten Schüler:innen notfalls
gerichtlich einklagen, so das Gericht. Dabei könnten sie sich auf ein
erstmals postuliertes „Recht auf schulische Bildung“ berufen.
Die Richter:innen bezeichnen ihre Einschätzung bezüglich der
Schulschließungen ausdrücklich als „vorläufig“. Mit zunehmendem Impfange…
in der Gesellschaft könne das Verbot von Präsenzunterricht sogar
„allmählich seine Rechtfertigung verlieren“, heißt es im Karlsruher
Beschluss.
Johannes Fechner, der rechtspolitische Sprecher der SPD, begrüßte die
Entscheidungen: „Wir sehen Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen für
Ungeimpfte als sinnvoll an, auch zu deren Schutz.“ Der designierte
Justizminister Marco Buschmann (FDP), der selbst geklagt hatte, kündigte
dagegen an, die Ampelkoalition werde auch weiterhin keine Ausgangssperren
vorsehen. „Nicht das Verlassen der Wohnung ist gefährlich, sondern der
Kontakt mit Menschen.“ Schulschließungen seien, „wenn es irgend geht, zu
vermeiden“.
30 Nov 2021
## LINKS
[1] /Karlsruhe-urteilt-zu-Corona-Auflagen/!5770386
## AUTOREN
Christian Rath
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